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12. Kapitel

Ein Arbeitsgrillen

Es ist später Nachmittag in Gizeh. Die Sonne brennt noch unbarmherzig. Echt-Natron hat vom Pharao ein hübsches Wassergrundstück am Nil zur Nutzung überlassen bekommen. Er bewohnt sozusagen ein Dienstgrundstück. Es liegt etwas abseits von anderen privaten Grundstücken und ist durch den üppigen Bewuchs von Pflanzen und Sträuchern kaum zu finden. Hier kann der Projektleiter bis zur Vollendung des Auftrages arbeiten, wohnen und auch grillen. Die Temperaturen sind durch den kühlenden Wind, der über den Fluss weht, etwas angenehmer als in der Stadt. Also alles bestens, um der Einladung zu einem Arbeitsgrillen zur Vorbereitung der Grundsteinlegung auf Echt-Natrons Grundstück zu folgen.

Eingeladen sind Frau Notvertrete mit Ihrem Mann, der Architekt mit seinem Hund und ich mit Durst und Hunger. Ja, genau in dieser Reihenfolge. Bei der Begrüßung des Gatten seiner Chefsekretärin ist mir eine gewisse Kühle beim Handschlag meines Chefs aufgefallen. Frau Notvertrete begrüßt Echt-Natron hingegen mit einer sehr herzlichen und langen Umarmung. Den Hund des Architekten begrüßt mein Chef mit intensivem Durchwuscheln seines dichten Fells. Der Hund quittiert diese Zuneigung mit heftigem Schwanzwedeln, was nun wiederum die Zufuhr angenehm kühlerer Luft verstärkt. Mich begrüßt er gar nicht. Ich schließe daraus, dass ich bereits zu seinem Inventar gehöre.

Echt-Natron hat eingeladen, um mit uns in angenehmer Umgebung die Modalitäten der beabsichtigten Grundsteinlegung zu besprechen. Der Wesir für Städtebauangelegenheiten meint, dass dieser traditionelle Brauch der Bauleute durchaus die Dimensionen eines Staatsaktes haben könnte. Da seien uns keine Grenzen gesetzt. Wir treffen uns deshalb in angenehmer Atmosphäre, um einen Vorschlag an den Bauherrn zu erarbeiten.

Im Moment sind wir alle etwas aufgewühlt. Wir benötigen dringend Ablenkung von den schlaflosen Nächten und der Ungewissheit zur Höhe der zu erwartenden Strafe. Weiß Cheops von den gedanklichen Auslassungen während des Trinkgelages, oder weiß er es noch nicht? Frau Notvertretes Herz schlägt immer bis zum Anschlag, wenn der Postbote die tägliche Post bringt. Heute jedenfalls war wieder keine Post von Cheops oder der Projektsteuerung in der Sendung. Keine Kündigung, keine wüsten Beschimpfungen, nichts. Eine ungeheure Quälerei, diese Ungewissheit. Im Nachhinein bereuen wir unsere Unbeherrschtheit und Fahrlässigkeit, denn es gilt als lebensgefährlich, sich über die historischen Bestattungsrituale der ägyptischen Pharaonen vor Cheops lustig zu machen. Das sind Nationalheiligtümer und ein Beschädigen derer Würde ist durch nichts zu entschuldigen. Es geht bergab mit den Toten, hinab in die Finsternis. Das klingt nun überhaupt nicht mehr lustig. Und Cheops sollte als Verstorbener in Richtung Gestirne ein Stück getragen werden und dann noch die Idee mit der Seele, die durch die Entrauchung zu den Göttern gelangt … Furchtbar, diese Gewissensbisse.

Also versuchen wir, dieses Martyrium des Gewissens mittels gutem Essen und ein paar kühlen Getränken zu erleichtern. Gegrillt wird von Echt-Natron persönlich mariniertes Nilmöwenfleisch. Nur die besten Stücke dieser wertvollen Tiere hat er für uns vorbereitet. Es sind die saftigen Flügel. Die Flügel haben durch die starke Flugmuskulatur einen hohen Fleischgehalt, denn die Ägypter haben mit der Entwicklung eines alternativ besseren Kommunikationssystems angefangen, diese Tiere zu Briefmöwen auszubilden. Zu Beginn dieser postalischen Epoche hat man versucht, die allgegenwärtigen Tauben für dieses Nutzungssegment zu trainieren. Da die meisten Briefe jedoch aus schweren Tontafeln bestanden, scheiterten die Flugversuche mit Brieftauben kläglich. Man suchte Alternativen und fand heraus, dass das Traglastvermögen der Nilmöwen immens höher ist. Die Tiere bestanden die Eignungstests und vollbringen seither wertvolle Kurierdienste. Am Ende ihrer Briefmöwenkarriere stehen sie dann mit ihrem saftigen Fleisch den Anhängern des Grillens zur Verfügung. Zu den gegrillten Briefmöwenflügeln wird Brot, getrockneter Fisch und Gänsefett angeboten. Kleine Schälchen mit geschnittenem und gesüßtem Obst ergänzen den opulenten Schmaus. Frau Notvertrete hat ihre vorzüglichen Plätzchen mitgebracht. Alle wollen den späten Nachmittag genießen und das drohende Ärgernis mittels Grillparty verdrängen. Wir plaudern und tauschen uns darüber aus, ob die gegenwärtigen Spannungen an der Staatsgrenze zum Reich der Hethiter eine kriegerische Konsequenz haben könnte. Wir diskutieren, ob denn die früheren Waffenexporte der modernen Kriegsgeräteindustrie Ägyptens zu diesem Nachbarn sich jetzt nicht rächen würden. Wir tauschen uns aus, welche Trainer unserer höchsten Fußballstaatsliga als nächster beurlaubt werden würde und machen uns lustig über die ägyptischen Kandidaten für den demnächst bevorstehenden internationalen Sängerwettbewerb.

Echt-Natron unterbricht mit einem Räuspern die lockeren Unterhaltungen und erinnert, dass jetzt die Grundsteinlegung zu besprechen wäre. Frau Notvertrete solle ein Gedankenprotokoll zur Vorlage beim Bauherrn anfertigen. Echt-Natron verliest die Gästeliste, die er vom Wesir für Städtebauangelegenheiten erhalten hat. Die Gäste sind fein säuberlich nach Rang und Bedeutung aufgelistet. Ganz oben auf der Liste stehen die Herrschaften der Oberschicht. Cheops und sein Hofstaat, dazu die Wesire und der Heerführer. Es folgen der Mittelstand mit den Hohen Priestern der Projektsteuerung, Hofärzten, einem Vertreter des Wehrbeauftragten, Eventmanagern, dem Staatsekretär für Kostengruppenangelegenheiten am Finanzministerium und mit den Journalisten der überregionalen Presse für Ober- und Unterägypten. Auch die Sterneköche des Pharaos stehen in der Mitte der Gästeliste. Am Ende der Liste schließlich sind die Journalisten der Lokalpresse, die Mitarbeiter der Bauabteilung und des Architekten, 150 Mann Sicherheitsdienst, Vertreter der beauftragten Firma und die Luftzuwedler für die VIP-Bereiche der Ehrentribüne als Unterschicht aufgeführt. Wir fragen uns, warum keine seriösen Geschichtsschreiber eingeladen sind. Über die Presse erhält die Öffentlichkeit in der Regel nur geschönte Berichte. Die journalistischen Interpretationen höriger Hofschreiber bergen die Gefahr, dass die Nachwelt von diesem Staatsakt nur unscharf Kunde erhält. Das verwundert.

Die Erfahrungen bisher vollzogener Grundsteinlegungen von Regierungsgebäuden fließen nun zügig in die Vorschläge zum Verlauf ein. Eine komplette Überdachung der Festarena, als Sonnenschutz für die Gäste, ziehen wir nicht in Erwägung. Lediglich die Sitzflächen für die Eliten im VIP-Bereich bekommen eine Sonnenschutzüberdachung. Den Festrednern soll ein gewisser inhaltlicher Rahmen und eine begrenzte Sprechzeit vorgegeben werden. Eröffnen soll der Wesir für Städtebauangelegenheiten und die göttlichen Eingebungen des Cheops herausstellen. Seine Anweisung zu dieser großartigen Tangentialbebauung der Hauptstadt Memphis wird einen architektonischen Glanzpunkt erschaffen. Heerscharen von Ägyptern und Touristen aus aller Welt werden dieses Monument besuchen und der einheimischen Fremdenverkehrsindustrie zu neuer Blüte verhelfen. Das Bauwerk ist eine Investition in eine strahlende Zukunft Ägyptens. Dafür werden die Menschen diesen Pharao für die Ewigkeit danken und gottgleich verehren. Danach soll als zweiter Redner der Staatssekretär für Kostengruppenangelegenheiten aus dem Finanzministerium vom Stand der Bemühungen um die Finanzierung berichten und so vorgeben, als könne dieses gewaltige Werk nur mit geringen und vernachlässigbaren Steuererhöhungen gestemmt werden. Das ist ein typischer Reflex von Finanzpolitikern, der Verlässlichkeit suggerieren soll.

Als dritter und letzter Redner soll der Architekt den Bauherrn ob seiner präzisen und scharf umrissenen Aufgabenstellung huldigen und sich vor dem großen Auftrag in Demut verneigen. Er soll der Ausführungsfirma Mut zusprechen, große Energie und gutes Wetter wünschen und nochmal darauf hinweisen, dass der Endtermin und die Kostenobergrenze mit astrophysikalischen Konstanten vergleichbar sind. Also, eine lockere Ermahnung an die Adresse der Ausführung, wenn denn eine Unterwanderung dieser Ziele beabsichtigt sein sollte. Zum Ende der Rede soll der Architekt eine freudige Überraschung verkünden. Cheops hat angewiesen, dass alle am Bau Beteiligten über die gesamte Bauzeit in Maßen Freibier ausgeschenkt bekommen, wobei hier nicht die Bierkruggröße gemeint sei. Wir schauen San-Rah an und bemerken in seinen Augen diese abwesende Traurigkeit. Ich will ihn aufmuntern und zeichne sinnbildlich mit bunten Bildern die Mienen der Kollegen der Sicherheit- und Gesundheitsschutzkoordination zum freien und unbegrenzten Ausschank des Freibiers. Die dürfen da nichts machen. Anweisung von Cheops. San-Rah quält sich zu einem Lächeln. Er sieht sich nicht als Schlussredner. Eher wird wohl seine Todesanzeige verlesen, gibt er sich pessimistisch. Es bleibt schwer, unseren Architekten aufzulockern.

Wir kommen zu einem schwierigen Thema. Wo und wie platzieren wir die Kartusche mit den traditionellen Beigaben einer ordnungsgemäß durchgeführten Grundsteinlegung. Die Grundsteinkartusche wird aus gehämmertem Kupferblech gefertigt. Während der feierlichen Zeremonie werden vom Moderator des Events die aktuellen Tageszeitungen der Regionalpresse, die Pläne des Architekten, die Baubeschreibung und die gültigen und anerkannten Zahlungseinheiten, in dem Fall die standardisierten Goldgewichte mit dem Hieroglyphensymbol des Cheops, in die Kartusche eingeführt und vor aller Augen mit einem Deckel fest verschlossen. Dieser Akt soll sich besonders feierlich vollziehen. Ein Chor mit 100 jungen musisch ausgebildeten Frauen und 50 Knaben vor Stimmbruch singt dazu die extra für diesen Anlass komponierte Hymne „Marmor, Stein und Eisen bricht – aber dieser Steinhaufen nicht“. Dazu sollen zehn gehisste Flaggen des Pharaonenreiches wehen. Bei Windstille sollen die Frischluftspender von der Ehrentribüne beim Intonieren der Hymne kurz einspringen und die Flaggen durch heftiges Wedeln in die Horizontale bringen.

Und wo platzieren wir den Grundstein? Fundamente gibt es nicht. Der Grundstein soll so untergebracht werden, dass es schwierig sein wird, ihn zu finden und zu bergen. Die verschlüsselten Nachrichten sollen tausende Jahre verborgen bleiben. Wir sollten konzeptionell dafür sorgen, dass das auch klappt. Unsere Aufgabe wird sein, eine eigens für den Grundstein vorgesehene Kammer, in 57 Königsellen (2) Tiefe unter der Basishöhe der Pyramide errichten zu lassen. Diese soll den Anforderungen einer geheimen Lagerung genügen. Dem Architekten schwebt hier eine Kammergröße von 30 x 15 x 9,5 Königsellen (2) vor. Das ist gewaltig, denn die Kammer muss über einen steilen Gang erreichbar sein und all diese Anlagen unter der Geländehöhe 0.00 sind in den Fels zu schlagen. Ein irrer Aufwand, aber dem Anlass angemessen. Die 3 Hammerschläge auf die Abdeckplatte der Kartusche mit den Wünschen zum guten Gelingen sollen von den Rednern der Grundsteinlegungszeremonie dann in 57 Königsellen Tiefe durchgeführt werden. Zur Verwirrung der Nachwelt soll diese Kammer den Namen „unvollendete Kammer“ bekommen. Auch weil bewusst Schuttmassen aufgehäuft werden, die diesen unfertigen Eindruck vermitteln werden. Niemand soll einfach herausfinden, dass da der Grundstein mit erheblichem Informationsgehalt liegt.

Die Grillparty ist im vollen Gange, wir lassen uns die Köstlichkeiten schmecken. Das ist das Signal für den vielleicht wichtigsten Punkt der Besprechung. Es geht um die Bewirtung der Gäste der Grundsteinlegung. Echt-Natron will die Entwürfe der Speise- und Getränkekarte gerade vortragen, als plötzlich starker Lärm aus Richtung Grundstückszufahrt zu vernehmen ist. Drei prächtig geschmückte Streitwagen mit ebenso geschmückten Kampfrossen wirbeln mit rasanter Geschwindigkeit den Zufahrtsstaub hoch in die Luft. Wir erkennen sofort, dass diese Gefährte direkt aus dem Fuhrpark des Pharao stammen. Die gleichzeitig von den Streitwagenlenkern gerufenen Stoppsignale an die feurigen Rosse dröhnen wie Unheil ahnende Fanfaren aus tausend Posaunen. Wir zucken zusammen und erstarren. Der Offizier der Abordnung, in frisch gereinigter Kampfkleidung, stellt sich mit breiten Beinen und mit der linken Hand an der gepanzerten Brust vor uns hin und fordert uns auf, alles stehen und liegen zu lassen und im Streitwagen widerstandslos Platz zu nehmen. Wir hätten sofort beim Pharao zu erscheinen. Der Offizier kündigt Gewalt bei Nichtbefolgen dieses pharaonischen Befehls an. Die Blicke des Offiziers und das Gelächter der ihn begleitenden Mannschaften machten die zaghafte Frage von Frau Notvertete, ob wir noch aufessen dürfen, zunichte. Auf unsere zurückhaltende Frage, ob ein Haftbefehl vorliegt, wird harsch mit „nee, schlimmer“ geantwortet.

Das große Hochstapeln

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