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3. Gegen die ‚Gleichschaltung‘ von Staat und Kirche
ОглавлениеGegen die Deutschen Christen formierte sich zunächst eine evangelische Gruppe, die sich „Jungreformatorische Bewegung“ nannte. Neben den Theologen Walter Künneth und Hanns Lilje gehörte auch Niemöller dem Vorstand dieser Bewegung an. Die Jungreformatoren hielten Kirche und Staat, entsprechend der neulutherischen Zwei-Reiche-Lehre, für zwei aufteilbare Verantwortungsbereiche. Sie bejahten den Staat als die gemäß Römer 13 von Gott verordnete Obrigkeit. Daher bekundeten sie wie die DC ihre Loyalität gegenüber dem nationalsozialistischen Staat, beriefen sich jedoch anders als die DC auf die Freiheit der Kirche von aller politischen Einflussnahme. Bei den kommenden kirchenpolitischen Entscheidungen sollte „allein aus dem Wesen der Kirche heraus“141 gehandelt werden. Bald zeigte sich, dass der totalitäre Staat keine solche Einschränkung duldete. Die Ansicht, man könne einen gesellschaftlichen Bereich unabhängig von ihm nach anderen Gesetzen gestalten, verkannte den Machtanspruch der Diktatur.
Als die DC Anfang April 1933 in Berlin ihre erste Reichstagung abhielt, hatten die Nationalsozialisten längst Tatsachen geschaffen, die die Richtung ihrer Politik deutlich machten: Das ‚Ermächtigungsgesetz‘ vom 24. März verschaffte Hitler uneingeschränkte Machtbefugnisse, am 1. April rief die NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte auf, um die Bürger auf das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ vom 7. April 1933 vorzubereiten, das sich gegen jüdische Beamte richtete.
Die Deutschen Christen forderten den Zusammenschluss der 28 Landeskirchen zu einer Reichskirche, der ein Reichsbischof vorstehen sollte, auf der Basis eines ‚artgemäßen‘ Christentums. Bald danach erarbeiteten drei Kirchendelegierte im Auftrag des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses die neue Reichskirchenverfassung: Hermann Kapler, Präsident des altpreußischen Oberkirchenrates, für die unierten Kirchen; der hannoversche Landesbischof August Marahrens für die lutherischen Kirchen; der Moderator des Reformierten Bundes, der Elberfelder Pfarrer Hermann Hesse, für die reformierten Kirchen. Mitbeteiligt war allerdings noch ein Mann, der keinen kirchlichen Auftrag hatte: der Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller, den Hitler zu seinem ‚Beauftragten für evangelische Angelegenheiten‘ ernannt hatte.
An der Frage, wer künftig als Reichsbischof souveräner ‚Führer‘ der Reichskirche sein sollte, brach der Konflikt zwischen der Jungreformatorischen Bewegung und den Deutschen Christen auf. Die DC drängten auf ihren Kandidaten Ludwig Müller. Die Jungreformatoren nominierten dagegen Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh, den Leiter der Betheler Anstalten, der für die kirchliche Liebestätigkeit der Inneren Mission stand. Der neue Bischof der westfälischen Kirche, Pfarrer Gerhard Stratenwerth, sorgte dafür, dass sein alter Bekannter Martin Niemöller neben ihm einer der ‚Adjutanten‘ von Bodelschwinghs wurde. Am 27. Mai 1933 wählten die Repräsentanten der 28 evangelischen Landeskirchen von Bodelschwingh.
Doch der neue Reichsbischof von Bodelschwingh, ein versöhnlicher Mann, der sein Amt als Dienst versteht und sich lieber ‚Reichsdiakon‘ genannt hätte, muss nach vier Wochen zurücktreten. Eine anhaltende, vom zentralen Presseamt der DC gesteuerte Hetzkampagne hatte ihm zu schaffen gemacht, aber auch mangelnder Rückhalt in jenen lutherischen Landeskirchen wie der bayrischen, die vor allem ihre eigenen Interessen verfolgten. Ende Juni 1933 gab die NS-Regierung ihre offiziell neutrale Haltung gegenüber der evangelischen Kirche auf und setzte einen Staatskommissar, den preußischen Juristen August Jäger, zur Leitung der Kirchen der altpreußischen Union ein. Im Eiltempo wird eine neue Kirchenverfassung erstellt. Bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 leistet Hitler mit einer Radioansprache, flankiert von Partei- und Staatsstellen, massive Wahlhilfe für die Deutschen Christen. Zugleich wird die abweichende Gruppe ‚Evangelium und Kirche‘ (so nennen sich die Jungreformatoren) fortwährend behindert. Eine Woche vor dem Wahltermin durchsuchen SA-Männer Niemöllers Wohnung und beschlagnahmen Material für die Kirchenwahlen. Auf diese Weise erreichen die DC eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Ludwig Müller wird Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche.
Damit ist die ‚Gleichschaltung‘ der evangelischen Kirche weitgehend gelungen. Fast überall kontrollieren die DC die landeskirchlichen Synoden. Im Dahlemer Kirchengemeinderat war die DC unterlegen. Hier ergab sich das Stimmenverhältnis: sechs für ‚Evangelium und Kirche‘, zwei für die DC. In der Gemeindeverordnetenversammlung waren es 23 für ‚Evangelium und Kirche‘, 17 für die DC.142 Martin Niemöller muss erkennen: Aus dem kirchenpolitischen Kampf gegen die DC ist ein staatspolitischer Kampf geworden. Nachdem Partei und Staat sich offen auf die Seite der DC gestellt haben, erscheinen deren Gegner nun als ‚Staatsfeinde‘, die sie nicht sein wollen.