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4. Kapitel

Grundsätzliche Projektfragen und erste Lösungsansätze

Der Architekt, der Bodengutachter und die Bauleitung treffen sich zur Projektbesprechung im Besprechungsraum der Bauabteilung. Wir warten noch auf Echt-Natron, der die Besprechung leiten soll. Die Ost-West-Passage des Sonnengottes Re ist bereits um ein Viertel vollzogen. Die übliche Hitze des Tages beginnt in die Räume zu kriechen. Unsere Klimaanlage schafft es heute nur bedingt, erträgliche Arbeitsbedingungen zu garantieren. Es ist windstill. Trotz Einladung haben sich die Herren der Projektsteuerung für heute entschuldigt. Ihnen wäre es in diesem frühen Stadium der Projektabwicklung nicht zuzumuten, wegen der Nichtigkeit einer Anlaufberatung auf wichtige rituelle Handlungen in Ihren Tempeln zu verzichten. Des Weiteren sei man mit der Vorbereitung der Urlaubsplanung für die kommenden Zyklen (4) beschäftigt, die viel Zeit und volle Konzentration beanspruchten. Ich bitte Frau Notvertrete dies im Protokoll aus gutem Grund zu vermerken.

Ich sitze gern bei Besprechungen am Fenster mit Blick in den Besprechungsraum. Ich mache das bewusst, einmal um ein schattiges und damit auch scharfkantiges Gesicht vorzutäuschen, zum anderen um Entgleisungen meiner Mimik bei unangenehmen Besprechungsverläufen besser kaschieren zu können. Ich konzentriere mich wieder, der Chef ist gekommen. Echt-Natron bedauert sein Zuspätkommen und nimmt als Letzter am Besprechungstisch Platz. Es gab wieder mal Ärger mit dem Dienstwagenfahrer. „Der hatte Streit mit den Pferden“, entschuldigt sich mein Chef. Bei der Dienstwagenflotte, die uns von Cheops zur Verfügung gestellt wurde, gibt es immer wieder mal Auseinandersetzungen zwischen Mensch und Tier. Inzwischen hat sich bei der Dienstwagenbestellung die Formulierung „ich benötige einen Streitwagen“ durchgesetzt.


Echt-Natron eröffnet nun die Anlaufberatung und begrüßt besonders herzlich den Chef des Architektenbüros, Herrn San-Rah, einen Absolventen der Hochschule für gute Architektur in Teben. San-Rah gilt als einer der herausragenden zeitgenössischen Architekten in Ägypten. Er ist befreundet mit dem Urenkel des berühmten und verehrten Baumeisters Imhotep. Das ist gut für seine Reputation bei potentiellen Auftraggebern und hat ihm vermutlich auch deshalb die Abfassung der Machbarkeitsstudie zum Großprojekt des Cheops eingebracht. Wer ihn kennt, der schätzt seine Leidenschaft für die Architektur. San-Rah lebt und stirbt für die Gestaltung von Bauwerken. Sein Talent, mit ein paar wenigen Strichen auf Papyrus die Umrisse eines Entwurfs verständlich zu machen, ist sprichwörtlich. Er ist der Erfinder der Vogelperspektive. Manchmal bemüht er einen Kranich, manchmal einen Pelikan, um seine Entwürfe aus deren Sicht besser darstellen zu können. Wenn er danach gefragt wird, wie er es schafft, mit den Tieren zu kommunizieren, gibt er schmunzelnd ausweichende Antworten, die keiner so richtig versteht. Darüber hinaus ist sein bescheidenes Wesen legendär. Seine fachliche Kompetenz, gepaart mit seinem empathischen Wesen, machen ihn in Fachkreisen zu einem überaus geschätzten Kollegen. Er lebt zurückgezogen mit seinem Hund in einer einfachen Mietwohnung bei einer älteren Haushälterin, die für seinen Hausrat sorgt. So kann er sich uneingeschränkt mit Besessenheit seiner einzigen Leidenschaft, der Architektur widmen. Das Team der Bauabteilung ist stolz und glücklich, mit San-Rah zusammenarbeiten zu dürfen. Dies wird ausdrücklich in der Begrüßungsformel zur Anlaufberatung von Echt-Natron hervorgehoben.


Echt-Natron erwähnt nun kurz und emotionslos die Abwesenheit der Projektsteuerung. „Ich kenne diese Typen und bin deshalb nicht verwundert. Naja, so ganz unrecht ist uns das gar nicht. Unseren Erfahrungen nach ist es weitaus produktiver, wenn diese Herrschaften sich nicht mit religiösen Beschwörungsformeln in die Fachdebatten einmischen. Ihre ständigen liturgischen Belehrungen zur Bedeutung der Einhaltung von Vorschriften nerven gewaltig und stören uns in der Regel bei der Konzentration auf das Wesentliche beim Bauen. Sie sind halt Experten des Verwaltens.“

Der Projektleiter begrüßt jetzt den Bodengutachter Prok-Toor. Die Mitwirkung dieses Fachexperten für die Zustände des Baugrundes haben sich der Architekt und der Projektleiter ausdrücklich gewünscht. Beim Bauherrn sah man keinen Grund, dieser Bitte nicht zu entsprechen, und erteilte Prok-Toor den Auftrag, ein Bodengutachten für die Gründung des Cheopswürfels zu erstellen. Darüber hinaus sollte er mittels umfangreicher Sondierungen geeignete Felsformationen zur Gewinnung der Baublöcke in der Nähe des Baustandortes erkunden und über hydrologische Untersuchungen die Grundwasserstände definieren.

Prok-Toor ist eher ein akademischer Typ. Er trägt eine Markenbrille und in der Regel eine farbige Fliege, die akkurat mit den Farben seiner Bekleidung korrespondiert. Das macht ihn nach außen ein bisschen unnahbar. Innerlich ist er mit Leib und Seele ein Mann der Baugrube. An der Hochschule für gute Geologie in Memphis war er als Student Jahr für Jahr Lehrgangsbester und erhielt für seinen Abschluss eine Auszeichnung, einen vom Verwaltungsrat der Hochschule gestifteten Baugrubenbambi. Zahlreiche Baugrundbüros bemühten sich um seine Bewerbung zur Anstellung und lockten mit hohen Gehältern. Doch es half nichts, Prok-Toor machte sich selbstständig, eröffnete ein schickes „Einmannbüro“ und wurde ein erfolgreicher Unternehmer. Der breiten Öffentlichkeit ist Prok-Toor durch eine sensationelle Erfindung bekannt geworden. Er entwickelte, noch als junger Absolvent, ein universelles Aushubgerät für den Erdbau. Es ist simpel und stabil gebaut und erhöht in beachtlichen Dimensionen die Produktivität bei Handschachtarbeiten. Des Weiteren hat Prok-Toor mit diesem Aushubgerät eine empirisch angelegte Versuchsreihe zur Verdichtungsfähigkeit verschiedener Bodenarten entwickelt. Er stellte zu diesem Zweck die Spatenblattachse etwas geknickt zur Stielachse und klatschte so den Spaten auf den Versuchsboden. Er stellte fest, dass sich mit der Anzahl des Aufklatschens die Verdichtungswirkung im Boden proportional ungleichmäßig erhöht. Eine geniale Erkenntnis, die als Pionierleistung in die Geschichte der Bodenmechanik eingegangen ist. Die Fachpresse feierte den jungen Baugrundexperten in zahlreichen Artikeln und veröffentlichte die Versuchsergebnisse mit Hilfe graphischer Diagramme. Die Spaten sind schnell zu einem Exportschlager geworden. Ohne dieses Gerät wäre z. B. nie das Golfspiel in Kuwait erfunden worden. So ist der Bodengutachter Ehrenmitglied in zahlreichen Golfclubs geworden und besitzt dort alle erdenklichen Privilegien.


Prok-Toor ist auch ein begnadeter Tauchsportler. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Reisen, sei es in einem Teich, einem See oder einem noch größeren Gewässer, verbringt er seine Freizeit gern unter Wasser. Eine seiner Markenbrillen baute er um. So konnte er bei seinen Tauchgängen für eine Weile klare Sicht unter Wasser haben. Mit dieser Taucherbrille kann er faszinierende Unterwasserwelten entdecken und jedes Mal, wenn er darüber berichtet, begeistert er seine Zuhörer. Ein großer Sportartikelhersteller hat schon Bemühungen eingeleitet, mit Prok-Toor Lizenzverhandlungen zu den Herstellungsrechten seiner Taucherbrille aufzunehmen.

Nun stellt mich Echt-Natron als seinen Bauleiter vor Ort vor. Ich nicke kurz in die Runde und bekunde meinen Stolz, Mitglied dieser erlesenen Projektcrew sein zu dürfen. Frau Notvertrete lächelt in das Besprechungszimmer und bringt ihre vorzüglichen Plätzchen zum Verzehr. Gleichzeitig übergibt sie jedem Besprechungsteilnehmer eine Getränkeliste mit zahlreichen alkoholischen und alkoholfreien Getränken zur freien und kostenlosen Auswahl. Auf Grund der Problemlage der Besprechung ist der Ausschank von Alkohol heute von Echt-Natron zugelassen worden. Ansonsten ist Alkohol im Büro an normalen Werktagen nicht gestattet. Wer sich dennoch berauschen will, soll es heimlich machen, lautet die stille Vereinbarung.

Die Besprechung beginnt. Alle Anwesenden bedauern die Entscheidung Cheops, die Mitwirkung eines Statikers abzulehnen. Für den Wüstenwürfel selbst und für die technologischen Hilfseinrichtungen wäre die Mitwirkung eines Statikers für die Nachweisführung der Standsicherheiten hilfreich. Dies trifft insbesondere für die Montagerampe zu, die von der Projektsteuerung ins Spiel gebracht wurde. Diesen technischen Floh hatten die Hohen Priester ihrem Pharao ins Ohr gesetzt. Cheops war von der Idee begeistert und glaubte, dass damit die Methode des Bauens des Wüstenwürfels gefunden wäre. Ein schnelles und störungsfreies Bauen könne so abgesichert werden, so das Versprechen. Die Bauabteilung und der Architekt haben da so Ihre Zweifel und wollen den Verzicht auf einen Statiker als Argument benutzen, Cheops die Rampenidee auszutreiben. Ohne statischen Nachweis können wir dem Bau einer technologischen Rampe nicht zustimmen. So ist der Plan. Insbesondere Prok-Toor stemmt sich vehement gegen dieses technologische Verfahren.

„Eine Schnapsidee einer Rampensau ist das“, macht er verächtliche Bemerkungen in Richtung Projektsteuerung. Wir bitten ihn um Mäßigung und verweisen auf die innerbetriebliche Vereinbarung des kulturvollen Miteinander bei der Projektabwicklung. Echt-Natron verliest die Tagesordnung. Nicht zu übersehen ist, dass sich im Rahmen der Benennung der Besprechungsthemen bei unserem Architekten San-Rah die Gesichtszüge stark verändern. Sie tendieren in eine stark depressive Richtung. Sein Gesicht wird mit einem Mal aschgrau. Meine lustig gemeinte Bemerkung, dass seine Gesichtsfarbe wohl das erste grobe Farbkonzept für die Fassade des Würfels wäre, kommt beim Architekten nicht so gut an. „Nein, er hätte große Sorgen, sehr große Sorgen“, sagt er nun traurig. Es sind die explodierenden Kosten, die ihm schlaflose Nächte bereiten. Er und seine Leute hätten hin und her gerechnet und mehrfach unterschiedliche technologische Verfahren simuliert. Ohne Erfolg, denn nach wie vor sind ihm die technologischen Bauprinzipien noch zu nebulös. Hilfesuchend wendet er sich an die Bauleitung, bittet um Hinweise für die planerischen Grundlagen zu einer halbwegs plausiblen Ausschreibung.

Wir trösten den Architekten und berichten von unseren Bemühungen, eine Bauweise zu finden, die praktisch umsetzbar ist. Gleich nach Auftragserteilung recherchierten wir weltweit, ob denn vergleichbare Bauvorhaben entstanden sind oder entstehen sollen. Wir erhofften uns damit wesentliche Hinweise zu Lösungsansätzen. Nur in China sind wir fündig geworden. Dort ist ein ähnlich groß angelegtes Projekt geplant. Doch wir wurden enttäuscht. Getroffen haben wir unsere chinesischen Kollegen im Libanon, an der berühmten Seidenstraße mit der Hausnummer 27200. Zum Erfahrungsaustausch wurde uns jedoch mitgeteilt, dass es sich eher um ein linienförmiges Bauwerk zum Zwecke militärischer Verteidigungsstrategien handelt. Da es sich bei uns aber um ein Punktbauwerk handelt, welches eher kultischen Zwecken dienen sollte, konnten wir keine vergleichbaren fachlichen Schlüsse ziehen. Schade.

Echt-Natron bringt eine spektakuläre, aber auch ziemlich absurde Idee eines länglichen Bauwerks, nicht höhen-, sondern längsorientiert, ins Spiel und versucht sich vorzustellen, Cheops argumentativ davon überzeugen zu können. „Wüstenschlange? … vielleicht eine Cheopsschlange?“, versucht er seiner Idee Gewicht zu verleihen. San-Rah unterbricht Echt-Natron mit entsetztem Aufschrei. „Warum nicht gleich Cheopswurm? So ein Unsinn.“ Die Stimmung ist etwas gereizt. San-Rahs Mimik nimmt jetzt tragische Züge an. „Dieser Vorschlag ist Ausdruck unserer Unfähigkeit und daher nicht akzeptabel“, hält er dagegen. „Durch den Vertrag schulden wir dem Auftraggeber Erfolg und genau deshalb muss es beim Würfelbau bleiben“.

„Zwei Möglichkeiten erkenne ich im Moment“, fährt der Architekt fort. „Die beste aller Varianten ist, wir finden zeitnah eine Lösung. Wenn das nicht gelingen sollte, müssen wir eine zweite Variante angehen“. San-Rah wirkt jetzt entschlossen. „Die zweite Variante ist ein Trick. Wir tun so, als sei uns die technische Lösung bekannt. Wir lassen den Bauherrn und die Projektsteuerung im Glauben, dass wir wissen, wie es gehen soll“. Nach einer kleinen Pause fährt der Architekt fort. „Das wäre dann nicht das erste Bauwerk, welches zu aller Überraschung doch fertig gestellt wurde und sogar funktioniert und keiner weiß so richtig, wieso und warum“.

„Ich glaube, ich höre nicht recht“, reagiert der Projektleiter. Ein kurzer Blick auf Echt-Natron genügt, um seinen Widerwillen im Gesicht klar zu erkennen. „Spinnst du“, brüllt Echt-Natron jetzt San-Rah an. „Wie willst du mit diesem Trick die Kosten berechnen? Läuft das etwa wieder darauf hinaus, dass alles erstmal planerisch in Butter ist und dann auf der Baustelle sich die Nachforderungen der Ausführungsfirmen häufen und die Kosten explodieren?“ Echt-Natron bleibt in Fahrt. „Horch zu Architekt, wir kennen diese Spielchen. Die Bauleitung steht dann mit dicken Eiern da und muss Tag und Nacht begründen, begründen und nochmals begründen und ihr verpisst euch an eure Reißbretter in eurer warmes Büro“.

Echt-Natron ist selbst über seinen Ton erschrocken, entschuldigt sich und beruhigt sich wieder. „Nein, so läuft das nicht. Wir sollten Cheops und den Hohen Priestern möglichst schnell reinen Wein einschenken. Apropos reinen Wein einschenken. Schauen wir doch erstmal in die Getränkekarte meiner Chefsekretärin und bestellen wir, dann sehen wir weiter“, lautet der durchaus sympathische Vorschlag Echt-Natrons.

Die Stimmung kippt auf nun auf angenehme Weise. Die ersten Gläser helfen tatsächlich. Es wird gemütlich. Wir bitten Frau Notvertrete, mit am Tisch Platz zu nehmen. Sie solle auch ihre Cousine dazu holen, die im Sekretariat arbeitet und für kleinere Dienste eingestellt wurde. Wein trinken ist ja bekanntlich in Gesellschaft von attraktiven Damen weitaus sinnlicher. Die Cousine kommt dazu und fragt lachend die Runde, ob es auch Apfelweinschorle gäbe. Alle lachen, denn sie ist bekannt für ihren vorzüglich apfelähnlichen Duft. Die weiblichen Mitarbeiterinnen im Büro beneiden sie deshalb und erkundigen sich schon mal nach der Quelle dieses betörenden Parfüms. Die männlichen Mitarbeiter hingegen neigen verstärkt dazu, sich unter dem Deckmantel dringend zu erledigender Angelegenheiten in Ihrer unmittelbaren Nähe aufzuhalten. Ich muss gestehen, dass auch mir ihre Nähe angenehm ist. Ich nenne sie deshalb liebevoll Apfelsine, sage es aber selten laut.

Heute ist es wieder soweit und ich bitte die duftende Mitarbeiterin neben mir Platz zu nehmen. Der viele Wein hat mich zu dieser mutigen Aufforderung befähigt. „Heute wird die Apfelsine geschält“, rufe ich ihr noch ungenierter entgegen und gehe dabei bis an den Rand des Erlaubten. Sie ist ein wenig verunsichert und kichert etwas, nimmt aber neben mir Platz. Die nächsten Gläser befeuern noch mehr die Stimmung. Jetzt herrscht Feierlaune und die Sorgen werden weggesoffen. Zwei schöne Frauen und eine Gruppe desillusionierter angetrunkener Bauexperten beginnen über ihr Bauprojekt zu spotten. Allergrößte Heiterkeit erzeugt die sinnbildlich vorgetragene Vorstellung, Cheops plane gar seine eigene Grabanlage. Sprudelndes Gelächter bei der Imitation des Herauftragens des Leichnams in den oberen Hohlraum über die große Galerie mit dem Bild einer feierlich düsteren Prozession von Hohen Priestern und Abgeordneten des Hofstaates in beachtliche Höhe von immerhin 82 Königsellen (2). Wir taufen beschwingt diesen Hohlraum „Grabkammer des Pharao“ und den tieferen Hohlraum gleich noch mit als „Grabkammer seiner Königin“, die selbstverständlich zum gleichen Zeitpunkt zu Tode kommen muss. Wir biegen uns vor Lachen bei der mit gespielter Theatralik nachgeahmten Vorstellung, wie entgegen allen bisherigen Bestattungsritualen der tote Pharao hochgetragen werden muss. Was für eine immense Plackerei!

Die Totenträger hatten es bisher einfacher, denn es ging immer abwärts, hinab in eine Mastaba. Und als Krönung der Groteske wurden die schmalen langen Schächte von den beiden Kammern als Luftschächte deklariert. Die beiden hohen Toten sollten in Ihren Gräbern immer frische Luft haben. Wir haben uns weggeworfen. Unser Lachen wird immer grotesker. Keiner will jetzt, dass der Abend schon zu Ende ist, denn der Sonnengott dreht langsam das Tageslicht weg. Was tun wir nun? Wir sehen uns an und bestellen bei der Fahrbereitschaft einen Streitwagen für 6 Personen. Ich achte darauf, dass ich im Streitwagen neben der Cousine Platz bekomme. Das ist nicht so einfach, da sich alle Kollegen darum bemühen. Außer Frau Notvertrete, die zieht schmunzelnd einen luftigen Fensterplatz vor. Letztlich ist mir die Platzsicherung geglückt und ich kann den Apfelduft der Cousine in vollen Zügen genießen. Die Cousine hat prächtige Laune. Sie lacht und redet laut und viel. Ich merke, dass mir ihre Nähe immer angenehmer wird und denke nur kurz an Schi Tot.

Zehn Minuten später treten wir in eine Tanzbar und fordern die Weinkarte. Wir treiben das Spiel mit den Geheimnissen zum Zweck und der Funktion des Wüstenwürfels immer weiter auf die Spitze. Angeheizt von einem hoch talentierten Trio von Barmusikern beginnen wir uns weinselig im Tanze zu drehen. Es sind Freizeitmusiker. Von Beruf sind sie alle drei Alchemisten, die seltene Erden so lange mischen und mit Wasser anreichern, bis eine heilende Wirkung nachgewiesen werden kann. Deshalb auch der Name der Combo, die sich „Aladin und die Wunderpampe“ nennt. Der Gitarrist spielt auf einer 10-seitigen Gitarre mit seinen 12 Fingern so virtuos, dass wir uns vorstellen können, Aladin und seine Wunderpampe zum Richtfest einzuladen. San-Rah ist kaum noch zu bändigen. Er brüllt die Lieder beim Mitsingen in den Raum, fuchtelt mit den Armen und schleudert immer wieder mit einem gekonnten Hüftschwung Frau Notvertrete über die Tanzfläche. Dabei macht er mit seinen Händen immer wieder komische Figuren, ähnlich einem spitzen Dach, und lallt unentwegt, dass es sich ausgewürfelt hätte. Wir verstehen das nicht, genießen aber weiter die fröhliche Ausgelassenheit, bis die Stühle hochgestellt werden.

Wir zahlen und treten die Heimreise an. Die Fahrbereitschaft erwartet uns und wir legen fest, in welcher Reihenfolge wir nach Hause gefahren werden. San-Rah ruft heiser in die Nacht, dass er laufen will und ist bereits ein ganzes Stück vom wartenden Streitwagen entfernt. Er läuft irgendwie unrund und wir glauben zu erkennen, dass sich in seine trunkenen Rufe vom Auswürfeln ein immer stärker werdendes Schluchzen einmischt. Er weint jetzt tatsächlich. Der Würfel ist wohl gefallen. Die Apfelsine anzusprechen, den schönen Abend in eine schöne Nacht zu überführen, habe ich mich dann doch nicht getraut.

Das große Hochstapeln

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