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8. Pastor einer Bekennenden Gemeinde
ОглавлениеIn der Gemeinde und unter seinen Amtsbrüdern gewann Niemöller durch seine „unverwüstliche frische, humorvolle Art“ viele Anhänger.119 Sein geselliges Wesen und sein Humor erleichterten es ihm, Kontakte zu knüpfen und zahlreiche Leute zu kennen. Er besaß ungewöhnliche Energie und Vitalität, hatte einen scharfen Blick für Zusammenhänge und ein klares Bild von weltanschaulichen Fronten, und er war fähig zu spontanen Entscheidungen. Es fiel ihm jedoch schwer, seine Ziele durch Kompromisse zu erreichen. In Versammlungen der BK wird er in einer „manchmal schroffen kämpferischen Haltung“ auftreten.120 Sein Temperament konnte gelegentlich mit ihm durchgehen, so dass er sich impulsiv äußerte und eine Sitzung mit lautem Türenschlagen verließ, wenn seine Position sich nicht durchsetzen konnte, oder seine Widersacher mit Zwischenrufen irritierte.121
Seit Januar 1934 wurde Niemöller von Franz Hildebrandt (1909–1985) unterstützt, der als sein persönlicher Referent in der Geschäftsstelle des Pfarrernotbundes und als Hilfsprediger in Dahlem vom Preußischen Bruderrat besoldet wurde.122 Hildebrandt war Ende 1933 noch mit Bonhoeffer in London tätig gewesen. Er folgte Niemöllers dringender Bitte, das Sekretariat des Pfarrernotbundes zu übernehmen, nahm am 22. Januar 1934 von Bonhoeffer Abschied und reiste nach Berlin.123 Hildebrandt, der nach den Gesetzen des NS-Staates als „Halbarier“ galt, wurde kurz nach Niemöller von der Gestapo verhaftet und nach Plötzensee in Untersuchungshaft gebracht. Dank der Fürsprache Hans von Dohnanyis und der Tatsache, dass er kein offizielles kirchliches Amt innehatte, kam er wieder auf freien Fuß und verließ Berlin am 17. August 1937, um nach England zu emigrieren.124
Berlin-Dahlem gehörte zu den wenigen (etwa 5–8 %) Gemeinden in Deutschland, wo sich „eine dominierende BK-Gemeinde erfolgreich dem Umwandlungs- und Anpassungsdruck durch DC und NS-Regime zu widersetzen [vermochte]“.125 Aus dem Bericht einer Zeitzeugin geht hervor, dass die Gemeinde stets gut orientiert war, weil Niemöller sie an allen wichtigen Entscheidungen teilnehmen ließ. „Die Offenen Abende im Pfarrhaus und später im überfüllten Gemeindesaal, gelegentlich auch in der großen Jesus-Christus-Kirche, setzten die Gemeinde instand, bei den kirchenpolitischen Entscheidungen zu wissen, was vorging und warum man so und nicht anders urteilen und handeln müsse. Und die Gemeinde erfuhr, was sie und was ihre einzelnen Glieder tun und lassen könnten, um … beteiligt zu sein an dem Kampf darum, dass Kirche Kirche bleibt und wird.“126 Die Abende „wurden 14-tägig montags abgehalten, zunächst noch im Pfarrhaus Cecilienallee 61; später mussten sie in den Saal des Gemeindehauses Thielallee verlegt werden“.127 Ein Freund, der häufig an den offenen Abenden teilnahm, schrieb darüber: Die Zuhörer kamen „aus ganz Berlin zusammen. Denn der Durchschnittsbürger liebt das Gruseln, das ihn, den Furchtsamen[,] überläuft, wenn ein anderer furchtlos ausspricht, was er selber denkt, aber nicht zu sagen wagt. Wir warteten jeden Augenblick, dass ihn die Gestapo vom Rednerpult herunterholen würde, wenn er die Lügen von Goebbels oder die Gotteslästerungen von Ley brandmarkte.“128
Die Mehrheit des Gemeindekirchenrates stand auf Seiten der Bekennenden Kirche. Das lag an der „entschiedene[n] Haltung der drei Pfarrer, die der Gemeinde den Rücken stärkte. Andererseits war im Gegenzug die Wendung der Gläubigen zu Bibel und Bekenntnis eine große Ermunterung und Stärkung ihrer Pfarrer“.129 Alle drei Pfarrer waren Mitglieder sowohl der Bekenntnissynode der Altpreußischen Union als auch der Synode der Deutschen evangelischen Kirche in Barmen. Fritz Müller und Martin Niemöller wurden sowohl Mitglieder des Rates der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union als auch des Reichsbruderrates. Wie alle der BK zugeordneten Gemeinden erkannte Dahlem die Kirchenbehörden der dem NS-Staat gleichgeschalteten Reichskirche nicht an und versuchte, die Finanzen, die sie an die Landeskirche abzuführen hatte, der BK zukommen zu lassen.
Als der Staat im Jahr 1935 direkt in die kirchliche Vermögensverwaltung eingriff und mit den sogenannten „Kirchenausschüssen“ neue Kirchenleitungen in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) berief, widersetzten sich die an den Beschlüssen der Bekenntnissynoden festhaltenden Organe der BK. Die 4. Bekenntnissynode der DEK in Bad Oeynhausen erklärte im Februar 1936: „Die Ausübung der Kirchenleitung durch den Staat oder aufgrund staatlicher Berufung widerspricht der Lehre der Reformatoren und der reformatorischen Bekenntnisschriften. Weltliche Obrigkeit greift in ein fremdes Amt ein, wenn sie aus eigener Macht der Kirche eine Leitung setzt.“130 Welch ein Wandel in der kirchlichen Haltung gegenüber dem Staat wird hier im Vergleich mit 1918/19 erkennbar! Am Eingriff des NS-Staates zerbrach die BK. Ein Teil ihrer Mitglieder meinte, in den Kirchenausschüssen mitarbeiten zu können, ein anderer Teil bestand dagegen auf der von der 2. Bekenntnissynode in Dahlem im Oktober 1934 entwickelten Position, Bekennende Kirche weiterhin auf der Basis kirchlichen Notrechts aufzubauen. Diejenigen, die den Anspruch von Dahlem aufrechterhielten, wurden im damaligen kirchlichen Jargon als „Dahlemiten“ bezeichnet. Ihr Kurs wurde entscheidend von den beiden Pfarrern Niemöller und Müller bestimmt, während Pfarrer Röhricht mit dem staatlich eingesetzten Kirchenregiment zusammenarbeitete.