Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 16
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ОглавлениеIch hatte ihn nicht vergessen, als ich mich Tags darauf auf den Weg in den Park machte. In meinen Träumen war er mir abwechselnd als ein Reiskorn, eine Zigarette, ein Baseballschläger, eine Krawatte erschienen. Das letzte Bild war ein verschwommenes: ein Mann in einem Raum ohne Wände. Mit jedem Schritt wurde es blasser, ich löschte es aus.
Bei meiner Bank angelangt, war ich erleichtert, die seine leer vorzufinden. Dort, wo er gesessen hatte, war keine Spur von ihm zurückgeblieben. Ein Putztrupp war gerade dabei, die Mülleimer auszuräumen. Die Zigarettenstummel waren bereits zusammengefegt und in einen Plastikbeutel gekippt worden. Kein Ascheflöckchen erinnerte an ihn. Der Park war so groß, wie er eben war. An einem der Grashalme, die hier und dort aus dem Kies herauswuchsen, funkelte ein Tautropfen. Ich bückte mich nach ihm, er war warm von der Morgensonne. Als ich wieder hochkam, war er, wie am Tag davor, plötzlich aufgetaucht.
Ich erkannte ihn an seinem Gang. Ein wenig schief. Wie wenn er jemandem ausweichen wollte. So gehen die Menschen, die es gewohnt sind, sich durch eine wimmelnde Masse zu bewegen. Er trug denselben Anzug, dasselbe Hemd, dieselbe Krawatte. Die Aktentasche, schlenkernd. Eine Wiederholung. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander, wartete, lehnte sich zurück. Seufzte. Dasselbe Seufzen. Blies den Rauch in Kringeln aus Nase und Mund. Ihn aus meinem Gedächtnis löschen zu wollen, war nunmehr vergeblich. Er war da, hatte in mir Platz genommen, war eine Person geworden, über die ich sagen konnte: Ich erkenne sie wieder.