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4.4 Antike Philosophie und jüdisch-kulturelles Erbe

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Die einzige Philosophie, die Casel für und in seiner Theologie zulässt, ist die von Platon. Er kann nicht umhin, philosophische Elemente zuzulassen, da ja die Patristik ebenso wenig ohne diese auskommt. Der einzige Zweck des spärlichen philosophischen Hintergrundes ist allerdings die Abgrenzung von neuzeitlicher Philosophie. So erhebt Casel die Philosophie Platons auf eine normative Stufe, indem er sie als einzige dem Christentum angemessene Philosophie definiert. Der Grund dieser Hochschätzung sind Hinweise Platons auf eine kultische Verwiesenheit, einen inneren Zusammenhang von Theologie und Theurgie, die schließlich das Urchristentum prägen.264 Die Altertumsforschungen werden bei Casel ohnehin nur als Hilfsmittel für die Formulierung der „praktisch“ ausgerichteten Theologie verstanden.265

Mit Platons Hilfe will Casel sein objektivistisches Denken stützen, indem er dem subjektivistischen Denken die platonische Theoria entgegenstellt. Damit meint er die unableitbare Schau des allein wahrhaft Seienden, also Gott. Dieses Konzept muss ebenfalls als Gnosis verstanden werden, ein Gnosisverständnis, das Casel bei den Kirchenvätern Leo dem Großen, Hilarius, Clemens von Alexandrien und Origines vorliegen sieht. Sie bieten für ihn die Grundlage, ein theozentrisches, ja christozentrisches bzw. pneumatisches Theologieverständnis weiter zu entwickeln. Doch die Gottesoffenbarung bleibt für Casel der Maßstab, an der sich letztlich auch alle philosophische Arbeit messen lassen muss. Der Mensch kann die Offenbarung vernehmen, indem er glaubt. Es ist also nicht der nach logischen Gesetzen denkende Geist, der benötigt wird, um an Gottes Wesenheit Anteil zu erhalten, sondern der Glaube bahnt den Weg tieferer Erkenntnis und Schau des Göttlichen. Somit ist Philosophie zwar Ausdrucksmittel der geistlichen Anstrengung des Menschen, doch das höchste Kriterium theologischer Wissenschaft ist allein der pneumatische Herr. Daraus resultiert die Konsequenz, dass die Erkenntnis der göttlichen Offenbarung jedem Christen durch das Christusereignis selbst ermöglicht ist. Der Theologie Betreibende zeichnet sich demnach durch die Glaubensschau aus. Eine so definierte Gnosis hat bei Casel ganz eindeutig die Vorrangstellung vor aller Wissenschaft.266 Für ihn bildet die griechische Kultur das Fundament der Weltkultur. Die antike Kultur als Tragwerk des geistlichen Lebens jener Zeit ist der Kulminationspunkt der Philosophie. Casel sieht die gesamte idealistische Philosophie als himmelanstrebende Mystik. Zu ihr tritt der Einfluss von orientalischer Lehre und Religion. In der Vereinigung von Orient und Okzident lokalisiert Casel die fruchtbare Ergänzung zweier Kulturen. Es entwickelt sich eine Zeit mystischer Frömmigkeit als Bereiterin des Christentums, insbesondere für dessen Gottesdienstform. Aus diesem Blickwinkel erscheint die griechische Philosophie als eine transformierte Mystik. Ausdruck dessen ist der Kult, der hieraus einfach erwachsen muss, weil der Mensch ganz angesprochen wird. Der Mensch erlebt sich in den so entstehenden Mysterien als Mensch und nicht wie beim Staatskult als hinter dem Staat verschwindendes Wesen mit großem Abstand zur Gottheit. Die aufblühenden antiken Mysterien formen den Menschen neu, d.h. der Einweihungstag ist das Eintrittsdatum in den Kreis der Götter, der Eingeweihte wird selbst zu Gott und bekommt Erlösung geschenkt.267

Caselsche Theologie versteht sich also als durch Pneuma bewirkte Gnosis. Damit das altkirchliche Theologieverständnis zur Entfaltung kommen kann, muss demnach zwangsläufig ein rational definiertes Erkenntnisstreben zurückgedrängt werden, und damit zugleich der Subjektivismus. Deutlich trägt Schilson vor, dass die Konsequenz dieses Ansatzes die Zurückdrängung des philosophischen Denkens ist, d.h., dass das christliche Mysterium nicht in Worten ausgesagt werden kann, sondern der Theologe erlangt durch die Pneumagabe und die damit verbundene Gnosis ungemein weite Freiheiten. Kritisch ist anzumerken, dass Casel selbst davor warnt, seine Mysterientheologie philosophisch reflektieren zu wollen. Sein Ansatz und damit die Begründung für seine Theologie zentriert sich in der göttlichen Offenbarung, da sie der Grund des Glaubens und damit der Erkenntnis ist. Sie ist keine menschliche Philosophie. Das bedeutet, dass die Gnosis der menschlichen Verfügung entzogen ist, solange der Mensch nicht mit dem göttlichen Pneumas ausgestattet ist.268

Es fällt auf, dass in Casels Konzeption das jüdische Erbe für das Christentum gar nicht gewertet wird.269 Die Schriften des AT haben in seiner Denkform eine geringe Gewichtung und wenig Bedeutung. Teilweise finden sich negative Aussagen zum alttestamentlichen Kult, da Casel dort nicht die Grundlage für sein Verständnis vom Mysterium findet. Dagegen schätzt er Texte des AT sehr hoch ein, die ihm die Möglichkeit eröffnen, durch allegorische Auslegungsweise Hinweise auf das Christusereignis zu gewinnen.270

Das jüdische Verständnis zum Begriff „Gedächtnis“ kommt Casels Denken entgegen. „Gedächtnis“ im Judentum meint mehr als eine bloße Erinnerung, und er sieht hier schon eine objektive Gedächtnisfeier gegeben, versteht diese Feier aber aus inhaltlichen und formalen Gründen nicht als Kultgedächtnis im engeren Sinne, wie etwa im Christentum. Kultmysterium im engeren Sinne versteht Casel nämlich als die kultische Vergegenwärtigung des Heilswerkes eines auf Erden erschienenen Gottes. Da er dieses Ereignis jedoch im AT nicht gegeben sieht, gesteht er dem AT nur ein Kultgedächtnis im Sinne einer rituellen Begehung und Gegenwärtigsetzung zu. Letztlich muss man Casels Einschätzung des Judentums als zweigespalten bewerten.271 Die jüdische Religion spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle, weil er sie als Episode in der „Heilsveranstaltung“ Gottes sieht. Man kann mit Schilson durchaus von einer Geringschätzung sprechen. Die Antike als solche besitzt laut Casel göttliche Bestätigung, Normativität als einer von Gott bestätigten Kultur, deren kulturelles und geistiges Formelement von der Offenbarung Gottes ins Christentum weitergegeben ist. Somit hat aus geschichtstheologischer bzw. offenbarungstheologischer Erwägung heraus die Antike hier einen Geltungsanspruch errungen, die dem Judentum nicht zugestanden wird. Zur Fundamentierung dieses Anspruchs zitiert Casel quantitativ Kirchenvätertexte, um deren antikes Denken dem heutigen Menschen vorzustellen.272

Man kann Casel nicht als Exeget der Kirchenvätertexte bezeichnen, wohl aber als guten Kenner dieser Schriften. Zusätzlich zur Patristik zieht er neutestamentliche Schriften, vornehmlich Paulus, besonders den Epheser- und Kolosserbrief, heran. Dabei können wir den Römerbrief (Röm 6,2-11) als einen Drehpunkt der Kontroverse um die Mysterienlehre benennen. Das Problem basiert wiederum auf seiner Methode, zunächst auf philologischen Untersuchungen aufzubauen und erst später folgen theologische Überlegungen. In dieser Vorgehensweise verbirgt sich die Gefahr, dass in die Texte das hineininterpretiert wird, was Casel für seine These brauchbar und nützlich erscheint.273

Wenn nun Casel der Antike statt den Schriften des Alten Testamentes einen so hohen Stellenwert zuweist, stellt sich für uns hier die Frage nach seinem Geschichtsverständnis im Allgemeinen und seinem Verständnis von Heilsgeschichte im Besonderen.

Die Eucharistie als Opfer der Kirche

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