Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 11

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Heute begreife ich, dass es unmöglich ist, jemandem nicht zu begegnen. Indem man da ist und atmet, begegnet man der ganzen Welt. Der unsichtbare Faden hat einen vom Augenblick der Geburt an mit dem anderen verbunden. Ihn zu kappen, dazu bedarf es mehr als nur eines Todes, und es nützt nichts, dagegen zu sein.

Als er auftauchte, hatte ich keine Ahnung.

Ich sage: Er tauchte auf. Denn so war es. An einem Morgen im Mai war er plötzlich aufgetaucht. Ich saß auf meiner Bank, den Kragen hochgeschlagen. Eine Taube flog auf. Mir wurde schwindlig von ihrem Flügelschlag. Als ich die Augen zu- und wieder aufmachte, war er da.

Ein Salaryman*. Mitte fünfzig. Er trug einen grauen Anzug, ein weißes Hemd, eine rotgrau gestreifte Krawatte. In seiner Rechten schlenkerte er eine Aktentasche, braunes Leder. Er ging, sie hin- und herschlenkernd, mit vornübergeneigten Schultern und abgewandtem Gesicht. Irgendwie müde. Ohne mich anzuschauen, setzte er sich auf die gegenüberliegende Bank. Schlug ein Bein über das andere. Verharrte so. Bewegungslos. Das Gesicht in seiner Abgewandtheit gespannt. Er wartete auf etwas. Etwas würde geschehen. Gleich, gleich. Erst nach und nach lösten sich seine Muskeln und er lehnte sich seufzend zurück. Solch ein Seufzen, in ihm war das Etwas, welches nicht geschehen war.

Ein flüchtiger Blick auf die Uhr, dann zündete er sich eine Zigarette an. Der Rauch stieg in Kringeln empor. Das war der Beginn unserer Bekanntschaft. Ein scharfer Geruch in meiner Nase. Der Wind blies den Rauch in meine Richtung. Noch ehe wir Namen ausgetauscht hatten, war es dieser Wind, der uns miteinander bekannt machte.

Ich nannte ihn Krawatte

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