Читать книгу Das große Hochstapeln - Michael Waldek - Страница 13
Оглавление9. Kapitel
Luftballons markieren die Trauflinien
Ich hatte Pi-Latus informiert, dass die Bauleitung beabsichtigt, mit dem Architekten und dem Bodengutachter einen Ortstermin auf dem Baufeld durchzuführen. Der Grund hierfür ist, Cheops will in etwa zwanzig Sonnenumläufen (3) mit seinem engsten Stab der Vertrauten das Baufeld der Baustelle besuchen. Er beabsichtigt, sich ein erstes Bild von der Dimension seines geplanten Monumentalbauwerks zu machen. Ich befand, dass es für den Bauherrn von Vorteil ist, durch eine erste Grobabsteckung des Grundrisses die ungeheure Dimension des von ihm in Auftrag gegebenen Bauwerkes zu vermitteln. Ich bat daher den Vermesser, die Baufeldgrenzen und die Hauptachsen des Bauwerkes gemäß Lageplan des Architekten schon vor dem Ortstermin anzulegen. Pi-Latus bestätigte die Erledigung der Absteckung als Selbstverständlichkeit. Wir könnten uns auf ihn verlassen, versprach er.
Ich mag diesen Kerl, diesen furchteinflößenden Titan mit seinen 6 Königsellen (3,14 m) an Körpergröße. Geboren und aufgewachsen ist er in einer abgelegenen Bergregion an der Grenze des Reiches der Hethiter zum assyrischen Staatenbund. Pi-Latus berichtet, dass seine Körpergröße in seiner Heimat nichts Außergewöhnliches wäre. Viele Frauen und Männer hätten seine Statur, nur die Kinder wären niedriger. Deshalb sind die Bauvorschriften, etwa zur Höhe des Wohnraumes, der Türen, der Brüstungen und der Länge der Betten, dort andere als in Ägypten. Schon als Kind galt Pi-Latus in seinem Volksstamm als etwas Besonderes. Wenn seine gleichaltrigen Spielkammeraden sich der Nachahmung berühmter Schlachten widmeten oder Mannschaftsturniere diverser Ballspielarten organisierten, suchte Pi-Latus die Ruhe in der Abgeschiedenheit der Berge. Er streifte mit einem Campingbeutel auf dem Rücken in der Bergwelt umher, stellte sich auf die Gipfel und liebte es, die Entfernung und die Höhe anderer Bergspitzen zu schätzen. Er ersann schon in früher Jugend Messmethoden, um seine Schätzungen nachprüfen zu können. So bastelte er aus alten Hausratgegenständen aus dem Schuppen des Vaters und der Küche der Mutter gut funktionierende Messinstrumente. Über Peilungen konnte er damit in der Regel Übereinstimmungen zu seinen Schätzungen konstatieren. Die kindliche Freude war dann groß.
Aus dieser Neigung entsprang sein Studienwunsch; unbedingt wollte er Geodäsie studieren und als Vermesser arbeiten. Sein Abschlusspatent gelang ihm mit Auszeichnung an der guten geodätischen Universität von Armana. Er ist nach seiner Ausbildung in Ägypten geblieben. Seine Dienste als Vermesser werden hier gern in Anspruch genommen. Der Bauboom hält in Ägypten an und verschafft den in der Bauwirtschaft tätigen Fachleuten derzeit eine sichere Existenzgrundlage. Dass Pi-Latus nicht nur eine prägnante Körpergröße ausweist, sondern auch durch seinen durchtrainierten Körper Aufmerksamkeit erregt, liegt an seinen diszipliniert durchgeführten täglichen Körperertüchtigungsmaßnahmen. Größte Freude bereitet es ihm, wenn die mächtigen Wassermassen des Nil in der Zeit der großen Überschwemmung das Niltal durcheilen und er flussaufwärts mit ausgefeilter Schwimmtechnik gegen den immensen Wasserdruck Widerstand leisten kann. Gegen den Strom zu schwimmen, ist seine große Leidenschaft. Vermesser sind in der Regel sehr zuverlässige Kollegen. Wenn sie gebraucht werden, sind sie da und arbeiten strukturiert die messtechnischen Aufgaben ab. So auch dieses Mal.
Zum verabredeten Ortstermin auf dem Baufeld erscheinen pünktlich San-Rah, Prok-Toor, Echt-Natron und ich. Pi-Latus übergibt uns die Absteckprotokolle und zeigt die fest in den Boden eingetriebenen Absteckpflöcke mit den Achsbezeichnungen und die markierten Gemarkungssteine der Baufeldgrenzen. Zufrieden bedanken wir uns für seine Zuverlässigkeit. Der Vermesser nimmt bescheiden die Würdigung entgegen und lächelt verlegen. Man muss diesen warmherzigen Menschen einfach gernhaben.
Die Lage der Hauptachsen haben gemeinsam der Architekt und der Bodengutachter festgelegt. Zwei Kriterien spielten dabei eine entscheidende Rolle. Zum einen sollte der vorhandene felsige Baugrund die Standsicherheit des Bauwerks garantieren, zum andern sollte eine mystische Projektion der drei Gürtelsterne aus dem Sternbild des Orion auf die Erde die Harmonie zwischen Himmel und Erde symbolisieren. Der große Würfel ist der erste Teil einer Gesamtkonzeption, einer Dreierreihe von Bauwerken, die, wenn nicht von Cheops, dann von seinen Nachfolgern vollendet werden soll. Das nennt man in Fachkreisen „Erst nachhaltiges Denken, dann nachhaltiges Bauen“. Eine faszinierende Reihenfolge, die sich erst allmählich beginnt durchzusetzen.
Zur Animation der Grundfläche des Würfels hat Pi-Latus neben der Absteckung der Achsen auch die Eckpunkte der Grundfläche markiert. Die Festlegung der Höhe der Grundfläche wurde aus dem höchsten gemessenen Pegelstand des Nil abgeleitet. Hier liegen statistische Daten der unteren Flussbehörde vor, die alle als zuverlässig beurteilen. Die 0.00 Höhe ist die Basishöhe des Würfels an allen vier Eckpunkten und darf nur minimal abweichen. Eine für das Bauen durchaus normale Abweichung würde sofort die Geometrie zerstören und für die optische Wirkung der Trauflinien des Würfels verheerende Folgen haben. Hier verlangt der Architekt vom Vermesser allerhöchste Präzision. Alle Messpunkte und Achsen sind in einem Absteckprotokoll dokumentiert, das der Vermesser mit der Bestätigung, dass er sich nicht vermessen hat, unterschreiben und abstempeln muss.
Nur so am Rande, es ist schon merkwürdig, dass der Beruf des Vermessers nach einem Vorfall benannt wird, der auf Baustellen keinesfalls passieren darf. Die Kampfmittelsondierung ist ohne negativen Befund durchgeführt worden. Die Freigabebescheinigung liegt vor. Seltene Lurche wurden auch nicht angetroffen. Die Umweltbehörde ist zufrieden. Die Hauptelemente der zentralen Baustelleneinrichtung, wie die Stichkanäle vom Nil zu den Entlademauern, das Bauschild, die zentralen Baumagazine, das Equipment der drei Kalksteinbrüche, das Arbeiterviertel, die Versorgungsbereiche mit Kornhäusern und der Bäckerei und nicht zuletzt der administrative Bereich für die Architekten mit ihrer Bauleitung, die Palastanlagen des Pharao und der hohen Priester der Projektsteuerung werden später abgesteckt.
Bald also will Cheops mit seiner Entourage den Bauplatz besuchen. Der Besuch soll würdig vorbereitet werden. Als verantwortlicher Bauleiter schlage ich vor, gleich die ganze Dimension des Würfelbauwerks anschaulich zu simulieren und nicht nur die Grundfläche. Hierfür sollen an den vier abgesteckten Eckpunkten 146 m lange leichte Seile befestigt werden, an deren Ende große Luftballons befestigt sind. Die Luftballons würden mit Methan gefüllt und bei idealen Windbedingungen die Eckpunkte der Trauflinien markieren. Somit könne man das unvorstellbare Bauwerk in seiner ganzen Größe erahnen. Methan wird aus dem Dung der Tiere in den höfischen Stallungen gewonnen. Für die Luftballons würden die Schallblasen des männlichen Nilriesenfrosches umfunktioniert. Ich beende meine Ausführungen und beobachte die Wirkung meiner Idee. Begeisterung sieht anders aus. Prok-Toor bemerkt süffisant, dass für das Aufblasen der Ballons Hoch-Hart-Muth zuständig gemacht werden sollte. Echt-Natron ergänzt noch taktisch klug, dass die Umweltbehörde vom Füllstoff der Ballons besser keinen Wind bekommen solle. Er befürchtet Bedenken der Umwelthüter darüber, dass zusätzliches und durch Menschenhand gewonnenes Methan vielleicht unkontrolliert in die Atmosphäre gelangen könne.
„Und wie organisieren wir das mit der erforderlichen Windstille?“, fragt San-Rah. Es folgen ein paar Momente des kreativen Schweigens. Um meine Idee zu verteidigen, schlage ich vor: „Im Falle starker Winde würden wir das Flattern der Ballons als Symbol der Dualität zwischen statischer und dynamischer Prozesse beim Bauen deklarieren. Also, alles ist gut.“
Die Stimmung ist gut. Wir finden, dass wir konzentriert arbeiten und Schritt für Schritt die Baumaßnahme zielorientiert vorbereiten. Nur San-Rahs Gesicht schafft es nicht, gesündere Farbtöne anzunehmen. Er quäle sich sehr beim Gedanken an die bevorstehende Offenbarung zu den Kostendefiziten. Der entscheidende Schritt einer offensiven strategischen Herangehensweise müsse nun schnell vorbereitet werden. Lebensgefährlich ist es so und so, versuchen wir uns zu beruhigen. Mutig beschließen wir nach einer kleinen Pause, Cheops solle reiner Wein eingeschenkt werden.
Apropos, reinen Wein einschenken. Über die plötzliche eintretende Überfunktion meiner Speicheldrüsen erkenne ich, dass es wieder an der Zeit ist, einen köstlichen kühlen Rebensaft in meinem Weinbecher einzugießen und meine Kehle zu erquicken. Den anderen scheint es ähnlich zu gehen. Wir schauen zur Sonne und berechnen übereinstimmend die Tageszeit. Die kleine Bar mit den tollen Musikern wird erst am Abend geöffnet. Wir haben also noch etwas Zeit, vorher in unser Baubüro zu fahren.
Wir betreten das Büro und müssen in eisige Gesichter schauen. Überall nur gruselig eisige Gesichter. Frau Notvertrete räuspert sich zuerst und spricht davon, dass Interna des Büros durch einen Maulwurf nach außen gelangt sind. Die Mitteilung stamme von einem uns wohlgesonnenen informellen Mitarbeiter in der Redaktion der Lokalpresse. Erst nach einiger Zeit des Ringens um Fassung fragen wir vorsichtig, welche Details wohl nach außen gedrungen seien. Frau Notvertrete erinnert uns an die Büroparty im Nachgang unserer Anlaufberatung. Nach reichlichem Genuss von Alkohol hätten wir über Optionen zur Nutzung des Cheopswürfels gescherzt. Vor Lachen hätten wir uns weggeworfen, als die Nutzung als Grabanlage für Cheops ins Spiel kam. „Stellt euch vor, Cheops erfährt von dieser unverschämten Entgleisung. Auch wenn er nur Ansätze der Geschehnisse erfährt, der zerreißt uns alle in der Luft“, warnt Frau Notvertrete. Jetzt haben auch wir eisige und blasse Gesichter. Wer mag wohl der Schurke sein? Unerträglich der Gedanke, dass wir unsere Besprechungen und Feierlichkeiten nicht mehr frei von Misstrauen durchführen können. Dass ab sofort jeder Gedankenaustausch von unsicherer Vertraulichkeit geprägt sein wird. Furchtbar. Wer tut denn so was? Wir legen für Pi-Latus, Prok-Toor, für die Bauleitung sowieso für San-Rah unsere Hände ins Feuer. Verbleiben noch Frau Notvertrete und ihre Cousine? Ist das vorstellbar? Nein! Doch, wer sollte davon Wind bekommen haben? Die Projektsteuerung war nicht anwesend und in der Bar war sie auch nicht dabei. Hatten wir etwa in der Bar total die Kontrolle verloren, so dass die Grabmalsatire nach außen dringen konnte?