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Coromandel, 21. Februar 2010

Vermisster Gabriel,

du fühlst es. Du fühlst mich. Deine SMS kam wie immer zur rechten Zeit. Wenn ich aufwache, was mehrmals pro Nacht der Fall ist, dann schaue ich als erstes auf mein Handy und hoffe auf eine Nachricht von dir. Deine Worte, die mich heute Nacht erreichten, sind zweifelsohne aus einer der schönsten Ecken deiner Seele gekommen! Wie viel Kraft mir das gibt! Wie viel Kraft du mir gibst, mein wundervoller Gabriel …

Der gestrige Tag begann so vielversprechend. (D.h. abgesehen von dem Feueralarm, der im Hotel ausgelöst wurde und uns kurz überlegen ließ, welche der ohnehin wenigen, noch ungepackten Sachen, die wir auf dieser Reise dabei haben, wohl am ehesten den Flammen zum Opfer fallen dürften. Wir harrten einfach aus … und ich konnte, wie erhofft, noch in Ruhe all meine Wandersocken, alten T-Shirts und abgefüllten Mini-Kosmetikfläschchen in den Drecksack (Synonym für Rucksack) stopfen, bevor wir regulär auscheckten – zum Glück war es nur ein Fehlalarm!)

Jedenfalls waren wir wirklich guter Dinge und freuten uns, dass die Reise nun endlich richtig losging! Die Fantasie, die uns schon damals im Reisebüro so fesselte, ging erneut mit uns durch und wir sahen uns an kristallklaren Bächlein oder inmitten einer braven Schafherde campen. Natur pur! Wildnis in Neuseeland – das Land, in dem Freicampen erlaubt ist! Juchhu!

Wir wurden direkt vom Hotel von einer vielleicht 21-jährigen Studentin abgeholt, die in ihren Semesterferien bei „Happy Campers“ jobbt, und zu unserem äh … ich nenn es mal Wohnmobil gebracht. In der Annahme, dass wir nun sicherlich von einem Profi in die Geheimnisse des Campings eingeweiht würden, strahlten noch immer unsere Augen, während wir uns gedanklich weiterhin an die herrliche Wildnis klammerten. Aber sieh an, dieses Küken war der „Profi“ und teilte uns als erstes einmal mit, dass wir ja noch eine Versicherung (über läppische 400 NZ$) zu zahlen hätten. Schluck. So viel zum Thema: Es ist alles bezahlt! Liebes Reisebüro … da hast du leider ganz schön versagt! Nun gut, unterschrieben.

Dann … (Spannung) … dann … (noch mehr Spannung) … sahen wir das Elend. Das ist kein WOHNMOBIL, in dem wir hier durch die Gegend tuckern! Das ist ein Bulli mit etwas höherem Dach, nur dass dieses Gefährt nicht halb so cool aussieht wie ein Bulli!

Luise und ich waren gleichermaßen sprachlos, als sich unsere hilflosen Blicke trafen und wir das Küken so was piepsen hörten wie: „I’ll bet – you’re gonna have a blast, girls!“ Nee, is klar …

Wir legten also, neben unsere Fassungslosigkeit, die den ganzen Campervan auszufüllen schien, unsere Drecksäcke auf die Rückbank des Monsters und klapperten von dannen. Auf diesen Schreck musste erstmal etwas Süßes her (Alkohol ging ja nicht … eine von uns musste das Biest ja nun mal voran treten) und der liebe Gott schien plötzlich doch ein wenig nachsichtig mit uns zu sein, als wir feststellten, dass es die ehrwürdigen Cookies unserer neuen besten Freundin Mrs. Higgins auch im Supermarkt zu kaufen gibt! ☺ Wir füllten unseren Einkaufswagen mit diversen Grundnahrungsmitteln – einen kleinen Kühlschrank hat das Ungetüm ja –, um die nächsten Tage fernab der Zivilisation kulinarisch verlockend gestalten zu können und schepperten weiter. Man macht sich gar keine Vorstellung davon, wie viel Lärm so ein Gefährt macht! In jeder Kurve rutscht das Geschirr hin und her, wackelt die Rückbank oder fliegt eine Schranktür auf. In meiner Einbildungskraft war das alles fein befestigt! Aber nein, nein … bei diesem „Camper“ ist alles anders …

Der Linksverkehr machte mir von Anfang an wenig zu schaffen (einzig Blinker und Scheibenwischer wurden permanent vertauscht), dennoch brauchten wir beinah zwei Stunden (!), um endlich den Weg aus Auckland zu finden. Irgendwie waren Karte und Straßen nie deckungsgleich und wenn ich sage, dass Neuseeland (für deutsche Verhältnisse) äußerst mies ausgeschildert ist, dann ist das weit untertrieben! Diverse Hinweisschilder stehen nur auf einer Straßenseite. Verpasst du also eine Ausfahrt und musst ein paar Kilometer weiterfahren, weil es keine Wendemöglichkeit gibt, brauchst du auf dem Rückweg nicht unbedingt mit dem erwarteten Wegweiser zu rechnen und fährst prompt wieder zu weit. Wir sind jedenfalls eine ganze Weile im Kreis gefahren … Wir haben die Zeit des Herumirrens aber insofern gut genutzt, als wir zufällig auf einen großen Elektroladen stießen – ich hab ein Handyladegerät für den Zigarettenanzünder gekauft! Der einzige Grund, warum es sein kann, dass wir keinen zeitgleichen Kontakt pflegen können, werden also die zu erwartenden Funklöcher sein, aber niemals ein leerer Akku!

Nun haben wir die erste Nacht als Straßenkinder hinter uns. Wir sind nach Nordosten Richtung Coromandel gefahren und haben direkt an der Küste der großen Bucht Firth of Thames ein Plätzchen gefunden, an dem es eine öffentliche Toilette gab (na ja gut, sagen wir … ein Loch im Boden, mit dem man allein sein durfte … ist ja auch schon was) und einen breiten Grünstreifen, auf dem wir parken konnten. Da wir ohnehin nicht vorhatten einen Campingplatz anzufahren – schließlich war es Zeit, dass das Freiheitsgefühl seinen Weg zu uns fand – hielten wir einfach an und blieben. Wir wussten nicht, was für Küstenabschnitte uns alternativ noch begegnen würden und da es langsam dämmerte, waren wir mit Plumpsklo und Grünstreifen durchaus zufrieden. Wäre letzterer nicht direkt am Highway gelegen, hätten wir den Blick auf den Geröllstrand, das Wasser und den Sonnenuntergang noch mehr genießen können. Auf der anderen Seite der Straße fanden sich ein paar vereinzelte, kleine, am Hang liegende Häuser, in denen vermutlich Angelsportler urlaubten. Zumindest deuteten die hier und dort sichtbaren Motorboote darauf hin, die schon startbereit für den kommenden Tag auf Anhängern hinter Geländewagen warteten. Im Rücken der Häuser nichts als Wald. Ja, es war schon malerisch. Und unser erstes Abendbrot am Campingtisch mit diesem schönen Ausblick hätte uns vielleicht ein wenig versöhnen können, wenn wir nicht hätten feststellen müssen, dass die gesamte Elektrik im Inneren unseres Klappermonsters defekt ist! Heißt: kein Licht (doof, aber Dank der Taschenlampe, die erfahrene Camper selbstverständlich immer dabei haben, soweit erträglich (siehe vorheriger Brief)) und ein Kühlschrank, der nur Schrank ohne kühl ist (wesentlich doofer). Welch Spaß, wo wir Milchjunkies quasi eine ganze Kuh dabei hatten! Joghurt, Käse, Frischmilch … es sollte uns ja an nichts fehlen!

Ja … wir haben einen blinden Passagier an Bord – man nennt ihn Murphy! Aber an diesem ersten Abend war der Käse noch angenehm gekühlt und da Mrs. Higgins ihre Kekse so freundlich als nervennährender Nachtisch angeboten hatte, war ein genussvolles Abendessen in der Natur ohnehin gesichert.

Die erste Nacht war mäßig. Irgendwie etwas gruselig. Wir hatten zwar alle gammelig angeschimmelten Vorhänge zugezogen, aber ich konnte mich nicht ganz von dem Gedanken lösen, dass ein Psychopath durch einen der schmalen Schlitze luschern könnte und sich schon in den buntesten Farben ausmalt, welche unserer Körperteile er verscharren und welche er essen sollte, während ich versuche, mich zu dir zu träumen. Es überrascht jetzt vielleicht nicht so sehr, dass uns kein Psychopath begegnet ist (Neuseeland wirkt ohnehin sehr psychopathenfrei, wenn ich so an diverse Begegnungen in der Hamburger S-Bahn denke …). Der Einzige, der zudringlich wurde, war ein dicker, fetter, schwarzer Käfer, den die Taschenlampe an der so geschmackvollen, beigefarbenen, filzähnlichen Decke des Campers entlarvt hatte (ob er auch an unseren Körperteilen interessiert war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen). Vielleicht war das Vieh ein Huhu Bug. Diese Begegnung stand mir schon vor Reiseantritt bevor, seitdem ich eben wusste, dass Neuseeland derartig Gruseliges im Angebot hat. Aber Dank Luise war alles halb so schlimm – sie hat ihn heroisch nach draußen befördert. Ich hab es wirklich gut getroffen mit meiner Reisebegleitung! Wäre ich allein gewesen, hätte ich die Nacht vermutlich in Kaninchenstarre verbracht, die Bestie wie hypnotisiert anleuchtend, bis die Batterien der Taschenlampe, durch funzelndes Zucken bemerkbar, ihren Geist aufgegeben hätten. Ab dem Moment der völligen Dunkelheit und dem damit einhergehenden Kontrollverlust hätte ich aus Selbstschutz bis zum noch Stunden entfernten Tagesanbruch den Camper verlassen müssen. So war es besser! ☺

Nun sind wir auf der schönen Halbinsel Coromandel auf einem hübschen Campingplatz (leider auch hübsch teuer) und unser Käse schmilzt nicht weiter vor sich hin – wir durften unsere Lebensmittel in einen Gemeinschaftskühlschrank in der Gemeinschaftsküche neben dem Gemeinschaftsraum legen. Camper scheinen mir ein recht gemeinschaftliches Völkchen zu sein. (Ich werde diese Hypothese überprüfen und zeitnah berichten!)

Was das genaue Problem der Elektrik ist, konnten weder wir noch der Campingplatzmanager, der durchaus so wirkte, als hätte er in seinem Leben schon den einen oder anderen Camper betreten, ermitteln. Und da heute Sonntag ist, hatten wir bei unserem Beschwerdeanruf bei (un)Happy Campers nur wieder die mit Unwissenheit gemästete Studentin an der Strippe. Morgen dürfen wir unseren Urlaubstag also erstmal mit einem arg von unserer Route abweichenden Umweg zu einer Werkstatt beginnen. Unbändige Freude …

Aber in diesem Moment, jetzt gerade, will ich nicht meckern. Ich sitze am Strand einer bezaubernden Bucht, Muscheln bedecken das Watt so weit das Auge reicht und langsam aber stetig kommt die Flut. Zentimeter für Zentimeter macht das Wasser sich weiter auf den Weg zu uns und ich höre schon die kleinen Wellen sanft rauschen. Links und rechts von der Bucht sehe ich Hügel, die beinah beschützt aussehen von den mächtig wirkenden Bergen, die sie flankieren. Und dahinter versteckt sich die Weite des offenen Meeres. Schön, davon zu wissen. Weite öffnet das Herz und macht den Kopf frei. Die wohlig warme Sonne, die sich mit Meeresluft und dem Geruch von Sonnenmilch vereint, sorgt für diesen behaglich intensiven Duft von Sommer auf der Haut. Es ist wahrhaft ein Genuss, hier zu sitzen und dir zu schreiben. Sonne auf dem Bauch ersetzt Sehnsucht durch Glück. Du fehlst mir immer, auch jetzt, aber es schmerzt nicht, sondern es macht glücklich. Du kannst vielleicht nicht neben mir sitzen, aber du bist hier. Du bist bei mir. Mieter auf Lebenszeit in meinem Herzen. Wobei … ich bin so sehr die Deine, dass ich behaupten mag, mein Herz ist bereits deine Eigentumswohnung.

Ich küsse dich und kann nur staunen. Nur immer wieder über dich staunen.

Deine Clara

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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