Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 18
14
ОглавлениеZu Mittag kamen andere wie er. Sie kamen in Grüppchen, setzten sich, die Krawatte über die Schulter nach hinten geworfen, auf die Bänke weiter abseits, und saßen, ein jeder mit seinem Bentō, fröhlich plaudernd beieinander. Endlich Pause, lachte einer, endlich Beine ausstrecken. Sein Lachen setzte sich fort in dem der anderen.
Warum war er nicht bei ihnen? Ich stellte Mutmaßungen an. Vielleicht war er einfach nur ein Durchreisender und er hatte den Anschluss verpasst. Musste warten, bis. Oder war einfach nur. Ich konnte es mir nicht erklären.
Sein Bentō, das waren dieses Mal Reisbällchen, Tempura*, ein Algensalat. Er brach die Stäbchen entzwei, hielt inne, wischte sich, eine heimliche Bewegung, mit dem Handrücken über die Augen. Sein angespannter Kiefer, ich sah es, er zitterte. Beschämt sah ich, er weinte. Es war ein zugeschnürtes Weinen, und ich allein war sein Zeuge. Die Beschämung darüber hielt an: Wer weint zu helllichter Stunde? Wer stellt sich dermaßen bloß? Und nicht nur sich selbst, sondern auch mich, seinen Beobachter! Er sollte nicht weinen, nicht vor mir. Er sollte die Tür hinter sich zumachen. Er sollte das wissen. Dass Weinen Privatsache ist. Mich schauderte wie bei der Erinnerung an einen zerquetschten Leib auf dem Asphalt. Schaurig. Daneben zu stehen, dumm vor Betroffenheit. Die weiße Hand, merkwürdig verdreht, zeigte auf mich. Von allen Umstehenden auf mich. Ich wollte blind sein. Das Licht der Rettungswagen schrie mich an. Nie wieder, hatte ich mir geschworen, wollte ich teilhaben am Leid eines anderen. Er sollte das wissen. Dass Weinen und Sterben Privatsache sind.