Читать книгу Das große Hochstapeln - Michael Waldek - Страница 18
Оглавление14. Kapitel
Die große Projektwende
Bevor wir den Palast des Pharao erreichen, durchqueren wir im Streitwagen die mondänen Vororte für die höhere Schicht. Ich bin selten hier, höchstens mal dienstlich. Mehrere Kontrollpunkte mit bewaffneten Wachmannschaften sind zu passieren, um das auserwählte Gelände betreten zu dürfen. Im Umfeld des Palastes wohnen die hohen Staatsbediensteten, die Astrologen und Politologen und die Leibärzte des Pharao. Auch die Wesire und die hohen Priester wollen in diesem Viertel mit individueller Architektur ihre Positionen bei Hof unterstreichen. Mittels Anwesen befinden sie sich im stetigen Wettbewerb; wer hat das größte und schönste Haus. Eine neureiche Kaste von Geldverleihern ist gerade dabei, sich in diesem mondänen Wohnviertel spektakulär zu etablieren. Man ahnt den ungeheuren Wohlstand, wenn man an den neu erschlossenen Grundstücken vorbeifährt. Allein schon der Blick auf den Rohbau der neu entstehenden Stadtvillen bestätigt die These, dass sich die Geldverleihung lohnen muss. Straßen und Wege sind in einem vorzüglichen Zustand. Sie sind eingesäumt von hohen Palmen und prächtig blühenden Sträuchern. Überall sieht man nützliche Kriegsgefangene, die sich um eine bemerkenswert nachhaltige Landschaftspflege kümmern. Es gibt Streitwagenhaltestellen und Papyruskörbe an den Wegerändern. Eine normale Stadtrundfahrt hätte ich sehr genießen können. Doch schnell kommen wieder die realen Ängste, denn das hier ist keine Vergnügungsfahrt.
Jetzt können wir den Haupteingang zum Pharaopalast erkennen. Die Zuführung durch die Soldaten wird bald beendet sein. Was wird bald wohl noch beendet sein? Die Mitwirkung am Projekt, die berufliche Karriere oder gar das Leben? Im Streitwagen herrscht Stille. Unsere Sinne und Nerven sind zum Zerreißen angespannt. Gefesselt haben sie uns nicht und ein Haftbefehl liegt nicht vor. Es bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass das Ärgernis überschaubar bleibt.
Wir betreten die Vorräume zum Audienzsaal. Diener wischen uns den Straßenstaub vom Gesicht und bieten uns Kämme an, um die vom Fahrtwind zerzausten Frisuren in Ordnung zu bringen. Eine gespannte Atmosphäre herrscht in den Räumen. Es ist jetzt soweit, die Tür zum Audienzraum öffnet sich, wir treten gemeinsam vor den Pharao und fallen auf die Knie. Cheops fragt mit gelassen ruhiger Stimme: „Kennt ihr die Sportart, wo es darum geht, kleine weiße Bälle in ein Erdloch zu schlagen? Ich würde das gern mit euch gemeinsam machen“. Seine Augen zeigen keinerlei Spuren von hinterhältiger List. Niemand ist in der Lage, zu antworten. Wir verstehen die Frage und die Situation nicht. „Was ist los, warum bekomme ich keine Antwort? Ihr könnt jetzt aufstehen.“
Cheops geht zu einem Tisch mit einer großen Landkarte und winkt uns heran. „Meine Herren, die Karte zeigt den Nahen Osten.“ Er tippt mit seinem rechten Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle der Karte. „Hier, gleich hinter meiner Sommerresidenz, befindet sich eine wunderbare Golfplatzanlage. Dort kann man in herrlicher Umgebung, bei frischem Meereswind und einer großen Auswahl an leckeren Cocktails die Sportart bestens betreiben.“ Wir sind alle fassungslos. Echt-Natron fängt sich zuerst und stottert fast im Flüsterton: „Wir wollten schon immer mal diese populäre Sportart betreiben, aber die Projektaufgabe seiner pharaonischen Sonnengleichheit fesselt uns Tag und Nacht an die Reißbretter.“ Cheops unterbricht ihn und bestimmt: „In drei Wochen führe ich den ersten Bauherren-Jour-fixe auf dieser Anlage durch“. „Mit uns?“ fragt San Rah vorsichtig. „Mit wem sonst?“ ist die Antwort des Pharao. Gleichzeitig bedeutet er mit einer Handgeste, dass wir Platz nehmen sollen. Seine Diener bringen schwere Tabletts mit Früchten und Getränken. „Ihr richtet euer Arbeitspensum in den folgenden Tagen so ein, dass ihr drei Tage, zuzüglich An- und Abreise, meiner Einladung nach Südmesopotamien folgen könnt“, bestimmt Cheops. „Eurer Fahrbereitschaft vom Streitwagendienst wird in den nächsten Tagen eine effiziente Route zur Reise mitgeteilt.“ „Es gibt ein paar Besonderheiten im assyrischen Straßenverkehr, die man beachten sollte. Oft nerven Straßenkontrollen die Reisenden bei Verstößen gegen die Verkehrsregeln. Unsere diplomatischen Beziehungen zum assyrischen Reich sind zwar gut, aber es wird immer schwieriger, Verkehrssünder wieder rauszuhauen. Auch hier werden eure Leute instruiert. Zum Zeitpunkt der An- und Abfahrt finden keine Sandstürme statt, sagen meine Astrologen. Die Reisekosten übernimmt die Staatskasse, ihr seid eingeladen“, legt er fest. Abschließend verlangt Cheops, dass wir uns auf den ersten Bauherrentermin gut vorbereiten sollen.
Zwei wichtige Entscheidungen seien getroffen. Zum ersten sei die Idee vom Wüstenwürfel vom Tisch. Cheops verlangt vom Architekten die Umplanung des Bauprojektes in eine Pyramide. Die Basismaße von 440 mal 440 Königsellen (2) für die Grundfläche und die Höhe der Pyramidenspitze von 280 Königsellen (2) sollen erhalten bleiben. Die Planung der Pyramide sei so zu gestalten, dass die Wirkung in der Landschaft alle bisherigen Prunkbauten der Vorgänger des Pharaos bei weitem übertreffe und diese dann zur Bedeutungslosigkeit verurteilt wären. Zum zweiten seien Konzepte zu erarbeiten, wie die vom Pharao vorgegebenen Hohlräume in eine Grabanlage für den Pharao umfunktioniert werden können. Beide Punkte seien unwiderruflich und müssen befolgt werden. Die Umplanungsaufwendungen der Architekten und der Bauabteilung sollen honoriert werden. Ein Angebot sei bis morgen dem Wesir für Städtebauangelegenheiten vorzulegen. Die Bauzeit werde dann angeglichen, wenn die neuen Entwürfe vorgelegt und vom Pharao bestätigt werden. Die Projektsteuerung werde von Cheops selbst instruiert und in die neue Aufgabenstellung eingewiesen.
Cheops bedeutet uns, sofort an das Werk zu gehen und beendet die Besprechung. Frau Notvertrete will noch voller Dankbarkeit und Erleichterung ihre Plätzchen anbieten, doch Cheops ist schon verschwunden. Wir sitzen wie versteinert in den Audienzpolstern und sind fassungslos. Der Wesir für Städtebauangelegenheiten kommt in den Audienzsaal und bittet uns in sein Arbeitszimmer. Wir nehmen an einem großen langen Konferenztisch Platz. Der Wesir beginnt mit den ihm übertragenen weiteren Erläuterungen. „An euren Gesichtern erkennt man die Verwunderung“, teilt er uns lachend mit. „Nun, der Sinneswandel seiner Hoheit ist durch eine dem großen Cheops widerfahrene Erscheinung erklärbar“, erläutert der Wesir. „Cheops ist eine wunderschöne junge Frau erschienen, die völlig widerstandlos durch alle Sicherheitseinrichtungen, Wachmannschaften und sonstige Hindernisse direkt zu Cheops vordringen konnte. Ihre Legitimierung war allein ihr außergewöhnliches Charisma und der stolze aufrechte Gang. Wir gehen davon aus, dass sie als Gesandte eines Götterwillens zur Projektveränderung erschienen ist. In ihrem Brustschmuck und auf dem Siegelring der rechten Hand erkannte Cheops eine auffällige Pyramidenform. Er verstand dieses Zeichen der Götter und befahl seinen Polizeioffizieren, die Bauleutegruppe, also euch, umgehend in den Palast zu bringen. Ein anderes wichtiges Zeichen, ein Zeichen der Götter der Trunksucht, ist ihm zeitgleich widerfahren. Ihr seid in göttlicher Inspiration in einer kleinen Bar in einer lauen Nacht der Trunkenheit verfallen und habt verlauten lassen, dass eine Nutzung des Projektes als Bestattungsanlage dem großen Pharao gewidmet werden könnte. Das Besondere daran ist, dass die Grabkammer weit über der Erde errichtet werden solle. Welch wundervoller Gedanke, Cheops war sofort begeistert. Die Nutzung der Lüftungskanäle der Grabkammer als Pilgerweg für den toten Pharao, um zu den Gestirnen zu fahren, ist ebenfalls sehr innovativ. Das ist eine absolute Neuheit in der Totengeschichte ägyptischer Herrscher. Also, die tolle junge Frau und ihr habt dem Pharao als Erleuchtungsträger die Sinne geschärft und den Willen der Götter eindrucksvoll pflichtgemäß überbracht. Cheops hat deshalb angewiesen, euch und die junge Frau reich zu beschenken. Die Einladung, in seine Residenz zu kommen, ist erst der Anfang.“
Unsere Kinnladen hängen kraftlos in den Kiefergelenken. Wir sind immer sprachloser und haben erhebliche Schwierigkeiten, die neue Situation zu begreifen. Wir fragen den Wesir, wie Cheops Kunde von unseren Entgleisungen, oder besser gesagt, den göttlichen Visionen, aus der Bar erfahren habe. Wir fragen ihn weiter, ob er weiß, wo man die junge schöne Frau antreffen könne. Der Wesir zuckt die Schultern und antwortet diplomatisch, dass der Zuträger aus der Bar nicht mit Namen genannt werden wolle, man habe Verschwiegenheit vereinbart und will dies respektieren. Die junge Frau habe eine hübsche Wochenendresidenz am Stadtrand von Memphis erhalten und wohnt dort bereits. „Ihr Name ist äähhh … Schi heil … oder Schi bruch … oder so ähnlich, der Wesir wisse es nicht so genau.“ „Heißt sie vielleicht Schi Tot“, schreie ich in den Raum. Pause. Ich kriege kaum noch Luft, mein Puls ist am Anschlag. „Ja, genau, Schi Tot ist ihr Name“, sagt der Wesir und kann meine Aufregung nicht nachvollziehen.