Читать книгу Das große Hochstapeln - Michael Waldek - Страница 12
Оглавление8. Kapitel
Nein, hier wohnen nicht die Nubier, liegt Schi Tot richtig
Ein helles leises Bimmeln lässt Schi Tot aufwachen. Sie fühlt sich entspannt. Jetzt hellwach, schaut sie sich vorsichtig in einer fremden Welt um. Nein, das ist nicht das Land der Nubier. Was ist bloß passiert? Alles ist anders. Das Licht ist warm, der Duft des Raumes und die leisen unbekannten Klänge aus der gewölbten Decke, das alles kann sie nicht deuten. Sie ist allein in einem fremden Raum.
Sie versucht sich zu erinnern. Schi Tot sieht ihren traurigen Freund beim Abschied und beginnt zu zweifeln, ob denn die spontane Abreise zu den Nubiern die richtige Entscheidung war. Ihre Reiseerinnerungen sind merkwürdig unklar. Sie erinnert sich nur nebulös, dass sie sich mit einem Leihkamel einer Karawane von Fußballanhängern angeschlossen hatte, die ihre Mannschaft bei einem schweren Auswärtsspiel im Raum Assuan unterstützen wollten. Um die Anstoßzeit nicht zu verpassen, war die Reisegeschwindigkeit der Schlachtenbummler extrem hoch. Schi Tot wollte mithalten, um nicht allein die weite Wüste durchqueren zu müssen. Allmählich wurde sie immer schneller, viel schneller als das schon immense Tempo der johlenden Liebhaber des Rasensports. Die Konturen der vorbeifliegenden Landschaften konnte sie nicht mehr wahrnehmen. Alles geriet zu einer chaotischen Bilderflut. Schi Tot versuchte verzweifelt, ihr Leihkamel zu stoppen. Vergeblich. Es war wie ein Alptraum. Und plötzlich fühlte sie sich, als würde sie schwerelos schweben. Ein angenehmes Schwingen all ihrer Sinne folgte. Die Wahrnehmung faszinierend neuer und fremder Bilder begann sich langsam durchzusetzen. Nein, das hier ist nicht der Südsudan.
Der Raum ist in hellen Pastellfarben gehalten, die seltsam matt leuchten. Der blitzblanke Boden glänzt zurückhaltend und korrespondiert mit den Farben des Raumes. Die Ausstattung ist schlicht und funktional, keinerlei Ornamentik oder Ausschmückung ziert die Möbel.
Schi Tot konzentriert sich nun auf den Mann, der soeben den Raum betritt. Es ist ein freundlich wirkender älterer Herr mit wirren weißen Haaren und mit dichtem Oberlippenbewuchs. Er stellt sich mit dem Namen Albert vor und gibt an, dass sein Markenzeichen der Verstand sei. Dabei lächelt er verstohlen. Normal ist, dass sich sonst ältere Herren immer als Kriegshelden, als erfolgreiche Geschäftsleute oder zumindest als umjubelter Mann der Künste den jungen Damen vorstellen. Nein, nicht so Albert. Der würdigt die Schärfe seiner Denkprozesse. Das macht Schi Tot neugierig. Auf dem Salontisch stehen erlesene Speisen und Getränke bereit, die Schi Tot zwar kennt, aber sehr selten zu sich nimmt. Das Einkommen als Künstlerin ist schmal und der Preis für die dargebotenen Köstlichkeiten sehr hoch. Nur in speziellen Delikatessgeschäften sind diese schmackhaften Lebensmittel erhältlich. Gern nimmt sie das verführerische Angebot an. Sie beginnt die Situation ruhig in sich aufzunehmen. Das fällt ihr leicht, da der ältere Herr eine angenehme vertrauenserweckende Aura versprüht. Sie fragt ihn, wo sie sich denn befinde. Das hier sei ein angenehmer, aber doch merkwürdiger Ort. Albert lächelt ausweichend und bittet Schi Tot, dass sie sich zunächst vorstellt.
Ihr Markenzeichen sei Schmuckdesign und auch ein wenig Wohnraumausstattungen kleinerer Dimension, beginnt sie über sich zu sprechen. In einer ganz gut frequentierten Boutique verkaufe sie diese Dinge, die sie in den hinteren Räumen in einer kleinen Werkstatt selbst entwirft und auch herstellt. Ihre Kundschaft seien meist Frauen aus der Mittelschicht. Schi Tot mag diese Kundschaft, weil sie mit ihrem ästhetischen Geschmack zwischen Krempel und Kunst unterscheiden können. Kunden, die ihre Identität dem Geldbeutel zuordnen, seien nicht ihre Zielgruppe. Deshalb verarbeite sie auch kein Gold, das sei der oberen Schicht vorbehalten. Sie weiß, wie schwer die Goldminenarbeiter im fernen Nubien schuften müssen, um das edle Metall zu gewinnen. Deshalb hat sie Skrupel, Gold zu Schmuck zu verarbeiten. In Mode gekommen sei, dass die Reichen sogar Goldgaben in die Gräber beigelegt bekommen, zumeist prächtige und faszinierende Schmuckstücke. Nein, das sei nichts für sie. Sie verarbeite gern Lederbänder mit den Halbedelsteinarten Türkisen und Amethysten für geschmackvolle Halsketten und Armreifen. Weiterhin verarbeite sie auch gern Schilfrohr für die Anfertigung von leichten Sandalen mit dicken und strapazierfähigen Sohlen. Der Clou in ihrem Geschäft seien allerdings die nach eigenem Geheimrezept hergestellten Pastillen gegen Mundgeruch, eine Mischung aus Bockhornkleesamen, unterrührt mit Weihrauch, Myrrhe, Wachoderbeeren, Harz, Rosinen und Honig. Diese Mischung forme sie zu kleinen schwarzen Kügelchen, die geröstet in einem kleinen hübschen Kästchen aus Zedernholz angeboten werden. Sie lebe bescheiden und finde ihren Lebenssinn in der Kreativität. Dass sie unverheiratet sei, verdanke sie ihrem Drang nach frei bestimmter Individualität. Dass sie ständig umworben werde, sei ihr angenehm und stärke ihr Selbstbewusstsein. Wenn sie denn je eine feste Beziehung einginge, dann vielleicht mit einem verrückten Bauleiter, der sich entschieden habe, ein Bauprojekt zu realisieren, welches noch völlig unklar in der Ausführung sei und deshalb als die Herausforderung seines Lebens betrachtet werden kann. Wie gesagt, ein Verrückter.
Albert sagt nun, dass genau wegen dieses Bauvorhabens sie hierher „gebracht“ wurde. Das ist der Plan. Schi Tot zögert eine Weile, bestätigt zunächst ihre Neugier, dann ihr Einverständnis zur Mitwirkung.
Albert erläutert nun seine Absichten. „In der hohen Ebene sei bekannt, dass Cheops ein Bauprojekt verfolge, welches das Team um den Architekten und der Bauleitung niemals mit den traditionellen Bautechniken bewältigt werden könne. Deshalb müsse ein Weg gefunden werden, dem Ausführungsteam unter die Arme zu greifen. Zunächst sei es wichtig, dem Bauherrn zu vermitteln, dass das zugestandene Budget im Vergleich zum beauftragten Wüstenkoloss in keinem plausiblen Verhältnis stehe. Dieser Größenwahn müsse unterbunden werden. Sie könne hierzu einen wichtigen Beitrag übernehmen, sie sei der Weg.“
Albert schaut Schi Tot nun tief in die Augen. Seine Stimme wird monoton und er verlangsamt das Tempo seiner Ansprache. Die Wirkung auf ihren Fitnesszustand erfolgt prompt, Schi Tot wir schlagartig müde und erstarrt regungslos. Albert legt seine Hände auf die Schläfen der jungen Frau und beginnt die Beschwörung:
„Schi Tot, so erhöre! Ich liefere die Formel, du die kreative Leistung mit der Überzeugungskraft deiner faszinierenden Aura. Du wirst am Hofe des Pharao mit Deiner Ausstrahlung suggerieren können, dass ein Polyeder als ideale Pyramide bei weitem die Ästhetik des geplanten plumpen Würfels übertreffe. Dies entspricht dem Wunsch des Fachausschusses für Erdenangelegenheiten der hohen Ebene.“