Читать книгу Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman - Miriam Rathke - Страница 11

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Auckland, 19. Februar 2010

Mein Gabriel,

dies wird nun der letzte Brief, bevor ich bisher Geschriebenes gesammelt in einen Umschlag stecken und endlich auf die weite Reise zu dir schicken werde.

Der gestrige Abend war wirklich nett! Julie (Luises Freundin – die beiden haben sich während eines Auslandsemesters kennengelernt) hat uns direkt vor dem Hotel mit ihrem Auto abgeholt und uns mit zu sich nach Hause genommen. Sie wohnt in einem Randgebiet Aucklands (Näheres hierzu vermag ich nicht zu sagen, bis wir aus der Innenstadt waren, hatte ich mal wieder die Orientierung verloren. ☺). Das Viertel hat mich sehr an die Vereinigten Staaten erinnert. Viele, eher kleine Holzhäuser, mit geweißten Palisadenzäunen davor. Kleine, bescheidene Vorgärten, ohne üppige Blumenbeete, wie sie bei uns in Deutschland oft zu finden sind. Alles recht dicht bebaut, verwinkelt, eher unübersichtlich, aber mit breiten Straßen durchzogen. Nach einem Becher Tee sind wir zu Fuß zu einem Thailänder geschlendert und nutzten während des Essens die Gelegenheit Julie ein wenig auszufragen, welche Highlights des Landes sie uns nahelegen würde. Sie war sich weitestgehend mit unserem Reiseführer und somit mit der von uns angedachten Route einig. Da kann ja nichts mehr schiefgehen! Julie ist so, wie ich mir die Neuseeländerinnen vorgestellt habe: lustig, unkompliziert, aufgeschlossen, gastfreundlich. Und zu meiner Überraschung konnte ich sie sogar ausgesprochen gut verstehen! Mag natürlich sein, dass sie sich (aufgrund besagter Gastfreundlichkeit) besonders viel Mühe gegeben hat und sehr deutlich sprach. ☺

Aaaaaber … ich bin eingenickt. Während der Unterhaltung, noch bei Tisch! Wie peinlich! Das kommt dabei heraus, wenn man deine Daumen erbittet, ohne dass die Bitte sie erreichen kann … Wie lange bleibt so ein Jetlag?! Und warum leide nur ich so daran?! Luise ist das blühende Leben und ich überstehe nicht mal ein Abendessen zu christlicher Uhrzeit. Ich hoffe sehr, dass mein Biorhythmus sich in Kürze einkriegen wird, denn morgen Mittag verlassen wir die Stadt und machen uns mit dem Campervan auf den Weg ins wilde Neuseeland! Wie aufgeregt wir sind! Welch ein ungewohnter Spaß: CAMPING! (also … fest in der Annahme, dass das Ganze ein Spaß werden wird!)

Bevor wir unser fahrbares Zuhause für die nächsten Wochen abholen und im Hotel auschecken, werde ich aber noch mit dir telefonieren. Endlich ist es soweit! Morgen früh darf ich nach Tagen der Stille dein „Hallo“ vernehmen! ICH FREU MICH SO!

Luise und ich sind heut wieder ein bisschen in der Stadt rumgebutschert und haben unser erstes Eis in der Sonne gegessen! Wir sind zur Quay Street am Fährhafen spaziert (eine Stadt, die einen Hafen hat, kann schon mal so schlecht nicht sein und Auckland hat sogar mehrere Häfen: zwei Handelshäfen, zwei Binnenhäfen und die Fährterminals …) und genossen den Anblick des Ferry Buildings, das sich als restauriertes, historisches Gebäude angenehm von all den viel zu geleckt modernen Hochhäusern und massiven Architekturklötzen abhebt. Der Blick aufs Wasser, die Stadt schützend im Rücken, ein paar Fähren, die ihre Gäste ans Ufer brachten oder mit hinaus in die Weite nahmen, ließen uns verweilen und das Treiben beobachten. Die Ampelschaltungen haben es mir angetan! Die Fußgänger überqueren nicht ganz brav parallel eine große Kreuzung, wenn es Grün wird, sondern sie passieren die Straße diagonal und parallel! Plötzlich von allen Seiten Menschen! Man muss sich nicht ewig von Ampel zu Ampel hangeln und im rechten Winkel gehen. Nein – einfach quer über die Straße! Sehr fußgängerfreundlich und zeitsparend!

Wir beschmunzelten einen Stand, der „echte deutsche Wienerwürstchen“ verkaufte. Beruhigend zu wissen, dass ich nicht der einzige Mensch auf dieser Welt bin, der eine geographische Behinderung hat! ☺ Trotzdem hat es mich irgendwie gefreut, am anderen Ende der Welt „deutsch“ als Qualitätsmerkmal zu lesen. Ein bisschen Heimat … und wäre ich nicht Vegetarierin – ich hätte sofort eine Wurst gegessen! Ich nehme mir mit meinem fleischlosen Leben sogar die Option, irgendwo einen HAMBURGER zu essen! Hamburg … Was macht die schönste Stadt der Welt? Ich befürchte, der schneereiche Winter hat sich in den letzten Tagen nicht einfach gnädig zurückgezogen? Wie schnell vergeht die Zeit bei dir? Kriecht sie mühsam voran, als hätte man ihr beide Beine amputiert? Oder hat sie die Konstitution eines besttrainierten Marathonläufers? Flink und mühelos voraneilend? Am Ende jeden Tages sogar noch eines Schlusssprints fähig?

Ich hoffe, deine Arbeit beschäftigt dich gut. Ich hoffe, du bist viel mit deinen Freunden unterwegs. Ich hoffe, du bist abends so müde, dass du gedankenlos ins Bett fallen kannst.

Wenn ich könnte, Liebster, wenn ich könnte … so würde ich all deine Sehnsucht auf mich nehmen. Es würde doch reichen, wenn nur ich diesem Gefühl standhalten müsste! Ich als Verursacher dieser Ferne. Dieser verhassten Ferne. Vielleicht würde es mir dann sogar besser gehen. Zu wissen, dass Leichtigkeit dein Begleiter wäre, würde gewiss die Schwere in meinem Herzen lindern können.

Dein Wohlbefinden geht mir über alles. Geht es dir nicht gut, so kann es auch mir nicht gut gehen.

Wann immer dir danach ist, melde dich bei mir. Wenn du mit mir sprechen willst, dann schick mir zu jeder Tages- oder Nachtzeit eine SMS und ich rufe dich umgehend an. Ich bin rund um die Uhr für dich da und versuche, stets erreichbar zu sein. Du bist wichtiger als alles andere und auf Schlaf kann ich ohnehin leicht verzichten, wenn ich dafür Zeit mit dir (wenn auch aktuell nur am Telefon) verbringen darf. Bitte zögere nie! Das gilt für diese Reise und für immer.

In tiefer Verbundenheit

Deine Clara

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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