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II. Der Weg in die kirchliche Opposition 1. Ein Pfarrer erkennt seine Verantwortung
ОглавлениеIn den Dahlemer Jahren haben sich Martin Niemöllers politische Vorstellungen unter dem Eindruck der Kirchenpolitik des NS-Staates allmählich verändert. Waren sie in der Weimarer Zeit zunächst noch stark von traditionellen Auffassungen und der Bindung an Volk und Vaterland bestimmt, so führten die Erfahrungen im Kampf um das Kirchenregiment ab 1933 mehr und mehr dazu, dass Niemöllers „Illusionen über die kirchen-freundliche Haltung von Partei und Regierung und über die christlichen Grundlagen ihrer Politik zerstört werden“.131 Wie kam es dazu?
Aufgrund seines bisherigen Lebensweges wäre zu erwarten gewesen, dass Niemöller in führender Position die in der Kirche tätigen Nationalsozialisten unterstützte, die die evangelische Kirche mit dem neuen politischen System ‚gleichschalten‘ wollen. Doch auf Seiten der Deutschen Christen ist er nicht zu finden. In seiner Neujahrspredigt 1933 spiegeln sich Sorge und Zukunftsangst.132 Er teilt nicht die allgemeine Euphorie; bei der Machtergreifung befällt ihn Beklemmung.
Jürgen Schmidt hat in einer gründlichen Studie gezeigt, dass Niemöller im Kirchenkampf wie in seinen kirchlichen Ämtern zuvor „seine theologischen Anschauungen … jeweils aus dem Zusammenhang des spezifischen kirchlichen Aufgabenbereichs und aus der Bindung an den ursprünglichen Auftrag des Predigers und Seelsorgers, den Missionsbefehl Jesu Christi“,133 entwickelt hat. Niemöller hat dies bestätigt. Seine Sicht der Lage und der Aufgabe, die er daraus für sich ableitete, bildete sich erst im Bereich des von ihm wahrgenommenen Pfarramts. Im Rückblick erzählte er:
„Ich habe ja erst mal zwei Jahre als Gemeindepfarrer in Dahlem gelebt … und die Politik, das war eine Randerscheinung für einen Gemeindepfarrer damals … Ich habe keine politische Aufgabe von mir aus … angepackt, sondern ich habe gefragt, was bedeutet diese politische Aufgabe für das Wirken in meinem Tätigkeits- und Berufungsbereich als Pastor. Das heißt, was geht mich das als Pastor an, weil die Nazis überall diese Deutschen Christen hinsetzen. Und meine Gegner sind nicht die Nazis, sondern meine Gegner sind die Deutschen Christen, bis man merkte, daß die Deutschen Christen die Leute waren, denen Hitler über Jesus Christus ging. Und das war dann die Geburtsstunde der Bekennenden Kirche.“134
Seit 1924 hatte Niemöller nationalsozialistisch gewählt, war jedoch der Partei nicht beigetreten. Im Dezember 1930 bestellte er sich Hitlers Buch „Mein Kampf“, das er in den folgenden Jahren kontinuierlich las. Anscheinend fand er darin Leitsätze eines politischen Programms, das er weitgehend akzeptieren konnte. Seine national-revolutionäre Weltanschauung berührte sich mit Hitlers Auffassung, alle Politik hätte „der Wiederherstellung nationaler Eigenständigkeit und Größe zu dienen“.135 Die Normen politischer Ethik wurden abgeleitet von Aufgaben, die Vaterland und Volksgemeinschaft dem Einzelnen stellten; die soziale Frage schien lösbar durch ein gestärktes nationales Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch die Verherrlichung des Krieges, die Verurteilung der Novemberrevolution, die Kritik an den Versailler Verträgen und die Polemik gegen den Marxismus dürften sich mit seinen eigenen Ansichten berührt und seine Zustimmung gefunden haben. Allerdings führte Niemöller „die politischen, gesellschaftlichen und geistigen Krisenerscheinungen nicht auf den Einfluß des ‚Weltjudentums‘, sondern auf die ‚Entchristlichung‘ der Bevölkerung zurück“.136