Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 10

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Danach trieb es mich jeden Morgen hierher. Ich sah dem Schnee zu, wie er fiel, ich sah dem Schnee zu, wie er wieder schmolz. Glucksendes Rinnsal. Mit dem Frühling kamen die Menschen und ihre Stimmen. Ich saß mit zusammengebissenen Zähnen. Ein Würgen im Hals. Das war der Riss in der Wand. Er trennte mich von denen, die eingewoben waren. Ein verliebtes Pärchen schlenderte flüsternd an mir vorbei. Die heimlichen Worte, die zu mir herüberdrangen, tönten fremd wie die Worte einer Sprache, die ich nicht beherrschte. Ich bin glücklich, hörte ich, unsagbar glücklich. Ein klebriger Zungenschlag. Ich schluckte das Würgen hinunter.

Ob mich jemand bemerkte, ich bezweifle es, und wenn, dann wohl so, wie man ein Gespenst bemerkt. Man sieht es, klar und deutlich, mag nicht glauben, dass man es gesehen hat, und blinzelt es fort. Ich war ein solches Gespenst. Sogar die Eltern nahmen mich kaum mehr wahr. Wenn ich ihnen zu Hause im Eingang oder auf dem Flur begegnete, raunten sie ein ungläubiges Ah, du bist’s. Sie hatten es längst aufgegeben, mich zu den Ihren zu zählen. Wir haben unseren Sohn verloren. Er ist gestorben, noch vor seiner Zeit. So müssen sie es empfunden haben. Als einen lebendigen Verlust. Allmählich jedoch hatten sie sich damit abgefunden. Die Trauer, die sie anfangs um mich gehabt haben mögen, war der Einsicht gewichen, dass es nicht in ihrer Macht lag, mich zurückzugewinnen, und wie sonderbar die Situation für sie auch sein mochte, selbst im Sonderbaren hatte sich bald eine gewisse Ordnung eingestellt. Man wohnt nebeneinander unter einem Dach, und solange nichts davon nach draußen dringt, hält man es für schlichtweg normal, so unter einem Dach zu wohnen.

Ich nannte ihn Krawatte

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