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Christus expulsus

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Ein Gegenstand, der den Prediger besonders inspirierte, befand sich dort, wo er seine Predigten vorbereitete. Im Amtszimmer des Dahlemer Pfarrhauses hatte Niemöller seit 1936 den künstlerisch sinnfälligen Ausdruck für die Bedrängnis der Kirche in Gestalt einer Christusfigur vor Augen. Es war der „Christus expulsus“, der ausgetriebene Christus, eine Holzfigur aus Birnbaumholz, die der ihm nahestehende Bildhauer, Druckgraphiker und evangelische Laienprediger Wilhelm Groß (1883–1974) geschaffen hatte.93 Christus erscheint als gebeugte Gestalt mit strengen Gesichtszügen. Der Kopf ist vorgestreckt, beide Arme liegen eng am Körper an. Im Unterschied zur geöffneten rechten Hand ist die linke zur Faust geballt. Groß hat Christus mit Dornenkrone und einem langen Mantel gestaltet. Das verweist auf die Verspottungsszene vor den Soldaten (vgl. Mt 27,27–31), nach der Christus in seinen Kleidern zur Kreuzigung geführt wird.

Wir wissen, dass Groß 1936 die Holzfigur im Auftrag Niemöllers geschaffen hat. Im August teilte er ihm handschriftlich auf einer Karte mit: „Lieber verehrter Bruder Niemöller! Sie kamen mit Ihrem Auftrag für den ‚Christus expulsus‘ einmal näher als ‚Bote‘. Herzlichen Dank! Das Holz ist gerade zubereitet worden, morgen wird begonnen. Wir wären Ihnen nun herzlich dankbar, wenn Sie uns eine Anzahlung machen könnten. Wie ich gestern von einem Mann aus der Kulturkammer hörte (Kirchl. Kunstdienst)94[,] hat sich in der letzten Zeit die Ansicht [durchgesetzt], daß ich die K.K. Karte95 bekomme. Kunst verringert. ‚Weg hast Du allerwegen!‘96 Dankbar, in Fürbitte und herzlicher Verbundenheit Ihr Wilhelm Groß.“97


Abb. 11: Niemöllers Arbeitszimmer in Dahlem, 1941. Vor dem linken Fenster steht die Holzplastik des Christus expulsus von Wilhelm Groß.

Drei Tage später schickte Niemöller mit einem Verrechnungsscheck über 200 Reichsmark einen knappen Dankesbrief. Er spricht dort von einer „Holzausführung des Christus expulsus“, was darauf hindeutet, dass die Skulptur bereits existierte, jedoch ursprünglich aus anderem Material gefertigt war. Das bestätigt ein 1953 bei einer Feierstunde in Berlin anlässlich des 70. Geburtstags von Groß gemachtes Foto, für das die originale Figur wohl extra in Szene gesetzt wurde.98

Aus Niemöllers Predigt vom 8. November 1936 geht hervor, dass Groß als aktives BK-Mitglied an der Oeynhausener Synode im Februar dieses Jahres teilnahm und dort zum ersten Mal eine Vision von jener Gestalt hatte: „Es ist der Herr, der gebeugt unter der Last eines unsichtbaren Kreuzes, gebückt und traurig aus der Kirche auswandert, wo ihm die Gemeinde den Gehorsam verweigert; denn wo das geschieht, da ist seines Bleibens nicht länger. Das Auge des Künstlers hatte recht geschaut, was das Ohr der Jünger hörte: ‚Was heißet ihr mich Herr, Herr[,] und tut doch nicht, was ich sage‘? Auch in der Kirche ist er ausgestoßen. Menschen haben sich auf seinen Platz und Thron gesetzt und weigern sich, sein Wort gelten zu lassen.“99 Nach Niemöllers Deutung ist die Figur ein plastisches Zeugnis für den Ungehorsam der Gemeinde gegenüber ihrem Herrn. Den Niemöller-Kindern erzählte die Mutter, es sei der gekreuzigte Jesus, der sich vom deutschen Volk bzw. der Deutschen Evangelischen Kirche abgewendet hätte.100

Martin Niemöller

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