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Irgendwo zwischen Dubai und Sydney, 16. Februar 2010

Liebster Gabriel,

fühl dich vor jedem weiteren Wort erst einmal umarmt, fest umarmt und liebevoll geküsst! So wie wir es immer tun, wenn du mir die Tür aufmachst. Wir sagen nicht auf der Schwelle „Hallo“. Wir stürzen uns in die Arme und halten einander so fest, als gäb’s kein Morgen mehr. So wie wir es immer tun … ich quietsche vor Freude und du sagst: „Ich liebe die Geräusche, die du machst, wenn ich dich umarme!“ Mehr Worte gibt es selten zu Beginn unseres Wiedersehens. Erst einmal muss die Sehnsucht gestillt werden. Und wenn ich sage, daran mag ich jetzt nicht denken … dann nur weil mir ganz schwindelig wird, wenn ich mir vorstelle, wie viele Tage und Nächte ich auf deine Zärtlichkeiten verzichten muss. Gott … wie sehr du fehlst!

Bis nach Dubai war’s ein Katzensprung. Die sechs Stunden Flug vergingen – halt dich fest – wie im Flug! ☺ Wir hatten das Glück, dass wir unsere Koffer … ach, was schreibe ich da … ich meine natürlich unsere RUCKSÄCKE … gar nicht in Empfang nehmen mussten. Somit brauchten wir uns für diese eine Zwischenstopp-Nacht (vielmehr: die paar Stunden dieser einen Nacht, die es ins Hotel ging) nicht damit belasten. Der Gedanke, als Backpacker zu reisen, ist nach wie vor ungewohnt und ein wenig befremdlich. Mein erster Versuch. Luises erster Versuch. Wir versuchen es gemeinsam, wenn auch in abgeschwächter Form – wir werden nicht wirklich mit den Rucksäcken wandern. Natürlich werden wir das nicht, immerhin liegt uns viel daran, diese Reise zu überleben! Mein 60-Liter-Modell (vollgestopft bis zum Anschlag) würde mich töten! Knacks. Bandscheibenvorfall oder Wirbelsäulenbruch. Mindestens! Mehr Schlepperei als vom Flughafen zum Hotel und vom Hotel zum Campervan wird mich hoffentlich nicht erwarten. Hm. Vielleicht hätte ich doch einfach meinen Trolly nehmen sollen. Aber was tut man nicht alles für ein authentisches Freiheitsgefühl (… sagte sie und brach unter der Last zusammen)!

Als wir den Flieger verlassen hatten, die Flughafenhalle betraten und brav unsere Reisepässe vorlegten, um einen Stempel zu kassieren, fiel uns auch wieder ein, dass Rosenmontag war: alle Araber als Scheich verkleidet.

Wie unkreativ! (Scherz. Ein schlechter. Ich weiß. Du liebst mich trotzdem! ☺)

Es dauerte bestimmt eine Dreiviertelstunde, bis endlich ein kleiner, eher mürrischer Herr auf uns zukam und uns mithilfe von ein paar Brocken Englisch nach unseren Nachnamen fragte, schließlich nickte und uns aufforderte ihm zu folgen. Das ist ein regelrechtes Urlaubsphänomen, oder? Dass man, ohne zu fragen, blind (und vor allem erleichtert, da endlich die Warterei ein Ende hat) einem wildfremden Mann folgt und völlig orientierungslos in dessen Transportmittel steigt. Naja, bisher wurde diese Art von Urvertrauen immer belohnt – so auch dieses Mal! Wir wurden vor der Eingangstür des Hotels abgesetzt (noch immer orientierungslos) und vertrauten weiterhin … nämlich darauf, dass uns auch wieder jemand abholen würde. An der Rezeption wurde uns dann mitgeteilt, dass wir, zusätzlich zu unseren zwei Betten, sogar noch ein Frühstück zu erwarten hätten und es – falls wir es wünschten – einen Wake-up-call obendrauf gäbe. Aufgrund der irritierenden Zeitverschiebung und unserer eher mangelnden Fähigkeit, logisch zu denken (was gewiss nur an dem langen Flug gelegen haben kann), wünschten wir selbstverständlich besagte Aufwachhilfe!

Eine Stunde vor Abfahrt bitte, ja, ja. Anruf also um 5:30 Uhr. Super. Vielen Dank und Gute Nacht. An Schlaf war jedoch nicht so recht zu denken. Langsam realisieren wir, was wir hier machen. Dass wir ein Vierteljahr am so was von anderen Ende der Welt sein werden! Das ist alles ganz schön aufregend … Als wir endlich die Äuglein schließen können und schlafen, klingelt laut und schrill das Telefon:

Ich (schlaftrunken und mit rasendem Herzen … du hast ja schon erleben dürfen, wie schreckhaft ich bin): „Hello?“

Er: „Hello? Helloooo?“

Ich: „Helloooo?“

Ich (noch mal): „Thanks for your wake-up-call.“ Aufgelegt.

Ein Blick auf die Uhr. 2:55 Uhr. Hä? Verwirrung! Und plötzlich klappt es doch mit dem logischen Denken: Da hatte irgend so ein nicht minder Verwirrter mal eben mitten in der Nacht die falsche Nummer gewählt! Na ja, leicht zu erheitern wie wir sind, fiel es uns schwer, das Gelächter einzustellen und schon war das Thema Schlaf mal wieder vergessen. Aber der Typ denkt garantiert, dass ich voll lässig ironisch bin – thanks for your wake-up-call! ☺

Das Frühstück war ein ähnliches Desaster. Den Teller gerade mit frischem Obst und Muffins beladen, da hieß es: „Ihr Shuttle ist da – Sie müssen los.“ Stress. Hunger! Erneute Verwirrung. Wir lassen alles stehen und liegen, wollen unser Handgepäck holen … „Ach nee, doch nicht. Da haben wir Sie verwechselt.“ Argh. Zurück an den Tisch und schnell noch was herunter geschlungen. Bauchweh. Unter Zeitdruck Nahrung zu mir zu nehmen, ist einfach nicht meins … Das war dann doch ein eher bescheidener Start in den Tag. Aber die Vorfreude war groß und wir waren froh, endlich wieder auf dem Weg zum Flughafen zu sein. Dubai hat mich nicht begeistert. Es ist mir ein Rätsel, warum es Urlauber dort hinzieht. Wir haben Dubai natürlich nur flüchtig erlebt, aber der erste Eindruck war mäßig und an Liebe auf den zweiten Blick glaube ich (wie dir bekannt ist) ohnehin nicht.

Jetzt sitzen wir erneut im Flieger. Dieses Mal wird die Flugzeit jedoch geringfügig länger sein. Gute 13 Stunden bis nach Sydney, kurzer Zwischenstopp und dann weiter nach Auckland. Leider haben wir von besagten 13 Stunden bis jetzt gerade einmal vier hinter uns gebracht.

Ich will nicht sagen, dass ich mich zerrissen fühle. Zerrissenheit spürt man bei wichtigen Entscheidungen. Entscheidungen, bei denen Herz und Verstand eine gegensätzliche Position beziehen. So ist es hier nicht. Für mich gab es keine Entscheidung. Diese Reise nach Neuseeland war immer mein Traum. Luise und ich hatten akribisch unsere Route ausgearbeitet, die Flüge gebucht und uns Rucksäcke und Wanderstiefel gekauft, längst bevor wir beide einander begegnet sind. Aber sind wir uns wirklich begegnet? War es nicht vielmehr die eigene Hand, die am Schicksal drehte? Deine Hand und letztendlich auch meine Hand, die nachgiebig wurde, als ich begriff, dass es keine Option gab? Und nun sitze ich hier, und auch ohne dass ich eine Entscheidung treffen muss oder musste, fühle ich, dass ich ganz und gar nicht im Einklang mit mir bin. Ich versuche mit aller Kraft meine Freude hervorzuzaubern. Die Freude und die Neugier auf dieses beeindruckende Land, das ich in wenigen Stunden endlich betreten darf. Und doch kommt es mir vor wie ein riesengroßer Fehler. Denn ein noch viel größerer Traum als Neuseeland, ein Traum, den ich mir selbst nicht erfüllen kann, warst immer du. Wir haben in den letzten Wochen jede freie Minute miteinander verbracht, wir sind zu einer Symbiose geworden, zu einer Einheit. Ich muss mir nicht die Frage stellen, ob das gesund ist, ob es richtig ist, ob man eine Beziehung so intensiv leben sollte. Eigentlich stellt sich diese Frage ohnehin niemals. Ich hatte (zu) viele Beziehungen und noch mehr Liebeleien. Es gab Freiraum für ihn und Freiraum für mich. Man blieb stets schön bei sich selbst, ohne dass man eben dies wirklich hätte beeinflussen können. Man kann eine Symbiose nicht forcieren und wenn man es könnte, dann hätte es keiner gewollt. Diese Art von Nähe ist da oder passiert nie. Ein Mann in meinem Bett war immer ein Störfaktor. Manchmal, wenn er mit mir, ganz sicher aber, wenn er nur neben mir schlief. Sobald er die Augen schloss, war meine Nacht vorbei, bevor sie angefangen hatte. Sein Atmen störte, seine nächtlichen Bewegungen waren zu raumgreifend. Ich fühlte mich eingeengt, regelrecht am Schlaf gehindert. Arme, die mich liebevoll halten wollten und doch nur schrecklich unbequem waren und für Kopf- und Nackenschmerzen sorgten. So bin ich einfach nicht, dachte ich oft. Das kann ich nicht, war die logische Konsequenz dieses Gedankens. Also habe ich stets versucht, dieser erzwungenen Zweisamkeit aus dem Weg zu gehen. Habe in irritierte Gesichter geschaut, wenn ich mitten in der Nacht nach Hause schickte, was nicht in mein Bett gehörte.

Glaub mir, Gabriel, dass es für mich wie ein Wunder ist, wenn ich wie selbstverständlich acht Stunden durchschlafe! Engumschlungen mit dir, in deinen mich schützenden Armen, unter einer eigentlich viel zu kleinen Bettdecke. Je näher ich bei dir bin, desto besser geht es mir. Es brauchte 29 Jahre, um das zu erleben. Du bist meine Perfektion der Liebe. Nein, eigentlich bist du nur Liebe. Alles andere, was ich bis dato so bezeichnete, war nichts als ein kläglicher Versuch. Ein Versuch von mir … von jemandem der es nicht besser wusste, weil er die Liebe nicht kannte. Nun kenne ich sie und verlange von mir und auch von dir, dass wir sie drei Monate nur in Gedanken leben. Wie sehr es schmerzt …

Ich liebe dich, Gabriel. Ich liebe dich …

Deine Clara

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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