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Te Mata, 20. Februar 2010

Mein liebster Gabriel,

ich kann unmöglich ins Bett gehen (wobei Bett es nicht ansatzweise trifft!), ohne dir noch ein paar Zeilen zu schreiben. Ich bin müder denn je, was nun weniger an meinem Restjetlag als an diesem unglaublich anstrengenden Tag liegt. Mein Körper schreit nach erholsamem Schlaf. Aber ich finde keine Nachtruhe, ohne dir noch einen Brief zu schreiben!

Dir zu schreiben ist wie eine kleine Auszeit von der Wirklichkeit. Ich kann dir nah sein, wenn auch nicht halb so nah, wie ich es bräuchte, um tatsächlich glücklich zu sein. Auszeit von der Wirklichkeit … wie undankbar das klingt. Ich bin in Neuseeland ! Im feenhaft schönen Neuseeland! Das ist der Traum so vieler Menschen und auch ich hab mich immer hierher gesehnt. Damals … als ich noch nicht eins mit dir war. Als ich noch nicht ahnen konnte, wie grauenvoll schmerzhaft räumliche Trennung sein kann …

Luise und ich hatten in all den Jahren, in denen wir uns kennen, immer wieder mit dem Gedanken gespielt, nach Neuseeland zu reisen. Es blieb lange nur ein Gedankenspiel, wenn auch eines, das mit herzklopfender Euphorie einherging. Diese Reise war zu einer Art Lebensziel geworden. Einmal hier sein. Nur ein einziges Mal hier sein. Als wäre unser Leben verwirkt, wenn wir im Alter hätten feststellen müssen, dass wir uns diesen so intensiven Wunsch nicht erfüllt hatten. Unsere vielen Gespräche über dieses Vorhaben waren sehr von den Worten „später“ und „unbedingt“ geprägt. „Unbedingt“ erklärt sich von selbst. Kein Land der Welt zog uns so sehr an. Hierherzukommen erschien uns als das Größte. Als die wertvollste Reise, die man machen kann. Vielleicht weil kein Ort ferner der Heimat ist? Weil NZ die weiteste Reise ist, die man machen kann und sich schon deshalb alles nach einem großen Abenteuer anfühlt? Weil NZ diese faszinierende Gelassenheit ausstrahlt? Land und Leute so authentisch wirken? Anders und doch nicht fremd? Oder weil jedes Foto von Natur und Wildnis, das einem in die Hände fällt, vor Schönheit den eigenen Atem stocken lässt? „Unbedingt“ und „später“. „Später“, weil es uns bis dato an finanziellen Mitteln und an der nötigen Zeit fehlte. In den Semesterferien mussten Hausarbeiten geschrieben oder das Geld für die Miete verdient werden, da blieben meist nur drei oder vier Wochen Urlaub übrig. Luise und ich aber wollten mehr. Unser Ursprungsplan sah sogar so aus, dass wir ein halbes oder gar ein Jahr bleiben wollten. Work and Travel – nebenbei Kiwis oder Äpfel ernten. Schlussendlich dachten wir uns jedoch: Arbeiten können wir auch in Hamburg (wenn auch nicht zwingend auf dem Feld! ☺). Konzentrieren wir uns also nur auf das Reisen. Wir haben gut daran getan. Die Vorstellung noch (viel) länger von dir getrennt sein zu müssen, ist mir ein Gräuel. Ist das Dilemma, in dem ich mich befinde, doch auch so schon sehr stattlich. Der innige Wunsch hier zu sein, knallt mit voller Wucht auf die Sehnsucht nach dir. Es wäre falsch gewesen, nicht nach Neuseeland zu kommen. Aber es fühlt sich genauso falsch an, nicht bei dir zu sein …

Und dann dieser heutige Tag, so unfassbar aufreibend! Aber davon schreibe ich dir morgen ausführlich, wenn mein Geist etwas munterer ist und ich ein wenig Abstand zu diesem ernüchternden Chaos gewonnen habe. Jetzt will ich meine Gedanken einzig dir allein widmen. Gabriel … ich vermisse dich. Und nie hatten diese Worte mehr Gewicht! Ich will bei dir sein! Ich will in deine wachen, liebevollen Augen sehen!! Ich will deine klangvolle Stimme hören, die mir liebliche Dinge in mein Ohr flüstert und mir durch den zarten Atem, der sie begleitet, wohlige Gänsehaut zaubert! Ich will deine behutsamen Hände auf meiner Haut spüren, die mit spielerischer Leichtigkeit für unbändige Lust in mir sorgen. Mein Körper leidet. Mein Herz leidet. Und meine Seele leidet … weil sie das Leid von Körper und Herz ertragen muss.

Was bin ich nur ohne dich?

In Sehnsucht und Liebe küsst dich

deine Clara

P.S. Unsere Taschenlampe leuchtete mir, um dir diesen Gute-Nacht-Brief zu schreiben. Nur damit du schon mal einen Hauch von Idee hast, was heut alles schief lief …

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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