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10. Kapitel

Wer bin ich und wo war ich, fragt sich die schöne junge Frau

Schi Tot reitet zum Kamelhaus und gibt das Leihkamel zurück. Eigentlich ein einfacher Vorgang, doch es gibt ein bisschen Aufregung. Es hat lange gedauert, der netten Dame am Empfang klar zu machen, dass Schi Tot ihre Reisepläne ändern musste und somit das Leihkamel wieder in der Filiale in Memphis, nicht wie vertraglich vereinbart, im Südsudan abgegeben wird. Aber das ist nicht der Hauptanlass der Aufregung. Vielmehr ist der Zustand des Leihkamels der Anlass einer strittigen Debatte. Das Kamel ist ordnungsgemäß genährt. Die Höcker sind wieder mit Trinkwasser aufgefüllt. Stein des Anstoßes aber sind die Zähne, das Fell und die Hufe des Tieres, die zur Übergabe an die Mieterin in einem miserablen Zustand waren. Dies wurde auch im Übergabeprotokoll vermerkt. Doch jetzt zur Rückgabe, sind Zähne und Hufe in einem vorzüglichen Zustand und das Fell vollständig parasitenfrei. Schi Tot lässt sich nicht anmerken, wie erstaunt sie selbst über diese Sachverhalte ist. Sie kann sich nicht erinnern, sich jemals um das Leibeswohl des Leihkamels gekümmert zu haben.

Überhaupt ist die Erinnerung an die letzten Tage äußerst diffus. Ja, da war so ein netter älterer Herr, der einen vorzüglichen Eindruck bei ihr hinterlassen hat. Ja, da war dieser merkwürdige Raum mit all den angebotenen Köstlichkeiten auf einem durchsichtigen Tisch, die sie sich als Künstlerin nicht leisten konnte und ja, da waren die Gedächtnislücken zur Reise in den Südsudan und zurück nach Memphis. Aber eines wusste sie mit entschiedener Überzeugung. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Nämlich den Auftrag, ihren Pharao zu überzeugen, dass ein Polyeder als Pyramide in der Wüste weit ästhetischer sei als ein wuchtiger plumper Wüstenwürfel, der noch nicht mal quadratisch ist. Diese Überzeugungsleistung wird sie mit ihren kreativen Talenten tätigen und als schöne junge Frau Mittel und Wege finden, in den Palast direkt zu Cheops zu gelangen. Nicht mehr und nicht weniger. Staunend nimmt sie wahr, dass sie diese mysteriösen Dinge mit selbstverständlicher innerer Gelassenheit und lockerer Heiterkeit betrachtet. „Was ist zu jetzt tun?“, ordnet Schi Tot ihre Gedanken. Als erstes wird sie ein Konzept zur Vorgehensweise erarbeiten. Ihre Waffen als junge attraktive Frau und ihr Talent zur kreativen Inszenierung sollen die Schwerpunkte in ihrem Plan sein. Mit diesem Verbund glaubt sie, könne sie am besten die beabsichtigte Wirkung bei Cheops und seinem Hofstaat erzielen. Mit modischer körperbetonter Kleidung, betörendem Duft und knalliger Kosmetik wird sie sich eine besonders anziehende Aura verschaffen. Dazu will sie leicht tänzelnde Schrittfolgen einstudieren, die die Männerwelt im Palast in sinnliche Träume versetzt. Als Präsentationshöhepunkt wird sie einen komplexen Körperschmuck kreieren. Mittelpunkt des Arrangements soll eine Pyramidenform sein, die im Verbund mit edlen Metallen und Steinen den absoluten Hingucker darstellt.

Schi Tot genoss eine glückliche Kindheit. Ihre Mutter stellte ihr Leben in den Dienst des behüteten Heranwachsens ihrer Kinder. Als jüngste von drei Mädchen und zwei großen Brüdern war sie das Nesthäkchen der Familie. Vor allem ihr Vater kümmerte sich rührend um Schi Tot. Als Dozent an der Hochschule für gute Formgestaltung in Memphis konnte er schnell das ausgeprägte Talent seiner jüngsten Tochter für die Gestaltung von Formen, Farben und Materialien erkennen. Schon im Vorschulalter bemalte die kleine Schi Tot rohe Keramiken mit Geduld, hoher Präzision und bemerkenswert schöpferischen Motiven. Während gleichaltrige Mädchen Puppen und Puppenstuben geschenkt bekamen, sorgte der Vater dafür, dass die talentierte Tochter zu ihren Geburtstagen ein Gerätesortiment zum Herstellen von Keramiken geschenkt bekam. Schon bald nannte sie eine Töpferscheibe und einen kleinen Kinderbrennofen ihr Eigen. Erfolgreich nahm Schi Tot am jährlich stattfindenden Nachwuchswettbewerb „Jugend töpfert“ teil und erhielt wertvolle Auszeichnungen. Als aus dem jungen Mädchen eine junge Frau wurde, standen berühmte Dozenten verschiedener Kunstakademien Schlange vor ihrem Elternhaus, um der Begabten an ihren künstlerischen Bildungseinrichtungen ein Stipendium anzubieten. Selbst Berater traten auf den Plan, um selbstlos einen erfolgreichen Karriereweg der jungen Künstlerin zu gestalten. Entschieden hat sich Schi Tot jedoch für ein Studium an der Hochschule ihres Vaters. Die väterliche Geborgenheit war ihr wichtig und schon bald stieg sie in den Rang einer Meisterschülerin. Selbstbewusst ob ihrer gradlinigen Entwicklung als Künstlerin reifte der Entschluss, sich nach ihrem Studium selbstständig zu machen. Ihr Traum von einer kleinen bescheidenen Werkstatt mit Verkauf der eigenen Produkte wurde schnell wahr. Sie ist dadurch unabhängig und kann sich einen bescheidenen Lebensstil nach ihren eigenen Vorstellungen leisten. Sie fühlt sich als freier Mensch.

Schi Tot hat ihr Konzept zur weiteren Vorgehensweise abgeschlossen. Sie ist zufrieden und denkt an ihren Freund. Sie weiß, dass er ganz in der Nähe, in dem neu geschaffenen Büro der Bauabteilung ist und sich auf eine kolossale Projektherausforderung vorbereitet. Sie bewundert diesen tollkühnen Mann. Nicht jeder würde sich einer solch abenteuerlichen Herausforderung stellen. Sein Mut, sein Engagement und seine fachlichen Fähigkeiten würdigt sie über alle Maßen. Als sie ihn auf einer Vernissage kennenlernte, hatte er versucht, seine schüchtere Verlegenheit mit mehr oder weniger humoristischen Sprüchen zu überspielen. Das war zwar amüsant, aber nicht zwingend intelligent. Sympathisch war er ihr aber sofort. Man sah es ihm an, dass er ein Mann der Baustelle ist. Bürogänger treten anders auf und kleiden sich in der Regel vorteilhafter. Gefunkt hat es, als er bei ihr verabredungsgemäß zur Bezahlung der roten Perlenbrosche erschienen ist. Ohne Widerstand ließ sie sich danach auf lange Spaziergänge und gemeinsame Restaurantbesuche ein. Sie genoss es, mit ihm zusammen zu sein und hörte aufmerksam seinen Berichten zum Berufsalltag eines Bauleiters zu. Es gefiel ihr, wie er einerseits den Berufsethos des Bauens hervorhob und andererseits äußerst kritisch sich mit den Modalitäten der Verwaltung des Bauens auseinandersetzte. Wie er vom täglichen verzweifelten Kampf um den bürokratischen Alltag berichtete und wie er sich mit der Unbedarftheit der Behörden und Ämter auseinandersetzen muss. Ein Bauleiter ist verantwortlich für die Erfüllung der Funktionsmerkmale eines Bauwerks, für dessen Qualität, die Einhaltung der kalkulierten Kosten sowie des Terminplans. Und das alles ohne wesentliche Entscheidungsbefugnisse. Er sieht darin einen fundamentalen Widerspruch, denn viele Baustellenkonflikte sind dieser Tatsache geschuldet. Schi Tot konnte ihn ein wenig trösten, als sie ihm ähnliche Probleme aus ihrer gewerblichen Tätigkeit erzählte. Auch sie muss sich den Gepflogenheiten der Bürokratisierung selbstständiger Existenzen unterordnen. Die Ämter und das Finanzamt sorgen schon mal für manch bedrückende Stimmung. Es ist durchaus manchmal schwierig, sich als Selbstständige frei zu fühlen.

Ihre Gedanken ordnet sie nun wieder ihrer Beziehung zum Bauleiter zu. Ihre strikte Neigung zur Selbstbestimmtheit führt nämlich zu einem Dilemma. Einerseits fühlt sie sich in seiner Nähe durchaus geborgen und sehr wohl, andererseits will sie sich noch nicht binden. Für einen körperlichen Kontakt ist es noch zu früh. Schi Tot beschließt, zunächst alle Energie und Zeit in die Erfüllung ihres Auftrags zu stecken. Ihr Freund muss warten. Er weiß noch nicht, dass sie zurückgekehrt ist. Eine unerklärliche imaginäre Macht zwingt sie zum sofortigen Handeln. Die Formel für eine Pyramide hat sie von Albert für die Proportionen der Entwürfe aufgeschrieben bekommen. Sie beginnt nun mit geübter Hand Skizzen anzufertigen und hat sich schnell für eine zufriedenstellende Darstellung entschieden. Die Pyramide soll räumlich mittels flacher Vogelperspektive vor einem angedeuteten Strahlenkranz als Relief dargestellt werden und in einem Schmuckarrangement integriert zur Geltung kommen. Sie denkt an einen prächtigen Hals- und Brustschmuck aus mehreren Ketten und Ornamenten. Obwohl die Seach-Kragen der oberen Schicht vorbehalten sind, will sie diese Ausführung in Erwägung ziehen. Für die Pyramide im Zentrum des Kragens denkt sie an ein Schnitzwerk aus weißem Elfenbein, eingelegt in eine erhabene Fassung aus Gold und Silber. Perlen und Edelsteine sollen so aufgesetzt werden, dass sie zwangsläufig die Blicke auf die Pyramide führen. Außerdem schwebt ihr ein Siegelring aus reinem Gold vor, der ebenfalls im Zentrum des Ringes eine Reliefdarstellung einer Pyramide bekommen soll. Ihr ist klar, dass sie die Kleidung und die Frisur dem zentralen Schmuck unterordnen muss. Ein kurzer Blick in den Kleiderschrank genügt und schon hat sie sich entschieden. Sie wählt ein langes schmales Leinenkleid aus, welches ab der Hüfte bis zum Saum gerafft genäht ist. Ein breiter Gürtel soll diese Trendwende im Stoffarrangement unterstützen. Dazu wählt sie hohe Plateauschuhe aus, die ihre langen schlanken Beine perfekt betonen. Das Kleid, die Schuhe und der Schmuck ergeben dann das Gesamtbild einer jungen verführerischen Frau. Genau das ist ihre Absicht.

Sie will mit weitausladenden geflochtenen pechschwarzen Haaren, die sie mit Leinöl zum Glänzen bringen wird, das Bild einer zum Schmuck passenden Frisur vollenden. Dass diese Haarpracht über ihre nackten Schultern gleiten soll, rundet das Verführungskonzept ab. Ein kleines silbernes Diadem mit ein paar Edelsteinen über der Stirn und dazu passende lange Ohrringe werden zur Ergänzung der erwählten Frisur dienen. Um ihre jugendliche Haut zu betonen, wird sie sich, bevor sie sich ankleidet, mit einem rauen Brei aus Salzlauge und Holzasche, vermengt mit tierischen Fetten, Pflanzenölen und gemahlenem Kalkstein waschen. Danach wird Schi Tot ihre Lieblingscreme aus Alabasterstaub, rotem Natron, Salz und Honig auf die Haut tragen. Für das Gesicht wählt sie zur Aufhellung ein bleiweißes Lehmgemisch. Die Augen werden mit einer dunklen Paste schwungvoll umrahmt, die Augenbrauen bis an die Schläfen hochgezogen. Ocker betont noch ihre hohen Wangenknochen, ein Hauch grünes Malachit mit blauem Eisenerz lässt ihre Lider schimmern.

Schi Tot schaut in sich hinein. Sie glaubt, dass ihre Waffen nun scharf genug sind und macht sich gleich ans Werk der Umsetzung. Sie überlegt noch, wie sie am besten zu Cheops vorgelassen wird. Zumindest will sie von einem seiner Wesire empfangen werden.

Das große Hochstapeln

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