Читать книгу Das große Hochstapeln - Michael Waldek - Страница 6

Оглавление

2. Kapitel

Großer Kummer an einem herrlichen Ort

Ich habe am Nilufer einen Lieblingsplatz. Man ist dort allein und kann das Dahinfließen dieses herrlichen Wassers genießen. Heute habe ich mir eine Auszeit vom Berufsalltag genommen und besuche diesen wundervollen Ort. Die Wellen funkeln wie Diamanten, die im gleißenden Sonnenlicht prachtvolle und ständig wechselnde Farben annehmen. Kein Wunder, dass der Nil gottgleich verehrt wird. Es ist der Gott Nil Diamond, den die ägyptischen Bauern und Fischer anbeten. Reiche Fischvorkommen bevölkern den mächtigen Fluss und ernähren unzählige Fischerfamilien. Die Furcht vor wütenden Nilpferden oder von heimtückischen Krokodilen zerrissen zu werden, hält sich durch die bemerkenswerten Fischbestände in Grenzen. Berufsrisiko nennen die mutigen Fischer diesen Umstand und haben sich in der Regel gegen Berufsunfähigkeit gut versichert. Unzählige Vogelarten bevölkern die Ufer und die kleinen Inseln inmitten des Flusses. Wenn sie auffliegen, bewundere ich ihre majestätischen Flügelschwünge. Da oben, hoch in der Luft, muss ihre Freiheit grenzenlos sein, besingen bekannte Liedermacher die Flugfähigkeit dieser Tiere. Welche Schönheit, wenn sich ein Schwarm Schwäne im Landeanflug befindet. Welche sinnliche Romantik, wenn ein Schwan zu singen beginnt und die anderen Tiere dazu schweigen. Der Nil führt derzeit kein Hochwasser. Das Wasser ist heute klar. Die Pflanzen der Uferbereiche stehen im satten Grün und blühen in märchenhaften Farben. Sie verströmen betörende Düfte, die durch den leichten Wind in meinen Lieblingsplatz hineinwehen. Dieses göttliche Naturschauspiel ist das Paradies mit einem ausgewogenem ökologischem Gleichgewicht.


Doch ich habe Kummer und blicke traurig auf den Fluss. Ich denke an Schi Tot und dieses unangenehme mulmige Gefühl in der Magengegend ist wieder da. Sie ist vor ein paar Tagen Hals über Kopf abgereist, einfach abgereist, wie sie es nennt. Sie zieht es in den Süd-Sudan, zu den Völkern der Nubier, wie sie sagt. Die Nubier verlieren zwar die Kriege gegen uns und gelegentlich auch mal ein Länderspiel, entwickeln aber eine bemerkenswerte und beneidenswerte Kreativität, mit ihren Göttern in Frieden zu leben und einem menschenwürdigen Dasein eine hohe Priorität beizumessen. So jedenfalls steht es in der modernen Verfassung der Nubier, die mit einer lebensbejahenden Präambel beginnt: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren wir nicht bedürfen“. Damit sagen die Nubier aus philosophischer Perspektive eigentlich alles. Die würden nie auf die Idee kommen, große Steine aufeinander zu stapeln, um Ihre Eliten zu würdigen. Die haben dort keinen Cheops, der in seiner unergründlichen Weisheit Bauwerke in Auftrag gibt, die von niemandem verstanden werden. Das war schon immer so und wird wohl auch so bleiben, dass es immer wieder Staatenlenker gibt, die ähnlichen Größenwahn ihrem Volk zumuten.

Es tut schon weh, dass Schi Tot nun nicht mehr in meiner Nähe ist. Was für Momente. Wie grandios und schmerzlich zugleich, diese unausgesprochene Liebe zu fühlen. Die Kraft zur Anstrengung des Abschiedes vor einer Woche ist das mit Freude Vereinbarte beim nochmal umdrehen. Sie sagt, dass sie zurückkommen werde und wir uns vielleicht wiedersehen. Auch wegen mir. Das ist das wärmende Feuer für den Tag und besonders für die Nacht. Ich weine nicht oft. Und dennoch laufen Tränen, wenn ich mich frage, welche Bedeutung ich dem Wort „vielleicht“ beimessen soll. Kennengelernt habe ich Schi Tot in einer kleinen Galerie im Künstlerviertel von Memphis. Das ist jetzt fast einen Sonnenzyklus (4) her. Eine Freundin von ihr gab eine Vernissage ihrer neusten Kollektion von Perlenstickereien. Ich bin zufällig vorbeigekommen, sah ein hübsch angerichtetes kleines Buffet und trat kunstinteressiert in die Ausstellungsräume. Ich lobte am Tresen den ersten Gesamteindruck der Kunstschau und erhielt problemlos kostenfrei erfrischende Getränke. Normal interessiere ich mich nicht für Perlenstickereien. An diesem Abend aber war das anders. Gerade stand ich vor einem abstrakten Schwarz-Weiß-Perlenarrangement eines kleinen dicken Vogels, als mich eine wunderschöne junge Frau antippte und mir von einem üppig gefüllten Tablett Speisehäppchen anbot. Ich war sofort verzaubert vom Anblick dieser Ausstellungshelferin und habe verlegen die Einnahme eines Snacks abgelehnt. Ihr schwarzes Haar, das Lächeln, ihr Antlitz und diese kleine rote Perlenblume an ihrer linken Schulter verdrehten mir sofort den Kopf. Um heiter zu wirken, zeigte ich auf den Vogel und fragte gespielt verlegen: „Ist der schwanger?“ Ein bisschen verdrehte sie ihre Augen und murmelte, oh nein, nicht schon wieder. Doch sie drehte sich nicht gleich weg. Offensichtlich ahnte sie, dass es mir besonders die kleine rote Perlenblume angetan hat und hielt mir nochmals das Häppchentablett hin. Die Blume hätte ihre Freundin kreiert und alle, die ihr bei der Vernissage aushelfen würden, trügen ähnliche Blumen. Sozusagen als lebende Bilderrahmen, um diese hübschen Anstecker zum Kauf anzubieten, erläuterte sie mir lachend. Tatsächlich trugen mehrere junge Frauen diese Perlenblumen und bewirteten dabei adrett die Gäste der Ausstellungseröffnung. Ich fand die Geschäftsidee überzeugend und ließ mich darauf ein. Keinesfalls wollte ich eine verlegene Pause entstehen lassen und fragte die junge Frau entschlossen nach dem Preis. Ich meine natürlich den Preis für die Blume, schob ich lustig gemeint hinterher. An ihrem Stirnrunzeln glaubte ich zu erkennen, dass in ihrem Sprachzentrum verächtlich die Wortkombination „Sprüche klopfender Witzbold“ produziert wurde. Aber laut aus ihrem Mund kam die Wortkombination nicht. Ich solle mich einen Moment gedulden, riet sie mir. Sie wolle sich bei ihrer Freundin nach dem Preis erkundigen, rief sie mir noch zu und verschwand im Besuchergedränge.

Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem kleinen schwangeren Vogel und übte mich in Körpersprache, so als würde Interesse an dem Kunstwerk bestehen. Übrigens unterschied sich die Körpersprache der meisten anderen Gäste nicht von der meinen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich genau diese Szenerie. Es ist wie immer, genau so laufen die meisten Ausstellungseröffnungen ab. Die Gäste sind die eigentlichen Kunstwerke, der Rest ist Kulisse.

Tatsächlich kam die junge schöne Frau mit einer anderen Frau an der Hand nach kurzer Zeit auf mich zu. Wir machten uns flüchtig bekannt. Die andere Frau war die Kunstschaffende persönlich, die mir die Hand gab, sich erfreut über mein Kaufinteresse zeigte und den Preis nannte. Wupps, so kommentierte ich doch etwas erschrocken die Überdosis der genannten Höhe der Zahlungsmittel. Ich willigte aber schnell ein, da mein Interesse an dieser jungen schönen Helferin immer größer wurde. Außerdem wollte ich als „flüssig“ gelten. Ich bestand darauf, dass der Kauf der Brosche über Schi Tot in drei Tagen abgewickelt werden sollte. Den Namen kannte ich jetzt und fand ihn äußerst sympathisch. Auch erfuhr ich so, dass Schi Tot ebenfalls Künstlerin ist und ein paar Straßen weiter weg einen kleinen Kunsthandel betreibt. Drei Tage später hielt ich die rote Perlenblume in der Hand, drückte sie an mein Herz und spürte so die Wärme dieser herrlichen Frau. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich mir eingestehen, dass ich verliebt bin. Denn nie zuvor bin ich mit einer Perlenblume ins Bett gegangen. Mein Gutenachtkuss auf das Perlenarrangement sagt einiges.

Seither habe ich eine Beziehung zu Schi Tot, die ich als unvollendet bezeichnen würde. Sie ist eine souveräne Künstlerpersönlichkeit, stark und unabhängig. Die Beanspruchung dieses Freiraumes ist ihr Credo. Ich muss und will mich dem fügen, denn allein der Zustand der innigen Freundschaft zwischen uns beiden macht mich glücklich. Die Hoffnung, dass aus der Freundschaft eine leidenschaftliche Liebe wird, treibt mich täglich an und ist der Kraftquell all meines Denkens und Handelns. Doch nun ist sie plötzlich abgereist, einfach abgereist. Das macht mir Kummer, verzweifelten Kummer.


Plötzlich flatterten in der Nähe ein paar Wildgänse aufgeregt krächzend in die Luft. Offensichtlich hat sich ein Nilpferd zum Landgang entschlossen. Sehen kann ich das nicht. Ich muss mich deshalb konzentrieren und aufpassen, dass es zu keiner Konfrontation mit diesem Koloss kommt. Die Tiere sind auch an Land unberechenbar und können aggressiv werden. Ich muss mich jetzt auf den Erhalt meiner Existenz konzentrieren. Die Schwermut der Gedanken an Schi Tot verfliegt. Der Cheopswürfel dringt in meinen Kopf. Ich schüttle mich und stelle fest, dass kein Nilpferd die Lichtung betreten hat. Ich kann mich nun gedanklich wichtigen beruflichen Angelegenheiten widmen.

Es war Echt-Natron, der mich überzeugt hat, dieses Projekt engagiert anzunehmen. Ich soll für die Ausführung zuständig sein, als Bauleiter vor Ort. Das ist einerseits eine große Ehre, andererseits kann es bei Misslingen über ein Urteil des Bauherrn zum Tode führen. Echt-Natron lächelte mich beim Nennen dieser beiden Optionen mit verschmitzten Augen an. So ist er, mein Chef. Nur so kenne ich ihn. In seiner unverwechselbaren Art nennt er das Eintreten der tödlichen Option als den perfekten Zustand von Ruhe für Körper und Geist. Meistens ist Echt-Natron ein richtig cooler Typ, der in sich ruht. Doch nicht immer. Wenn hausgemachte Probleme auftauchen und seine Geduld strapazieren, dann kann er plötzlich sehr aufbrausend agieren. Dann ist er – echt wie Natron. Das müssen seine Eltern bei der Namensgebung wohl geahnt haben.

Ich kenne diesen Baustellenfuchs seit vielen Jahren. Gemeinsam haben wir bei der Sanierung der Fundamente des Leuchtturms von Alexandria auf der Insel Pharos an der Küste im Norden Ägyptens die Bauleitung übernommen. Der Turm begann stetig zu kippen. Es wurde ein schiefer Turm, der nicht mehr richtig leuchten konnte. Umfangreiche und komplizierte Unterfahrungsmaßnahmen mussten zügig und verlässlich durchgeführt werden. Wir haben dabei prächtig harmoniert, uns gut kennengelernt und letztlich die Sanierung erfolgreich abgeschlossen. Auf ewig wird die Konstruktion des Turms allerdings nicht halten. Diesen Sachverhalt haben wir offen den Leuchtturmbetreibern mitgeteilt. Dennoch erhielten wir hohe Anerkennung.

Echt-Natron ist ein Bauleiter der alten Schule, eben von echtem Schrot und Korn. Er hasst Schriftverkehr zum ausschließlich rechtssichernden Zweck und bevorzugt den verlässlichen Handschlag. Das gegebene Wort muss für eine verbindliche Absprache reichen. Sein Bauchgefühl ersetzt schon mal den Statiker und andere Konstrukteure. Er setzt auf Psychologie und behauptet, dass 50 % seiner Fähigkeiten als Bauleiter auf dieser Lehre der Seele beruhen und fügt dann in der Regel schmunzelnd an, der Rest ist meine erotische Ausstrahlung. In der Baubranche in Unterägypten ist er anerkannt. Seine Methoden und seine Fähigkeiten der Baustellenleitung haben sich herumgesprochen. Nicht zuletzt deshalb hat ihn der Wesir für Städtebauangelegenheiten ohne nervige Stellenbewerbung zum Projektleiter erkoren. Seine Befugnisse sind weitreichend verabredet. Dass er sich damit einem erhöhten Erfolgszwang ausliefert, ist ihm voll bewusst. Eine seiner besonderen Fähigkeiten ist es, Verantwortung an seine Mitarbeiter zu delegieren. Genau dies konnte ich vor ein paar Tagen hautnah erfahren.

Ich erinnere mich jetzt, wie er mich zu einem lockeren Mitarbeitergespräch einlud, um mir die Übernahme des Bauleiterpostens für ein Großprojekt schmackhaft zu machen. Zunächst sprach er von unserer guten Zusammenarbeit in Alexandria bei der Sanierung des Leuchtturmes und zeigte mir die hellen und luxuriösen Büroräume seines neuen Dienstsitzes. Mir war damit sofort klar, dass etwas Großes bevorstehe. Ich lobte ihn ob seiner Wahl, Frau Notvertrete zur Chefsekretärin zu benennen. Eine bestechend attraktive Frau, die mit natürlicher Freundlichkeit die Gäste ihres Chefs in Empfang nimmt und als Willkommensgruß köstliche Plätzchen reicht. Zunächst lobte Echt-Natron mich in Bezug auf meine Fähigkeiten als Bauleiter, was mich stutzig machte, denn ein Lob ist in unserer Branche eher ungewöhnlich. Rote Teppiche für Preisverleihungsorgien, wie sie z. B. für Künstler und Personen des öffentlichen Lebens üblich geworden sind, werden für Bauleiter nicht vorgesehen. Irgendetwas steckte hinter der Schmeichelei von Echt-Natron. Es gelang mir nicht, es zu deuten. Das Mitarbeitergespräch verlief zunächst stockend und nicht präzise genug. Echt-Natron sagte grob, es gebe wohl Probleme mit der Kostenschätzung, der Terminplanung und mit der technologischen Umsetzung des Baues des Cheopswürfels. Naja, nicht grade „wenig“, aber normal für größere Bauprojekte, spielte er die Tragweite der Problemaufzählung herunter. Die Architekten hätten eine Heidenangst, ihre ersten groben Berechnungen zu den Kosten dem Cheops offen mitzuteilen. Vertraulich hätte der Architekt ihm gesteckt, dass die anvisierten gedeckelten Geldmittel wohl nur zu einem Drittel die tatsächlichen Baukosten abdecken würden. Die technische Umsetzung, egal ob für einen großen Würfel oder für einen kleineren Würfel, sei eher unklar. Für eine zusätzliche Geldbeschaffung durch eine gezielte kriegerische Handlung gegen irgendeinen reichen Nachbarn wäre die Zeit zur Vorbereitung und Ausführung zu knapp. Bei den leicht zu besiegenden Nachbarn, den Nubier, sei eh nichts mehr zu holen. Die sind uninteressant, da zu arm. Es fehle also Geld, beendete er seine Problemaufzählung. Pause.

Ich sortierte das Gehörte und fühlte eine starke Neigung zum sofortigen Abgang. Echt-Natron zuliebe blieb ich dennoch und stellte nun ein paar wesentliche Fragen. „Gibt es eine Grundstatik, und was sagt generell der Statiker zu den Tragwerkprinzipien des Bauvorhabens?“, war nach langem zögerlichem Überlegen meine erste Frage. „Es wurde keiner beauftragt“, antwortete Echt-Natrons achselzuckend. „Nicht mal für eine Projektberatung in der Planungsphase steht dem Architekten diese Fachkraft zur Verfügung, obwohl wir genau das empfohlen hatten.“ „Ist wohl dumm gelaufen“, erlaubte ich mir als Kommentar und stellte eine zweite Frage. „Ist beabsichtigt, eine Projektsteuerung zu beauftragen?“ „Ja, es sind die Herren der Hohen Priesterschaft am Hofe des Bauherrn mit Hoch-Hart-Muth an der Spitze, du weiß schon, die gleichen Herrn wie bei der Fundamentsanierung des Leuchtturms an der Küste“, antwortete Echt-Natron, nichts Gutes ahnend. Ich wurde sauer. Kein Statiker, aber eine Projektsteuerung. Echt-Natron verwies noch auf das klare und unerbittliche Nein von Bauherrenseite bei der Bitte zum Verzicht auf die Berufung einer Projektsteuerung. Diese Schaltstelle wäre zu wichtig, um darauf zu verzichten, so das Argument der Auftraggeber. Diesen gravierenden Irrtum konnte weder der Projektleiter noch der Architekt in diversen Besprechungen mit dem Bauherrn klären.

Nun die dritte wichtige Frage, nachdem Echt-Natron die zugestandene Bauzeit von nur 20 Zyklen genannt hatte. „Wird das Bauwerk Haustechnik erhalten?“ Der Projektleiter zögerte mit der Antwort, wohl wissend, welchen Einfluss Haustechnikgewerke auf einen Bauablauf nehmen können. „Es sollen wohl Licht in die Gänge und ein Falltürsystem installiert werden“, beantwortete Echt-Natron meine Frage. „Nach Voranfrage beim Bauamt wird eine Entrauchung der Fluchtwege und der Hohlräume verlangt, da die Architektenansichten nicht auf Fenster oder sonstige größere Fassadenöffnungen am Gebäude schließen lassen. „Wie das umgesetzt werden soll, ist noch zu klären“, beendet Echt-Natron seine Reaktion auf meine Haustechnikanfrage. Seine Darstellungen ließen mich erschaudern. In mir festigte sich wieder der dringende Wunsch, meine Mitarbeit am Projekt abzulehnen. Die immense Menge an Negativfaktoren wirkte nicht gerade stimulierend, den Job des Bauleiters anzunehmen.

Die befreiende Wirkung des Nein-Sagen-Könnens ist derzeit in Mode gekommen. Ein Heer von Wahrsagern und Schamanen, die es an jeder Ecke in Memphis gibt, beschwören die fast narkotische und berauschende Wirkung einer konsequenten Ablehnungshaltung sowie der damit verbundenen individuellen Autonomie. Ich musste daran denken und begann sorgfältig abzuwägen. Ein Nein bedeutet, raus aus diesem Geschäft. Echt-Natron wäre wohl enttäuscht, wenn ich meine Mitarbeit verweigern würde. Ein echtes Dilemma, dachte ich mir und versuchte positiv zu denken. Ein Ja wiederum verhieße unendlichen Ruhm und höchste Ehre. Ich stellte mir die lange Schlange von Autoren vor, die sich um die Rechte der Abfassung meiner Biografie bemühen. Ich stellte mir vor, wie berühmte Maler und Bildhauer sich drängen, ein Bildnis von mir in stolzer Pose zu inszenieren. Und ich stellte mir vor, wie ein auserwählter Monumentalkünstler aus einem großen Fels in der Nähe des Bauplatzes ein kolossales und Sphinx-gleiches Ebenbild des erfolgreichen Bauleiters meißelt. Für alle vorbeifahrenden Flussfahrer und für alle sonstigen Besucher des Cheops-Bauwerks würde ihr Blick auf einen Baulöwen mit einem klugen mächtigen Kopf fallen. Mein Ebenbild würde bis in die Ewigkeit als Kraftpaket aus Tier und Mensch auf diesem erhabenen Plateau thronen und Scharen von pilgernden Bauleuten und Heimwerkern anziehen. Mit diesen Bildern im Kopf verabschiedete ich mich schnell von meinem Zögern und ließ meine Abenteuerbereitschaft und meinen Pioniergeist siegen. Wohl auch, weil das Gehalt stimmte und Freibier auch für die Bauleitung in Aussicht gestellt wurde. Ich entschied mich für die Teilnahme am Projekt. Sarkastisch, auch um genauso cool wie Echt-Natron zu wirken, fragte ich ihn: „Falls ich die Bauleitung übernehme, was machen wir dann alle Nachmittags?“

Nun ist doch ein Nilpferd an Land gegangen. Ich werde abrupt aus meinen Gedanken an die Arbeitswelt gerissen. Auf meinem Lieblingsplatz am Nilufer steht ein riesiges Nilpferd und beansprucht in höchstem Maße meine Aufmerksamkeit. Es kaut geräuschvoll schmatzend das saftige Ufergrünzeug. Das tut es in bedrohlicher Nähe zu mir. Beim Kauen beobachtet es mich mit aggressiven Blicken voller Misstrauen. Jetzt öffnet das Nilpferd sein riesiges Maul und beeindruckt mich mit seinen imposanten riesigen Eckzähnen und seinen merkwürdig stoßzahnartigen Schneidezähnen. Da möchte ich keinesfalls dazwischengeraten. Voller Grauen schießt mir durch den Kopf, dass es sich bei dem Nilpferd um einen Bullen handeln könnte. Blitzschnell fallen mir die allgemein gültigen Regeln für die Begegnung mit wilden Tieren ein, die für alle unbewaffneten Ägypter gelten. Zunächst gilt es, Ruhe zu bewahren. Das ist leicht gesagt angesichts des monströsen Maules. Ich versuche es trotzdem und ergänze diese Regel mit dem Versuch einer beruhigenden Kontaktaufnahme zwischen Mensch und Tier. Dabei versuche ich meine Angst zu verbergen und unterrichte den Koloss, dass der Verzehr meiner Person für den pünktlichen Beginn der Realisierung eines staatstragenden Bauwerkes außerordentlich behindernd sein würde. Offensichtlich hat das wilde Tiere nicht verstanden und bewegt sich unhöflich weiter auf mich zu. Mir bleibt nur noch die Flucht, die in den Regeln für die unheimliche Begegnung der furchtbaren Art die letzte Option darstellt. Knapp und laut schreiend gelingt die Flucht.

Das große Hochstapeln

Подняться наверх