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2. Trügerische Hoffnungen
ОглавлениеDie Nationalsozialisten hatten bei den christlichen Kirchen die Hoffnung genährt, das kirchliche Leben würde durch den Nationalsozialismus erneuert werden. Davon war auch Niemöller überzeugt, und viele Protestanten waren es mit ihm. Das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 bekannte sich in Artikel 24 zum „positiven Christentum“. Verschiedene Äußerungen Hitlers ließen annehmen, er würde die Kirchen und ihre Seelsorger als Einrichtungen des Volkes achten. Am 21. März 1933 wurde in der evangelischen Garnisonskirche zu Potsdam über den Sarkophagen der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. der Reichstag durch den greisen Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg und Adolf Hitler eröffnet. Diese Inszenierung des ‚Tages von Potsdam‘ suggerierte nicht nur die Versöhnung von Preußentum und Nationalsozialismus, sondern auch von Protestantismus und neuem Staat. Zwei Tage später hatte Hitler in seiner Regierungserklärung versichert, Kirchen und Christentum würden das Fundament für den nationalen Wiederaufbau sein.
Was die Öffentlichkeit kaum bemerkte: Der Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius, hatte am 21. März vormittags in der Nikolaikirche gepredigt und die evangelischen Reichstagsabgeordneten in diesem Gottesdienst, sehr zum Ärger der neuen Machthaber, auf Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit hingewiesen. Nach dem Krieg verbreitete die SED-Propaganda in der DDR, Dibelius habe den Machtantritt Hitlers begrüßt und in der Garnisonskirche vor Hitler die Festpredigt zur Eröffnung des Reichstages gehalten. Das war eine gezielte Falschmeldung, um Dibelius als Sympathisanten der Nazis zu verunglimpfen.137 Hitler nahm an jenem Vormittag an keinem Gottesdienst teil, sondern hielt sich an den Gräbern der „gefallenen Kämpfer“ der NSDAP auf einem Berliner Friedhof auf.
Dem dringenden Rat von Karl Barth folgend, wollte Dibelius mit seiner Predigt im Sinne Luthers den neuen Machthabern ins Gewissen reden. Obwohl ihm sicher nicht daran lag, der Gewaltherrschaft der ‚nationalen Regierung‘ mit ihrer Unterdrückung politisch Andersdenkender eine theologische Legitimation zu verschaffen, konnte man ihn doch so missverstehen, wenn er sagte: „Ein neuer Anfang staatlicher Geschichte steht immer irgendwie im Zeichen der Gewalt. (…) Und wenn es um Leben und Sterben der Nation geht, dann muß die staatliche Macht kraftvoll und durchgreifend eingesetzt werden, es sei nach außen oder nach innen. Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet.“ Im Bauernkrieg habe der Reformator zwar die Obrigkeit zu schonungslosem Vorgehen aufgefordert. „Aber wir wissen auch“, so der Prediger weiter, „daß Luther mit demselben Ernst die christliche Obrigkeit aufgerufen hat, ihr gottgewolltes Amt nicht zu verfälschen durch Rachsucht und Dünkel, daß er Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefordert hat, sobald die Ordnung wiederhergestellt war. (…) Wir wären nicht wert, eine evangelische Kirche zu heißen, wenn wir nicht mit dem Freimut, mit dem es Luther getan hat, hinzufügen wollten: staatliches Amt darf sich nicht mit persönlicher Willkür vermengen!“138 Sechs Wochen später wurde Dibelius durch Staatskommissar Jäger von seinem Amt als Generalsuperintendent ‚beurlaubt‘.
Derselbe Dibelius, der die Benutzung der Garnisonskirche nur unter strengen Bedingungen erlaubte, hatte freilich nichts dagegen einzuwenden, dass die Glocken aller Potsdamer Kirchen zur Eröffnung des ‚Staatsakts‘ eine Viertelstunde lang läuteten.139 Der ‚Staatsakt‘, der von allen deutschen Radiosendern übertragen wurde, ähnelte mit Orgelmusik und gemeinsam gesungenen Chorälen einem Gottesdienst.
Es war daher nicht verwunderlich, wenn zu Beginn des Jahres 1933 der Eindruck vorherrschte, zwischen dem NS-Staat und den christlichen Kirchen bestehe harmonisches Einvernehmen. Davon ging auch Niemöller aus. Mit der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ (die ihren Namen Hitler verdankte), sympathisierte er jedoch zu keiner Zeit. Er teilte zwar im Herbst 1931 noch den „nationalistischen Führermythos“, als er in einer Rundfunkansprache nach einem von Gott gesandten Führer rief. Aber er konnte das Reich Gottes nicht mit einem irdischen Reich identifizieren, also auch nicht mit dem ‚Dritten Reich‘. Während die Deutschen Christen (DC) sich der nationalsozialistischen Ideologie anpassten und eine Kirche vertraten, die ‚Artfremde‘ und ‚Fremdrassige‘ ausschloss, hatte die Kirche für Niemöller allein auf das Wort Gottes zu hören. Im Gegensatz zu den Deutschen Christen hielt er am reformatorischen Prinzip des ‚Sola scriptura‘ (Allein die Schrift) als Maßstab kirchlicher Lehre und Verkündigung fest. Zum Streit musste es daher an der Frage kommen, ob der Herr der Kirche Jesus Christus ist oder eine völkische Weltanschauung. Niemöllers „Kritik am nationalsozialistischen Regime entzündete sich nicht an der brutalen Verfolgung politischer Gegner, zumal der Kommunisten, … sondern erst an den Maßnahmen der nationalsozialistischen Kirchenpolitik und später an der Behandlung der Juden“.140