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16. Kapitel

Die unvollendete Reise in den Südsudan

„Komm rein“, sagt Schi Tot. „Lass die Sandalen an, der Boden ist pflegeleicht, Verschmutzungen daher kein Problem.“ Auf dem Weg zu ihr habe ich hunderte Szenarien durchgespielt, wie unser Wiedersehen ablaufen würde. Diese nüchterne Aufforderung an der Haustür war nicht dabei. Grundsätzlich gestatte ich mir nicht, Erwartungen an andere zu stellen. Meine Erfahrung besagt, dass dies oft mit Enttäuschungen verbunden ist, wobei Enttäuschungen grundsätzlich nichts Schlechtes sind. Die Täuschung hört auf, ist das Signal aus der Sprache. Richte dich darauf ein, ist die tangierende Botschaft. Das sei rational, lernte ich in meinem Beruf und von einem guten Freund. Gewinnen allerdings Gefühle die Oberhand, wird die Ratio in den einstweiligen Ruhestand geschickt, dann sind solche Begrüßungen einfach nur gruselig. Ich bemühe mich, meine Verzweiflung mir nicht anmerken zu lassen. Auch Schi Tot wirkt nervös. Sie zeigt mir ihr neues Heim und ist besonders glücklich über den großen hellen Werkstattraum. Sie sei erst dabei, sich einzurichten und spricht über die kommenden Anstrengungen bei Auswahl und Besorgung der Wohn- und Arbeitskomponenten. Sie könne unbegrenzt ihre Bedürfnisse zur Schaffung einer genehmen Arbeitswelt mit einer individuellen Wohnstruktur verbinden, wurde ihr nach ihrer unglaublichen Audienz bei Cheops versichert. Das Grundstück, mit dem in einem tadellosen Zustand befindlichen großzügigen Haus, wurde ihr zugewiesen. Sie erzählt, dass sie nicht vorhabe, den kleinen Künstlerladen im Zentrum von Memphis zu schließen. Sie plant auf Grund der exzellenten Möglichkeiten, ihr Angebot und die Vielfalt der selbst entworfenen Produkte zu erweitern und auch hier in dieser mondänen Gegend eine weitere stilvolle Filiale zu eröffnen. Eher beiläufig fragt sie mich, ob ich ihr bei der Umsetzung der Ladenpläne mit meinem Fachwissen helfe. Sie blickt mich bei dieser Frage nicht an, sondern spricht in den Raum. Nach einer kurzen Weile antworte ich betont gelassen: „Mal sehen“. Unsere Blicke treffen sich. Sie weiß nicht, wieviel Kraft und Überwindung diese Antwort mich gekostet hat. Zu groß ist der Schmerz, über ihre Rückkehr nach Memphis nur zufällig vom Wesir für Städtebauangelegenheiten erfahren zu haben.

Ich fasse allen Mut zusammen, greife nach ihrer Hand und ziehe sie behutsam zu mir. Sie lässt es zu. Ich lege den rechten Zeigefinger auf meine Lippen. Sie versteht das Zeichen, dass nun nicht gesprochen werden soll. Jetzt steht sie vor mir. Wir schauen uns an und suchen in unseren Augen den Weg zur Umarmung. „Komm schon“, lacht sie nun, die starre Situation auflösend, „ich bin auch wegen dir zurückgekommen. Glaube mir, drei Kamelstunden in die Wüste haben schon gereicht, um über eine sofortige Rückkehr nach Memphis nachzudenken“. Die Umarmung ist eine Offenbarung. In mir spielen ganze Heerscharen von Fanfarenbläsern alle nur möglichen Oktaven rauf und runter. Ich spüre wohlige Wärme in meinen Händen und in meinem Gesicht, gefühlt mehrere hundert Grad. Erleichtert und beschwingt frage ich sie, „wieso das drei lange Stunden gedauert hat?“ Sie lacht zurück und sagt: „Normal dauert das Jahre, da bist du mit drei Stunden ziemlich ungeduldig“. Ich fühle mich jetzt großartig, wie in einer betörend anderen Welt. Keine furchtbaren Strafen des Auftraggebers für unsere alkoholisierten Eskapaden, die Freundin ist zurück mit einer sehr herzlichen und innigen Umarmung. Und schließlich die Herausforderung des Projektes einer riesigen Pyramide, die meine ganze Kompetenz und engagierte Energie beanspruchen wird. Echt, in diesem Moment bin ich glücklich. Um auch die letzte Ungewissheit auszuräumen, erkundige ich mich nach eventuellen anderen Gründen für ihre Rückkehr. Statt einer Antwort nimmt sie mich bei der Hand und drückt mich auf einen bequemen Divan. Wir sitzen in einem Raum, der durch seine vorzügliche Ästhetik besticht. Ein Geruch von fabrikneuem Mobiliar liegt in der Luft.

„Also, höre mir zu“, beginnt sie zu antworten. „Die Karawane in den Südsudan machte den ersten Halt an einer Raststätte, die von sesshaften Beduinenfamilien bewirtschaftet wird. Die mitgereisten Fußballanhänger setzten diesen Halt durch, weil vor Freude auf ein großes Fußballspiel ordentlich gefeiert wurde. Die Raststätten auf den Verkehrshauptadern Ägyptens, hier in diesem Fall der Nord – Südroute, sind auf diese Anstürme bestens vorbereitet. Die Betreiber planten vorausschauend und nachhaltig, so dass die Kapazitäten der sanitären Anlagen der Menge der feiernden Schlachtenbummler standhielten. Ich nutzte die Pause in dieser Selbstbeduinenraststätte und deckte mich mit Proviant ein“, berichtet Schi Tot. „Ein wenig Zeit bis zur Abreise blieb mir noch. Ich entschloss mich, hinter der Raststätte in einem ruhigen und schattigen Dattelhain eine ausgewiesene Frauenhängematte zu einem kleinen Schläfchen zu nutzen“, berichtet Schi Tot. Sofort sei sie eingeschlafen. Im Halbschlaf sah sie sich noch auf der Weiterreise. Ihr Leihkamel beschleunigte die Reisegeschwindigkeit so heftig, dass sie sich ängstlich um den Hals des Tieres klammern musste. Und jetzt wird die Geschichte merkwürdig. „Ja, lieber Freund, nun geschahen Dinge, die ich dir nicht erklären kann. War es nur ein Traum? Oder war es eine Mischung aus Traum und Wirklichkeit? Ich war plötzlich an einem Ort, den man schlecht beschreiben kann“, fährt Schi Tot mit ihrer Erzählung fort. „Das kann nicht die Heimat der Nubier sein, nein. Dazu waren das Licht, der Duft und die Bewohner des Ortes viel zu anders. Ein freundlicher älterer Herr, mit dem Namen Albert hat mich empfangen und mir fantastische Dinge übermittelt und aufgetragen. Da waren schwierige Rechen- und Geometrieaufgaben, da war von der Drittelung eines geometrischen Würfels die Rede, um die Budgeteinhaltung abzusichern und da war diese neue Polyederform einer Pyramide, die das Ergebnis einer mathematischen Berechnung wurde. Das hat mir Albert alles erläutert und versprochen, dass all das, was ich jetzt höre und sehe, intuitiv in mein künstlerisches Schaffen einfließen wird“, führt Schi Tot weiter aus. „Und tatsächlich, wie von alleine sprudelten meine Gestaltungsideen für die Inszenierung der Pyramide auf zwei Schmuckstücken nur so aus mir heraus. Es war alles ganz leicht, ich hatte keine Mühe und keine Zweifel.“ Schi Tot unterbricht ihren Bericht und öffnet das obere Schubfach einer in der Nähe stehenden prächtigen Kommode. Sie winkt mich heran und legt ein Leinentuch beiseite. Ich erkenne eine flache Schatulle aus dunklem Holz, die Schi Tot nun vorsichtig öffnet. Fassungslos schlage ich die Hände über meinem Kopf zusammen und erstarre beim Anblick dieses blendend schönen Schmuckstückes. Ein Kunstwerk, da bin ich sicher. Ich übermittle Schi Tot gern diese ehrliche Beurteilung. „Und dann noch die Zeremonie der Überbringung der Pyramidenidee, ein echter Hingucker, meine Kleidung, die Kosmetik und mein Duft. Sämtliche Wacheinheiten an den verschiedenen Kontrollposten vor und im Palast hielten sich an ihren Lanzen fest, um nicht umzufallen. Keiner war im Stande, mich aufzuhalten. Keiner stellte irgendeine Frage zum Zweck meines Einlassbegehrens. Alle waren wie erstarrt und wichen sprachlos zur Seite. Wie ein heißes Messer durch Butter gelangte ich zu Cheops. Gut, die letzten entscheidenden Meter wurde ich von einem starken Wachsoldaten getragen, aber sonst bin ich ziemlich einfach zum Pharao gelangt. Er selbst versuchte seine staatsmännische Haltung zu bewahren. Es gelang ihm aber nicht. Er zeigte nur auf meinen Brustschmuck, wohlgemerkt nur auf den Schmuck, und rief sogleich euphorisch, dass es entschieden sei. Die junge Frau vor ihm bringe die Erleuchtung und sei ab sofort als von den Göttern auserwählt zu betrachten. Sie genieße seinen persönlichen Schutz. Cheops holte seine Diener und ein paar Staatssekretäre zu sich und befahl, dass ich ab sofort Ehrenmitglied der Palastwache bin. Ich wäre die erste Frau, der diese höchste Ehrung widerfährt, erfahre ich wenig später bei der Aushändigung der Nutzungsvertragsunterlagen und bei Übergabe des Grundstückschlüssels. Dann hat man mich hierherfahren lassen und mein Einverständnis zur kostenfreien Übernahme dieses herrlichen Wohnsitzes erbeten.“

Schi Tot hält inne und bittet mich nach einer kleinen Pause, ihr Verhalten bei den Rückkehrmodalitäten zu respektieren. Eine starke unbekannte Kraft habe sie dazu getrieben, zunächst diese höchste Staatsangelegenheit zu regeln. Nun wäre sie wieder diese einfache bescheidene Künstlerin, die jetzt sehr froh sei, zuallererst ihren Freund in diese aufregenden Entwicklungen einzuweihen. Schmunzelnd fügt sie noch hinzu, wie praktisch es sei, dass sie als Freundin des Bauleiters beim Bauherrn einen Stein im Brett habe. Einen Pyramidenstein, wie sie scherzend ergänzt.

Das große Hochstapeln

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