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13. Kapitel

Vom Kindergeburtstag zur klassischen griechischen Philosophie

Die Bibliothek ist mäßig besetzt. Vereinzelt sind ältere Mitarbeiter der hohen Ebene in die Lektüre alter klassischer Literatur vertieft. Sie genießen es offensichtlich, in dieser altehrwürdigen Fundstätte des Wissens in alten verstaubten Büchern zu blättern und sich das Wissen ihrer Vorfahren auf diesem traditionellen Weg anzueignen. Die jüngeren Mitarbeiter verlassen sich gegenwärtig mehr auf schnelle und kurze Informationen, die meist oberflächlich auf verschiedenen elektronischen Wissensplattformen angeboten werden. Albert hat sich heute einen freien Tag genommen. Er steckt in den Vorbereitungen zum Geburtstag seiner kleinen Tochter. Er geht gern in alte Bibliotheken, denn sie besitzen den besonderen Charme traditioneller Wissensvermittlung in historischem Ambiente. An den Wänden im großen Lesesaal sind deckenhoch Regale angeordnet, in denen sich alte Bücher mit faszinierend gestalterischem Zierrat befinden. Er liebt es, diese antiquarischen Stücke in der Hand zu halten und vorsichtig darin zu blättern. Es sind dann diese Zeitreisen der besonderen Art, die ihm klar machen, welch überaus wertvolles Kulturgut ein gedrucktes Buch darstellt und wieviel Fleiß und handwerkliches Können hier dokumentiert sind. Man nannte früher die Autoren der gebundenen Sprache Schriftsteller. Albert lässt sich gern von deren Prosa fesseln. Es begeistert ihn, wenn durch geschliffene Sprache Sachverhalte in seiner Fantasie vorstellbar werden. Die Ausschweifung ist das Gut der erzählenden Literatur, ganz im Gegensatz zu seinen nüchternen technisch brillanten Aufsätzen, die zu seiner Berufung als Wissenschaftler geführt haben.

Er sucht in den alten Büchern eine Spielanleitung für ein konvex gewölbtes Schachspiel mit einer Figurenbesetzung, die ihre Züge nur gekrümmt vollziehen können. Das ideale Geschenk für Alberts jüngste Tochter. Sie hat sich so eine Spielanleitung zum 4. Geburtstag von ihm gewünscht. Sie wird Su-Shi gerufen, weil sie immer ihre Augen zusammenkneift. Ihr wurde schon von den Augenärzten eine Sonnenbrille empfohlen, doch die Eltern wissen, dass sie meist angestrengt nachdenkt und deshalb die Augen so schlitzähnlich macht. Mit ihrem Freund Vektor will sie ihren Kindergeburtstag ausrichten. Vektor ist ein niedlicher kleiner dreieinhalbjähriger Kerl, der ein bisschen neunmalklug daherkommt. Er sagt nicht, ich bin der Sohn meiner Eltern. Nein, nicht doch. Vektor empfindet sich als das Produkt seiner Eltern. Das ist natürlich eine Masche und besonders, wenn er sich in eine Ecke stellt, sich gesteckt nach vorn beugt und dabei die Arme und Hände streng an die Hosennaht legt. So will er alle beeindrucken und schafft das in der Regel auch. Bei Alberts Tochter insbesondere. Sie liebt diese Performance der Darstellung eines Vektorproduktes.

Jaja, der Kindergeburtstag. Diese lästigen Kinderpartys sind auf der hohen Ebene bei den Kollegen aller Fachausschüsse beliebt und kommen immer mehr in Mode. Die Kinder sind die Stars, werden mit Geschenken vollgehängt und die Eltern sind dann vorher immer von Versagensängsten geplagt. Das ist richtig stressig, immer besser sein zu müssen als die Vorgängergeburtstagsfamilie. Zumal es selbstverständlich ist, nicht nur die Freundkinder einzuladen, sondern neuerdings natürlich auch deren Eltern – Oma und Opa noch dazu. Die kriegen dann Weinchen und Schnittchen und üben sich in sinnlosem Small Talk. In der Regel beginnen die Small-Talk-Runden nach Abschluss des traditionellen Kaspertheaters einer hierfür ausgelosten Elternpartei. Anschließend wird über das dargebotene Stück debattiert. Voriges Jahr wurde das Kaspertheaterstück „die Befriedigungsstrategien der Rolling Stones im Kontext zur Instrumentenlautstärke“ aufgeführt. Es kam zu einem heftigen Eklat. Der Kasper hatte seinen ersten Auftritt mit „Tri Tra Trullala“ begonnen. Richtig musste es aber „Tri Tra Trallala“ heißen, stellten aufmerksame und kritische Elternteile empört fest. Diese Verletzung des bekannten klassischen Textes verlange lückenlose Aufklärung, zumal die seelische Zerstörung der armen Kinderhirne sofort erkennbar wurde, denn die Kinder rannten anschließend durch die Räume und schrien den falschen Kaspertext. Für die vielen Verfechter der reinen Lehre der Verteidigung historischer Texte war dies eine Katastrophe.

Albert hat die historische Spielanleitung gefunden und will aufbrechen. Eine Hand legt sich auf seine Schulter. Die Hand gehört zu Phidias, dem alten Bilderklopfer aus der Arbeitsgruppe Griechenland. Die Begrüßung ist herzlich, beide mögen und respektieren sich. Phidias schlägt Albert vor, in das Kaminzimmer der Bibliothek zu gehen, um dort ein wenig bei einer guten Zigarre und altem Whisky zu plauschen. Albert willigt ein und bald fallen beide in rustikale und überaus bequeme Ledersessel. Albert will sich gern etwas Zeit nehmen, denn er interessiert sich sehr für die Pläne von Phidias. Der berichtet sogleich, dass er es zum gegebenen Zeitpunkt bei König Perikles durchsetzen werde, dass die besten Baumeister Athens von Iktinos bis Kallikrates gewonnen werden sollen, um auf das Hochplateau des Felsens der Altstadt von Athen eine Tempelanlage mit Erechtheion, Nike-Tempel (6) und dem Pantheon zu Ehren unserer verehrten Kollegin Athene zu erschaffen. Und Phidias erhält die große Chance, mittels seines unglaublichen Talentes in nie da gewesener Schönheit Skulpturen der Göttergeschichte der Erdenbewohner in Marmor zu hauen, den Tempel mit dieser Ornamentik auszustatten und damit in die Einzigartigkeit zu erheben. Das Modellstehen hat er bereits mit Athene vereinbart. Ihm schwebt eine Monumentalskulptur im Zentrum des Tempels vor, reich mit Gold und Elfenbein geschmückt. Ruhmreich wird es für Phidias ausgehen, dass seine Tempelanlage eine großartige Kulisse für die gezielt geplanten Denkumbrüche der Erdenbewohner sein wird. Hier an diesem Ort werden die Erdenbewohner das erste Mal in ihrer Entwicklungsgeschichte fundamentale Fragen zu ihrer Existenz stellen. Sie werden beginnen, ein naturphilosophisches Weltbild als Bruch ihrer mythischen Weltwahrnehmung zu entwickeln. Es werden in der Reihenfolge Sokrates, Platon und Aristoteles erscheinen, die den Erdenbewohnern in philosophischen Leitsätzen offerieren, dass sie wissen sollen, dass sie nichts wissen. Das ist das Tor zur Erkenntnis und führt zum richtigen Handeln. „Ach, diese Erdenbewohner, die werden noch ewig brauchen, um das zu kapieren“, seufzt Phidias. „Wie geht es dir, was machst du denn so den Tag über“, fragt nun Phidias Albert. Albert zögert mit der Antwort und setzt dann lächelnd an: „Ich habe einen wichtigen Erfolg erzielen können. Ich bin dem Ziel, den Erdenbewohnern zeitgemäß wissenschaftliches Denken zu vermitteln, einen großen Schritt nähergekommen. Sie werden bald versuchen eine geometrisch und ästhetisch akkurate Pyramide zu bauen, die alle bisherigen Maßstäbe sprengen wird. Die Pyramide von Gizeh wird, gemeinsam mit den geplanten späteren Ergänzungsbauten, eine ungeheure Mystik erzeugen. Wir beabsichtigen, in dieses Bauwerk knifflige Verschlüsselungen einzufügen, die die Erdbewohner noch tausende Jahre herausfordern werden. Wir werden dann Spaß haben, an den im Laufe der Erdenjahrhunderte entwickelten und veröffentlichen Theorien zur Bedeutung und zum Bau dieses Monumentalwerks. Doch jetzt gilt es erstmal, den Bau zu realisieren. Wir wissen, dass die entscheidenden Leute, nämlich die Baumeister, keine Ahnung haben, wie die Pyramide gebaut werden soll. Sie tappen noch völlig im Dunkeln und fürchten sich vor der Offenbarung ihrer technischen Ahnungslosigkeit gegenüber dem Auftraggeber. Das ist, lieber Phidias, genau die von dir entwickelte sokratische Situation, sie wissen, dass sie nichts wissen und doch behaupten sie nach außen genau das Gegenteil. Klar, dass sie angespannt sind. Naja, der erste Schritt ist gelungen. Mit Hilfe einer vorzüglichen, von uns erwählten technischen Muse konnte Cheops überzeugt werden, dass eine Pyramide seinen historischen Ruf deutlich steigern würde. Seine ersonnene Würfelform ist vom Tisch. Das haben wir clever eingefädelt.“ Verschmitzt lächelnd fügt Albert noch hinzu, dass er diese technische Muse, mit dem Namen Schi Tot, durchaus gern wiedersehen möchte und sie für die weiteren Zwecke der hohen Ebene einzuspannen beabsichtigt. Überhaupt kann er sich nun vorstellen, dass Frauen in der ägyptischen Geschichte eine größere Rolle einnehmen könnten. „Mensch Meier, Phidias, du hättest dieses Weib auf dem Weg zu Cheops sehen sollen. Kein Wunder, dass sich ihr alle Türen öffneten.“ Albert unterbricht und macht ein fragendes Gesicht. „Sag mal, mein Freund Phidias, habe ich gerade Mensch gesagt?“ Phidias bejaht mit einem Kopfnicken. „Pardon, so ein Quatsch, diesen Begriff müssen die sich erst noch verdienen“, stellt Albert klar. Die Zigarre ist aufgeraucht, der Whiskey ausgetrunken, das Geburtstagsgeschenk für das Töchterchen erfolgreich recherchiert. Das Leben ist schön.

Das große Hochstapeln

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