Читать книгу Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman - Miriam Rathke - Страница 16

Mein Liebster,

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du hast recht. Auch ich wüsste nicht wohin mit diesem sagenhaften Gefühl, wenn ich dir nicht sagen dürfte, dass ich dich liebe. Wer entscheidet, wann der Augenblick der richtige ist? Wer maßt sich an zu beurteilen, ob es zu früh ist? Ob es schon Liebe sein kann? Wenn es sich anfühlt wie Liebe … Was soll es sein, wenn nicht Liebe? Ist die Liebe doch nichts als ein Gefühl. Ja, das hast du gut gemacht! ☺ Und ich tat gut daran zu erkennen, dass ich dir glauben kann. Und nicht denken, nicht befürchten muss. Sondern lieben darf.

Es liegt ein weiterer Tag hinter mir, der nicht Fisch war und nicht Fleisch. Nicht inspirierend und nicht langweilig. Nicht gut und nicht schlecht. Eine morgendliche Begegnung hat mir so zugesetzt, dass ich ohne den geringsten Zweifel prompt in den nächsten Flieger steigen wollte. Wenn ich schon daran zurückdenke, schüttelt es mich am ganzen Körper und die Gänsehaut regiert.

Campingplatzduschen sind nicht schön. Öffentliche Duschen sind irgendwie nie schön, dennoch freute sich mein schmerzender Rücken (nein, ihm gefällt unser „Bett“ im Camper nicht sonderlich) auf heißes, mobilisierendes Wasser. Ich packte also meine Siebensachen noch bevor Luise aufwachte und war guter Dinge, als ich über den vom Morgentau geküssten Rasen Richtung Dusche spazierte. Kühl ist es hier morgens! Aber die Luft war herrlich klar und die Sonne zeigte sich bereits, was einen weiteren Sommertag versprach.

Den Waschraum erreicht. Und noch so schön leer! Alles, was nicht nass werden sollte, vor den Kabinen deponiert, schnell ausgezogen und husch unter die Dusche. Das wärmende Wasser ein Genuss und auch wenn das Ambiente der Nasszelle an Luxus zu wünschen übrig lässt, so scheint mit jedem Tropfen, der meine Haut berührt, mein Optimismus zurückzukehren. Wir würden das alles schon schaffen! Wir – Luise und ich. Wir – du und ich.

Da steh ich nun … von Kopf bis Fuß eingeseift, mein Haar bis in die Spitzen shampooniert … und plötzlich, im Augenwinkel, zwei Fühler, die sich unter der Tür hindurch recken. Neugieriges Zucken. Nach links und nach rechts. Endlos lange Fühler. Und dann zeigt sich die Kreatur in voller Pracht. Welch ein Scheusal! Es krabbelt. Langsam. Aber sehr zielsicher. In meine Richtung. Das ist also der besagte Huhu Bug!! Nicht dieses mickrige Käferlein aus der ersten Nacht! Fuckin’ hell!!!

Er krabbelt und krabbelt, wird größer und größer. Meine Angst auch. Aber die krabbelt nicht. Eher so Schockstarre. Acht Zentimeter Käfer. Mindestens. Plus weitere acht Zentimeter lange Fühler. Wenn der noch nicht gefrühstückt hat, wird’s ernst. Ein Haps und ich bin weg.

Ey, du doofer Kopf. Mach schon! Wir brauchen einen Plan! Verängstigtes Oberstübchen, zittriger Körper und ich häng mittendrin. Wo sind hier die Lebensretter? Mein armes Hirn zuckt. Wie die Fühler. Eine Lösung, bitte. Jetzt. Die Dusche verlassen. In meinem seifigen Zustand keine Option. Viel zu viel Schaum. Viel zu nackt. Der Waschraum ist längst gut gefüllt. Nur doofe Campingplatzbewohner. Keine furchtlosen Ritter. So mies dieses Leben! Bäh. Muss es echt nötig haben! Menschen so bei ihren Schwächen zu packen! Schämen sollte es sich.

Hach, der Duschkopf. Ragt so schön aus der Wand heraus. Vielleicht lässt er sich drehen, biegen, auf das Urzeitmonster richten. Natürlich nicht. Ist nicht einen Millimeter bereit, mir entgegenzukommen. Meine Hände! Ich habe zwei davon! Fülle sie mit Wasser. Will das Vieh fluten. Leider immer nur drei Tröpfchen, die ankommen. Und daneben gehen. Mr. Huhu hat Ausdauer. Hoffentlich nicht mehr als ich, das wär … autsch, autsch! Shampoo im Auge! Hilfe, Hilfe – ich sehe nichts mehr! Brennender Schmerz und steigende Panik. Die klassische Gute-Morgen-Dusche. Da biste wach! Das Getier denkt nicht an Rückzug. Im Gegenteil. Es setzt zum Flug an!!! Meine tränenden Augen sehen ganz deutlich: Es kommt auf mich zu!! Direkt auf mich zu! Riesige Flügel! Meterlange Fühler! Ein Summen, lauter als das rauschende Wasser! Zähne, so groß wie ein Brotmesser! Ach nee, doch nicht …

Knapp der Kollision entkommen. Abgebogen. Und schwups außer Sichtweite. Herzrasen. Ekelgeräusche. Verstörtes Gejammer. Meine Stimmbänder toben sich aus. Der Schaum muss endlich runter! In Windeseile abgespült, den tattrigen Körper ins Handtuch gewickelt und (so schnell die Flip-Flops mich tragen konnten) zurück zum Camper gerannt. „Luise – ich will hier weg! Sofort!! Bitte, bitte – lass uns schleunigst nach Hause fliegen!! Das ist doch alles ein kranker Albtraum!“ waren in etwa die Worte, die Luise aus dem Schlaf rissen, bevor sie mich mit großen, verwirrten Augen ansah und fragte, wer oder was mir denn bitte eben begegnet sei und ob ich nicht lieber mein Haar föhnen wolle, bevor ich noch ne Kopfgrippe bekomme.

Liebster … wenn ich wieder Zuhause bin, bei dir, dann kann mich nichts mehr erschrecken. Dann bin ich furchtlos, heroisch und unerschütterlich … oder ein nervliches Wrack!

Als ich erneut in die Folterkammer namens Waschraum musste, um (Luise hatte ja recht) mein Haar zu föhnen, krabbelte das Ungetüm gerade in Richtung Toiletten. Eine ihrer Tochter die Zähne putzende Mutter rief verzückt: „Oh look – what a pretty huge bug!“ Für Sorge um die Zurechnungsfähigkeit dieser Dame hatte ich, so kurz nach meinem Kampf ums Überleben, noch keine Energie …

Was mache ich hier, war erneut die Frage des Tages. Der Schreck am Morgen, ein nicht enden wollendes Gejuckel auf der Suche nach besagter Werkstatt und Stunden später die plötzliche Erkenntnis, dass nicht, wie angenommen, die Elektrik kaputt, sondern nur der dämliche Haupthebel nicht umgelegt war und kein Mensch auf die Idee kam, das in Erwägung zu ziehen!

Und dann, wenn es so ist und ich mich nicht entscheiden kann, ob ich lachen oder weinen soll, aber ganz sicher weiß, dass ich dringend deine Arme bräuchte und einen tiefen Blick in deine Augen, dann fühlt es sich einsam an … hier, am anderen Ende der Welt. Und so sehr ich auch manchmal die Einsamkeit schätze, weil sie mir Momente verschafft, in denen ich ganz bei mir bin und spüren kann, was nötig ist zu spüren, vielleicht an Gefühl längst überfällig ist und Aufmerksamkeit verdient, weil es viel zu lange in der Lebendigkeit des Miteinanders zur Stille gezwungen war … so sehr gibt es auch Augenblicke, in denen mir die Einsamkeit zusetzt und an meinen Kräften zehrt.

Dennoch will ich begeistert sein, denn es gab heute ein, zwei Stunden, die ich sehr genießen konnte. Wir haben einen prächtigen Strand entdeckt, den Waihi Beach, an dem ich eine ganze Weile spazieren gegangen bin oder eher: ins Rennen verfiel. Es tat so gut, den angenehm kühlen Abendwind auf der Haut zu spüren, das Meeresrauschen im Ohr und kilometerweit den durch die vorherige Flut befestigten Sand vor Füßen und Augen zu haben. Welch Gefühl von Freiheit!

In den Phasen, in denen ich nicht rannte (bin jetzt nicht so der geborene Läufer ☺), sondern genussvoll, mit offenen Lungenflügeln und einem schwärmerischen Lächeln im Gesicht schlenderte, fiel mein Blick oft auf den Boden, der hier und dort von sagenhaft schönen Muscheln und Schneckenhäusern verziert war. Muscheln, die aussahen wie große, pastellfarbene Fächer und andere hauchzarte Gebilde, die so schön waren, dass sie beinah unecht wirkten. Ich habe dir welche mitgebracht. Ich weiß noch nicht genau wie, aber ich werde sie so verpacken, dass sie den Brieftransport unbeschadet überstehen und dir ein Stück Neuseeland sein können. Ich kann nicht viel mit dir teilen, aber vielleicht gibt es dir ein warmes Gefühl, wenn du etwas, das ich zuvor berührte und das von meinen Augen bewundert wurde, selbst in deinen Händen halten kannst. Alles, was du je angefasst hast, ja sogar alles, was ich irgendwie – und sei es auch noch so entfernt – mit dir assoziiere, hat einen so hohen Wert für mich, dass ich das damit verbundene Gefühl beinah Ehrfurcht nennen kann. Dein weicher Schal, den du mir auf die Reise mitgegeben hast, ist wie zu einem Teil von dir geworden, der mir weit mehr schenkt als einen warmen Hals! Ich trage ihn jede Nacht und fühle mich dir näher. Er ist wie eine Verbindung zwischen uns, selbst jetzt, da er nicht mehr nach dir duftet, weil ich ihn (leider) habe waschen müssen. Genauso ergeht es mir mit jedem Schmetterling, der meinen Weg kreuzt und mir zuzuflüstern scheint: „Ich bin einer von Gabriels Gefährten … mein Flügelschlag berührte sanft dein Herz. Meinetwegen habt ihr zueinander gefunden.“ Und dann glaube ich meinem Hirn, das meinen Ohren einen gehörigen Streich spielt!

Gabriel … du bist nicht genau das, was ich mir immer gewünscht habe … du bist so viel mehr. Ich habe selten in meinem Leben ein so tiefes Gefühl von Dankbarkeit gespürt. In manchen Momenten erscheint es mir noch immer unwirklich, dir begegnet zu sein und wenn ich realisiere, dass du wirklich bist, dass wir wirklich sind, dann bestehe ich aus nichts als Freude und Herzklopfen!

Heute hatten wir wenig Glück mit unserer Schlafplatzsuche. Am Waihi Beach war es leider verboten zu campen (so viel zum Thema „Freicampen ist in NZ erlaubt“: ja, an vielen Stellen darf man sein Gefährt abstellen, aber an genauso vielen Plätzen – überall da, wo ein eindrucksvoller Ausblick lockt – ist es verboten) und wieder einmal haben wir das so plötzliche Einbrechen der Dunkelheit unterschätzt, was zur Konsequenz hatte, dass wir uns zügig einen Stellplatz suchen mussten, denn nachts sind häufig Tiere unterwegs und ein Wildunfall ist nun das Letzte, was wir gebrauchen können … Wir sind also etwas hilflos umhergeirrt und entschlossen uns, nachdem alles, was uns auf dem Weg begegnete sehr verlassen und unheimlich wirkte, direkt bis Matamata durchzufahren. Da sind wir also nun – in der kleinen Stadt, die Ausgangspunkt ist, um nach Hobbiton zu gelangen! Wir werden das Auenland besuchen!! Leider haben wir keinen Campingplatz gefunden und stehen somit auf einem öffentlichen Parkplatz. Irgendwie einsam und auch etwas gruselig, aber hier gibt es wenigstens Straßenlaternen und Toiletten. (Hatte ich schon erwähnt, dass wir langsam aber sicher zur Genügsamkeit erzogen werden?!)

Liebster, sag mir – ist es dir recht, dass ich dir das alles schreibe? Gefallen dir meine ausführlichen Erzählungen? Am Ende langweile ich dich noch, das wäre schlimm! Es ist nur, dass ich mit dir teilen will, was ich teilen kann, und diese Erlebnisse, die machen gerade meinen Alltag aus. Und auch wenn ich mir so viel mehr einen Alltag mit dir wünschen würde, einen Liebesalltag, einen Beziehungsalltag, wohl wissend, dass es bei uns niemals einen klassischen Alltag geben würde, weil ein Alltag, der einem Langeweile und Lieblosigkeit bringt, uns beiden ein Gräuel wäre, so fühle ich mich dir näher, wenn du bis dahin meinem Alltag folgen kannst. Es wäre mir ein Wunsch, dass auch du mich an „Nichtigkeiten“ jedes einzelnen Tages teilhaben lässt. Vieles in deinem Leben ist mir noch so fremd, ist noch so neu und wenig vertraut, dass ich mehr darüber erfahren möchte. Wir hatten so wenig Zeit, uns kennenzulernen. Es war uns so wenig Möglichkeit vergönnt, die Welt des anderen in Ruhe abzutasten … zu erfühlen, was begeistert, was gefällt, was verwundert und was irritiert. Ich sehne mich nach all diesen Emotionen, die wir zu teilen nicht geschafft haben. Berichte mir … was hat dich heute erfreut? Was verärgert?

Sehnsuchtsvolle Küsse von deiner Clara … die dir so zugetan ist … die du unglaublich faszinierst, die sich so sehr nach deiner Berührung sehnt und die sich verloren hat in einem Gefühl, das – wenn es einmal groß ist – unendliche Liebe sein wird.

Bis dahin liebe ich dich!

Innigst

C.

P.S. Wow. Ich glaube, das war der längste Brief, den ich jemals geschrieben habe. Mein Handgelenk schmerzt ein wenig. Welch schöner Schmerz!

Matamata, 23. Februar 2010

Der Tiefschlaf verabschiedet sich langsam … man ist kurz davor aufzuwachen … noch ist man umgeben von einem wohlig warmen Gefühl. Das Herz schlägt ruhig. Alles scheint seine Richtigkeit zu haben. Man atmet ein, man atmet aus … öffnet die Augen … und plötzlich überrollt einen diese bereits bekannte Erkenntnis, die man vor vier, fünf oder wenn die Nacht gnädig war, bereits vor sechs Stunden erlangte: dass etwas Grundlegendes nicht stimmt. Das Herz krampft, der Puls rast. Es fühlt sich an, als würde man fallen. Man weiß nicht wohin mit sich. Panik. Bilder machen sich breit, in den vier Wänden des eigenen Kopfes. An Liegenbleiben ist nicht zu denken, doch das Aufstehen will auch nicht recht klappen. Man weiß nicht, was zu tun ist, denn man weiß längst, dass nichts helfen wird …

Diese Art des Erwachens war mir sehr vertraut. Ich hab mich abends nicht ins Bett getraut, weil ich wusste, dass der nächste Morgen in einer mich wahnsinnig machenden Hilflosigkeit beginnen würde. Ich hab die letzten Jahre wenig geschlafen … und dann kamst du.

Der Tiefschlaf verabschiedet sich langsam … man ist kurz davor aufzuwachen … noch ist man umgeben von einem wohlig warmen Gefühl. Das Herz schlägt ruhig. Alles scheint seine Richtigkeit zu haben. Man atmet ein, man atmet aus … öffnet die Augen … und plötzlich überrollt einen das unbändige Gefühl von purem, reinem Glück. Du gibst mir Halt. Sicherheit. Ich liebe es morgens zu erwachen … weil ich es nicht erwarten kann, meine Gedanken mit dir zu füllen. Weil ich mich nach dir sehnen, von dir schwärmen und mich fallen lassen will in das Meer von (Vor)freude.

Und wenn ich endlich wieder bei dir bin … dann erwache ich in deinen Armen!

C.

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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