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7. Der Dahlemer Prediger
ОглавлениеIn Berlin-Dahlem brauchte Niemöller nur eineinhalb Jahre, um sämtliche Mitglieder seiner Gemeinde zu besuchen. Rasch machte er sich als eindrücklicher Prediger bekannt. Durch seine Tätigkeit als Seelsorger und vor allem durch seine viele Hörer anziehenden „schlichten frommen Predigten“ erwarb er sich rasch hohes Ansehen in der Gemeinde. Er überzeugte durch die „nüchtern sachliche“ Diktion seiner Predigt, durch „inneres Feuer“ und durch seinen „starken Intellekt“.82 Alle Predigten werden, wie die Amtskalender belegen, gewöhnlich von Freitag bis Samstag, sorgfältig vorbereitet, schriftlich fixiert und zwei Stunden vor dem Gottesdienst memoriert.83
Im Gegensatz zu Westfalen war er in Berlin zunächst ein unbeschriebenes Blatt. Umso bemerkenswerter ist daher der Artikel, den das „Zehlendorfer Bezirksblatt“ seinem Dienstantritt widmet, wobei der Name des neuen Pfarrers konsequent falsch mit ‚Nietmöller‘ wiedergegeben wird:
„Pfarrer Nietmöller ist keiner von jenen Geistlichen, deren Predigt in einem geruhsamen salbungsvollen Ton dahinfließt und die in patriarchalischer Weise liebevoll mahnend zu ihren Schäflein sprechen. Nein, seine Worte muten zunächst nüchtern sachlich an. Aber bald merkt man, daß in ihm aus der klaren Erkenntnis der harten Tatsachen der Gegenwart geboren, ein lebendiger, energiegefüllter Kampfwille lebt, der, von innerem Feuer geschürt, zur Betätigung drängt. Es ist etwas asketisch Strenges in der äußeren Erscheinung des Pfarrers Nietmöller, und aus seinen großen, klaren Augen spricht ein starker Intellekt, der es ihm von vornherein verbietet, seiner Gemeinde Gemeinplätze vorzusetzen. Und so wurde seine erste Predigt in Dahlem zu einem ernsten programmatischen Bekenntnis.“84
Niemöller legt in seiner Antrittspredigt ein Bekenntnis ab, wie er sein Predigtamt auffasst.85 Dabei betont er den Gegenwartsbezug der Verkündigung: Seine Aufgabe sei, „Jesum Christum zu verkündigen als den Herrn, so wie er selbst sich bezeugt hat, so wie die Propheten und Apostel von ihm gezeugt haben in der heiligen Schrift“. Als der Auferstandene sei er „der Herr, der noch heute an Menschenherzen rührt und sich unter uns seine Gemeinde sammelt“. Diese Botschaft will Niemöller der Gemeinde nahebringen: „das alte Evangelium so zu verkünden, dass es als frohe Botschaft inmitten unserer Zeit von den Menschen unserer Tage verstanden wird“. Jesus Christus will heute und alle Tage Herr unseres Lebens sein. Darauf wird der entscheidende Akzent gelegt: ER „will als der Herr gegenwartsmächtig unser Leben regieren und gestalten (…). Diese Gegenwart des lebendigen Herrn zu verkündigen und sie so zu bezeugen, dass sie als die frohe Botschaft von unserer Erlösung verstanden und ergriffen wird, das ist der Dienst, den wir als Knechte der Gemeinde um Jesu willen auf uns nehmen und ausrichten sollen, und in diesem Sinne soll die Verkündigung des Evangeliums modern, d.h. unmittelbar auf die lebendige Gegenwart bezogen sein.“
Niemöller weiß, dass zu solchem Botendienst Mut und Kraft gehören. Aber ihm ist auch klar, „dass der Bote nichts ist und nichts sein darf aus sich selber und für sich selber“. Er kann nur von Gott selbst die Kraft des Predigtamtes empfangen. Sie „liegt nicht in dem Boten, sie liegt in der Kraft der ihm anvertrauten Botschaft, sie liegt darin, dass diese Botschaft in ihrem Boten Leben gewinnt als Freudenbotschaft von der Liebe Gottes, die mir in dem Herrn Jesus Christus zuteil wird. (…) nur als Christusjünger wird der Prediger zum Christusträger.“ Darum will der Prediger sich nach der Kraft Gottes ausstrecken. Er bittet die Gemeinde: „Helft mir, dass ich nicht müde werde!“
Die Antrittspredigt macht deutlich, was sich später vielfach bestätigen wird: Kanzelpathos und rhetorische Kunststücke sucht man bei diesem Prediger vergebens. Neugierige Gelegenheitsbesucher finden bei ihm nicht die erwartete Sensation. Denn er spricht unprätentiös, nüchtern, ohne Umschweife und legt einfach den biblischen Text aus. Was eine Predigt als lebendige Rede auszeichnet, teilt sich beim Nachlesen der gedruckten Predigten nicht mit. Aber die Zuhörer müssen gespürt haben, was dem Lokalredakteur auffiel: den energischen ‚Kampfwillen‘ und den ‚starken Intellekt‘. Alle Zeitzeugenberichte über den Prediger Martin Niemöller heben hervor, dass er ein besonderes Charisma der Rede hatte und seine Zuhörer mit beschwörend eindringlicher Stimme in Bann ziehen konnte. Hinzu kam: Man nahm es ihm ab, dass er für das, was er predigte, einstand und dass er bereit war, die Konsequenzen zu tragen.
So hat es auch Theodor Jänicke erlebt, nach dem Krieg Pfarrer in Dahlem. Er schreibt, Niemöller sei „nicht etwa ein großer Redner“ gewesen. „Die Wirkung seiner Predigten erklärt sich daher, daß man es jedem Satz abspürt, wie der ganze Mensch dahintersteht.“86 Genau damit aber verkörperte Niemöller, was für jede überzeugende Rede unabdingbar ist: „Dies bin ich, und ich meine es so, wie ich es sage“ (Walter Jens).87
Als solcher Prediger fand Niemöller „weit über die Grenzen seiner Dahlemer Gemeinde Anklang“.88 Bereits eine Stunde vor Beginn seiner Gottesdienste waren die U-Bahn-Züge überfüllt. Einer der Schaffner an der Haltestelle Thielplatz rief dann am Sonntagmorgen: „Thielplatz, zu Niemöllers Gottesdienst hier aussteigen!“89 Niemöller und Dahlem: Im Kirchenkampf werden beide, wie sich später zeigen wird, zu Synonymen. Viele, auch kirchlich nicht Gebundene, besuchten Niemöllers Gottesdienste und brachten damit ihre Ablehnung des Nationalsozialismus zum Ausdruck. Bald predigte er vor 1300 Leuten in einer bis auf die Altarstufen vollbesetzten Kirche, wo er auch Gestapo-Spitzel (die er „meine treuesten Zuhörer“ nannte) und ausländische Korrespondenten vor sich hatte, die den deutschen Kirchenkampf aufmerksam beobachteten. Niemöller wusste, dass er bespitzelt wurde, ließ sich aber nicht dadurch einschüchtern. Zu Beginn seiner Vorträge spottete er gern: „Liebe Freunde, auch liebe Herren, die Sie nun mitschreiben, was ich zu sagen habe.“90
Mit seinem Widerstand gegen die Deutschen Christen und seinem Kampf gegen die vom staatlichen Kirchenminister eingesetzten Kirchenausschüsse geriet Niemöller mehr und mehr in die politische Illegalität. In seinen Predigten und Vorträgen wagte er jetzt, „die politischen Methoden des Regimes und das von diesem vertretene ‚Neuheidentum‘ anzugreifen und offensichtliche Unrechtsmaßnahmen beim Namen zu nennen. So wurde Niemöller im In- und Ausland allmählich zur Symbolfigur des kirchlichen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und zog damit den besonderen Zorn Hitlers auf sich.“91 Der Jurist Hans Bernd Gisevius, später ein Kronzeuge des Nürnberger Prozesses, berichtet in seinem Erinnerungsbuch „Bis zum bitteren Ende“ (1946), Hitlers Gesicht habe sich jedes Mal vor Wut verzerrt, wenn der Name Niemöller vor ihm genannt wurde.92
Wie die meisten Pfarrer hatte Niemöller angenommen, Kirche habe nichts mit Politik zu tun, und jede Politisierung der Kirche abgelehnt, während die Deutschen Christen seit 1932 als kirchenpolitische Partei agierten. Durch den NS-Staat wurde er nun ungewollt zum Politikum. Auf der Seite der Bekennenden Kirche trug er nur das mit, was die Kirche in ihrem Amt als Kirche zu sagen hat. Als solche ist sie nicht Opposition zum Staat, sondern hat das Amt der Fürbitte für die Obrigkeit wahrzunehmen. Das heißt allerdings auch, dass sie kein Blatt vor den Mund nehmen darf, wenn es gilt, die Obrigkeit zur Wahrheit und zum Recht zu rufen. Und das tat Niemöller in seinen Predigten und Gottesdiensten mit einer solchen Schärfe und einer solchen geistlichen Vollmacht, dass Hitler, der ständig zwei oder drei Gestapo-Beamte in die Gottesdienste von Niemöller schicken ließ, sich von der prophetischen Schärfe der Predigten persönlich angegriffen fühlte.