Читать книгу Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman - Miriam Rathke - Страница 18

Оглавление

Matamata, 24. Februar 2010

Vermisster Gabriel,

jeder Brief an dich lässt mich ruhig atmen. Es ist, als wäre ich bei dir. Zumindest ein klein wenig. Jedes Wort an dich, das mein Herz an meine Hand schickt und das diese für dich zu Papier bringt, ist voller Liebe und tiefer Zuneigung. Es fühlt sich an wie eine zarte Umarmung, wie eine liebevolle Berührung. Eher flüchtig, was untypisch für uns sein mag, aber dennoch voller Wärme und Besonderheit. Es ist faszinierend, wie viel Linderung das geschriebene Wort verschaffen kann!

Du fehlst mir. Das muss ich wieder und wieder sagen, auch wenn du längst darum weißt. Aber würde ich es nicht stets wiederholen, so käme es mir vor wie eine Lüge. Ich bemühe mich mit aller Kraft, die Sehnsucht zu genießen; sie macht mich sehr lebendig! Und mein Kopf weiß doch, dass sie endlich ist. Dass es nur noch Wochen sind, bis ich wieder bei dir sein darf. Aber mein Herz krampft, wenn es sein Verlangen nach dir nicht kundtun darf …

Wir waren heute im Auenland! Meine Augen strahlen, während ich dies schreibe, denn es war das bisher Schönste, was wir auf unserer Reise erlebt haben!

Ich will nicht sagen, dass der Wunsch, Hobbiton zu besuchen, meine Motivation war, nach Neuseeland zu kommen. Aber irgendwie eben doch … ☺

Der Herr der Ringe ist eine so großartige Geschichte! Ich liebe die Filmtrilogie – die wohl beste Verfilmung eines Buches, die es je gab! Wer will da nicht auf Frodos Wegen wandeln und einen Blick hinter die Kulissen werfen? Wobei die Kulisse nur zweitrangig ist – in erster Linie geht es um die sagenhaft schöne Landschaft, um dieses so friedvolle Stückchen Land, das Frodos Zuhause war, bis er seine ehrenwerte Mission zu erfüllen hatte. Das heißt also, es geht eigentlich um Neuseeland!

Wir haben uns gleich morgens, nachdem die Nacht auf dem Parkplatz in Matamata ein Ende fand, Tickets für unseren Ausflug ins Auenland gekauft und uns erst im Anschluss daran auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft gemacht. Unweit entfernt fanden wir einen Campingplatz, der uns nicht nur drei Waschmaschinen bieten kann (juchhu!), sondern zudem auch noch einen Pool und zwei heiße Quellen. Das mag nun ein klein wenig luxuriöser klingen als es tatsächlich ist, aber die Möglichkeit, ein paar Bahnen zu schwimmen, ist zweifelsohne äußerst reizvoll, auch wenn es sich leider nicht um einen penibel gepflegten 5-Sterne-Pool handelt.

Gegen Mittag ging es dann endlich los!!

Wir fuhren zum Pick-up-Point und wurden nach kurzer Wartezeit von einem urig alten, knallroten Retro-Bus abgeholt, an dessen Steuer eine sehr redselige, gut gelaunte Busfahrerin saß! Es wurde eine lustige und informative Fahrt, auf der wir diverse Insider-Details über die Dreharbeiten erfuhren. Man wackelte fröhlich auf den gefederten Ledersitzen des Busses hin und her und wurde doch von Minute zu Minute unruhiger. Wie lange würde die Fahrt wohl noch dauern, um eine Landschaft vorzufinden, die dem Auenland glich?! Wir waren nun schon einige Kilometer von Matamatas Stadtkern entfernt und schaute man aus dem großen Busfenster, so schien es, als wäre man irgendwo im nördlichen Niedersachsen: plattes Land, Wiesen, Felder, ein paar vereinzelte Büsche und Bäume. Nichts von all dem, was man sich so vorgestellt hatte …

Gerade als man bereit war, die Enttäuschung anzunehmen, bog der Bus um eine Ecke und es war, als wäre man in einer anderen Welt! Wieder einmal wurde mir klar: Man darf Neuseeland niemals unterschätzen! Nichts kennzeichnet das Land so sehr wie seine Wandlungsfähigkeit und Vielfalt! Innerhalb weniger Minuten sieht alles völlig anders aus! Hügel! Berge! Da, wo gerade noch die weite Ebene regierte! Oder auch ein Fluss, ja sogar das Meer liegt plötzlich vor einem, wenn man nichtsahnend einer Kurve folgt!

So auch heute auf dem Weg nach Hobbiton. Wir passierten ein Tor und waren auf dem Areal der Alexander-Farm. Um uns herum sahen wir nur noch frisch geschorene Schafe, die blökend ihren Unmut zu verkünden schienen, als sie unserem Bus den Weg frei machen mussten. Das Land, das vor uns lag, verkörperte all das, was der gemeine Landwirt wohl fruchtbar nennen würde! Beinah unecht wirkten die saftigen, grünen Wiesen, auf die man von hier oben hinab blickte. Hier und dort erfreute sich das Auge an vereinzelten, kleinen Waldstücken und großen, alten Bäumen, die sich stolz auf den Lichtungen präsentierten. Wären diese Bäume Ents gewesen, die plötzlich das Wandern begonnen hätten – glaub mir, meine Verwunderung hätte sich in Grenzen gehalten!

Besonders malerisch waren die goldgelben, bereits abgegrasten Weideflächen, die einen sagenhaften Kontrast zu dem saftigen Grün boten und auf denen sich pechschwarze Rinder, neben schneeweißen Schafen tummelten. Als hätten dicke Regen- und kleine Schönwetterwolken ihr Firmament verlassen, um dieser Idylle als Sahnehäubchen zu dienen. Atemberaubend schön! Meiner Kamera war kaum eine Verschnaufpause vergönnt!

Bevor wir schließlich einen Fuß ins Auenland setzen durften, bekamen wir noch eine kleine Show geboten, in der uns ein Farmer zeigte, wie die Neuseeländer ihre Schafe scheren. Im Handumdrehen war das Tierchen nackt und hoppelte davon. Ich glaube, es schämte sich ein wenig, vor so vielen fremden Augen unbekleidet auf einer Bühne zu sitzen! ☺ Wusstest du eigentlich, dass Schafe nur im Unterkiefer über Zähne verfügen?

Luise und ich schrien „hier!“, als zwei Lämmer ihr Fläschchen bekommen sollten, und fütterten die gierigen, kleinen Mäuler. Du siehst: Ich übe!! Solltest du weiterhin an der fixen Idee festhalten, später mit mir aufs Land ziehen zu wollen, so bin ich gewappnet!

Dann – endlich – durften wir uns den aus dem Kino bekannten Hügeln nähern, Bilbos Heim betreten und auf der großen Wiese stehen, auf der er seinen 111. Geburtstag feierte. Natürlich war die restliche Kulisse sehr ausgedünnt und vieles, was man aus „Die Gefährten“ kannte, war nicht mehr vorzufinden. Und trotzdem – das Auge ergänzte! Es war aufregend und einfach nur herrlich, dort zu stehen, wo all die haarigen Hobbitfüße das Auenland zuvor lebendig gemacht hatten!

Nach diesem Ausflug kann ich jedenfalls sagen: Die Reise nach Neuseeland hat sich schon gelohnt!!

Zum krönenden Abschluss des gelungenen Tages gönnten wir uns ein Bad in den Hot-Pools. Unter Pool ist in diesem Fall ein kleines, eckiges Betonbecken zu verstehen, das über ein altes, rostiges Rohr den direkten Wasserzulauf einer heißen Quelle hat. Da wir unseren Reiseführer natürlich aufmerksam studiert hatten, wussten wir, dass man keinesfalls mit dem Kopf unter Wasser gelangen sollte. Irgendwelche Mikro-Parasiten könnten sich sonst durch die Gehörgänge auf den Weg ins Gehirn machen. Feiner Gedanke! Da badet es sich doch doppelt so entspannt! Aber wie der gelassene Kiwi sagen würde: She’ll be right, mate! (Neuseeländer sagen einfach ständig zu allem „she“ statt „it“. Ich überlege noch, ob ich das gutheißen soll oder nicht. „Es“ = „sie“? Hm. Nicht sehr schmeichelhaft für das Femininum. Oder ist es genau andersherum und man kriegt hier gar nicht genug von der weiblichen Form? ☺).

Mein Liebster, ich schicke bei nächster Gelegenheit ein paar Fotos. Fotos von mir und dem hungrigen Lämmlein! Nun aber falle ich erst einmal ins Bett und freue mich darauf, von dir zu träumen.

In sehnsuchtsvoller Liebe

Deine Clara

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

Подняться наверх