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Rotorua, 25. Februar 2010

Mein lieber Gabriel,

das subjektive Zeitempfinden ist sonderbar. Ich habe das Gefühl, dir schon so viele Briefe geschickt zu haben, und trotzdem scheint die Zeit nicht zu vergehen. Wir haben erst den 25. Februar, das heißt, wir sind gerade mal elf Tage voneinander getrennt. Elf Tage … von langen drei Monaten. Uff …

Es war gut, dass du an meinem Abreisetag nicht mit zum Flughafen gekommen bist. Ich hatte es mir insgeheim gewünscht, weil ich, ganz naiv, einfach jeden Augenblick mit dir teilen wollte, der uns geblieben wäre. Du aber hast die Gefahr erkannt. Ich hätte es nicht gekonnt. Ich hätte niemals in diesen Flieger steigen können, wenn du da gewesen wärst. Danke, dass du so weise für uns entschieden hast, denke ich, wann immer mich dieses traumhaft schöne Land so begeistert. Warum nur hast du mich fliegen lassen, denke ich jetzt … mal wieder.

Ich will bei dir sein!! Aber ich darf diese Reise nicht bereuen! Ich darf sie doch nicht bereuen, oder? Es kann kein Fehler sein! Es sind doch nur drei Monate und danach fängt unser gemeinsames Leben an, richtig?

Herrje … ich kann so anstrengend sein …

Statt mich nun weiterhin selbst zu bemitleiden, obwohl ich den wunderbarsten Mann dieser Welt meinen Freund nennen darf, erzähle ich dir lieber wieder ein bisschen von Neuseeland.

Wir haben Matamata hinter uns gelassen und unsere Fahrt Richtung Südosten fortgesetzt. Wir haben Rotorua erreicht. Dieser Ort ist wirklich beeindruckend! Hier und da bahnen sich immer wieder Dampfschwaden ihren Weg an die Erdoberfläche und man mag den eigenen Augen kaum trauen, wenn man sie plötzlich inmitten eines Pfades oder sogar einer Straße hochsteigen sieht. Aber der unfassbare Schwefelgestank, der die ganze Stadt beherrscht, erinnert permanent daran, dass in der Erdkruste unter einem die Geothermie das Sagen hat. Wie kann man hier nur leben und atmen, wenn man von morgens bis abends mit dem Geruch von faulen Eiern umgeben ist?! Gasmaske? Fisherman’s Friend in der Nase? Apathie der olfaktorischen Wahrnehmung?

Du fragst dich nun, warum wir nicht einfach weiterfuhren … in Rotorua gibt es (leider?) einiges zu sehen und zu tun! Die Sache mit den heißen Quellen, Geysiren und Schlammtöpfen wollen wir uns dann schon einmal genauer anschauen. Und wir haben uns Tickets für eine Maori-Show geholt. Die Stadt ist dafür bekannt, dass man hier wirklich authentische Einblicke in die Kultur der Maori erhalten soll. Und, was uns Kulturbanausen mindestens genauso freut, ist die Aussicht auf ein vielfältiges Buffet, das es im Anschluss an die Show geben wird! Warmes Essen!! Welch herrlich verlockende Vorstellung! Aber bis dahin sind es noch ein paar Stündchen …

Unseren frühen Vormittag haben Luise und ich damit verbracht, ein geeignetes Fleckchen zum Übernachten zu finden. Leider auch hier wieder: Überall, wo es wirklich idyllisch ist, ist das Camping verboten! Nun haben wir vorerst aufgegeben und werden nach der Show einen Campingplatz etwas außerhalb anfahren.

Just in diesem Moment liegen wir an einem hübschen See in der Sonne und beobachten zwei schwimmwütige Labradore, die gar nicht genug vom Planschen bekommen können!

Luise und ich versuchen uns von „Hell’s Kitchen“ zu erholen, einem Park, der zeigt, was die brodelnde Erde Rotoruas so alles kann! Beeindruckend, wie so ein paar Pfützen blubbern, kochen und dampfen können! Mal beige-braun und schlammig-gemütlich, als könne man ein Wellnessbad nehmen, dann wieder giftig gelb-grün, als hätte eine böse Hexe ihre Suppe gekocht. Einige dieser Tümpel sind bis zu 300 Grad heiß! Das nenne ich mal lebendige Erde! In „Hell’s Kitchen“ natürlich besonders intensiv: der besagte Schwefelgeruch!

Das ist so typisch Neuseeland. Man begegnet hier Weltwundern und wundert sich kaum noch, weil man einfach mit allem rechnet! Neuseeland ist wie ein Märchenland. Und würde mir Gandalf der Weiße auf Schattenfell die Vorfahrt nehmen – ich würde es glauben!!

Luise und ich haben schon den ganzen Tag irgendwie Kopfschmerzen (ob das wohl an dem Gestank liegt?), und ich genieße nun diese Ruhe, die beinah geruchsneutrale Luft und die warme Sonne auf meinem Bauch. Wenn ich dir schreiben kann, geht es mir gut. Also bin ich zuversichtlich, dass der Kopfschmerz sich langsam verabschiedet und ich Energie für die Maori-Show sammeln kann! Liebster!!! Es ist hier in diesem Land viel verrückter und wundersamer, als ich bis eben dachte! Da behaupte ich gerade noch, mich könnte nichts mehr verwundern, und dann das! Ich musste meinen Schreibprozess kurz für ein paar Minuten unterbrechen, aber nun kann ich dir mehr als zeitnah berichten, was uns hier eben begegnet ist! Völlig irre … ☺

Luise stupste mich an (ich war ja in den Brief an dich vertieft) und machte mich auf ein Gefährt aufmerksam. Wie soll ich es nun beschreiben … es hatte etwas von einem kleinen Bus, aber der Rumpf war der eines Schiffes. Und es war aufgemacht wie eine überdimensionale gelbe Badeente! Dieses Teil, mit offenen Fenstern bedacht, aus denen amüsierte Fahrgäste schauten, die alle 30 Sekunden kollektiv in eine Art Trillerpfeife pusteten, um dadurch „Quak-quak“-Laute zu produzieren, rollte auf uns zu (das hatte etwas leicht bedrohliches – fremde Dinge machen Menschen Angst!) … und fuhr schnurstracks in den See!! Es fuhr einfach in den See!! Und schipperte von dannen!! Da guckten nicht nur die zwei Labradore doof! Wie absurd!! Ich hab noch immer Schmerzen vor lauter Lachen! Die Welt spinnt! Wer braucht da einen Fernseher?! Die besten Komödien, Dramen und Liebesgeschichten spielen sich doch direkt vor deiner Nase ab! Großes Kino!!

Dieses Etwas drehte seine Runden auf dem See und begab sich wieder (untermalt von besagtem „Quak-quak“) an Land. Wie ein Elefant, der Wasser lässt, erleichterte sich die Badeente und fuhr, als wäre nichts gewesen, in die Richtung, aus der sie gekommen war! Ich bin wirklich froh, dass Luise auch dabei war. Sonst hätte ich befürchten müssen, dass meine Gabriel-Entzugserscheinungen bereits für knallharte Halluzinationen sorgen!

Ich werde nun noch ein bisschen meine Augen schließen und mich zu dir träumen. Auch wenn du mir nachts häufig erscheinst, so sind Tagträume doch die verlässlichere Variante. Stets abrufbar und zu steuern. Tagträume sind immer wundervoll – die Gewissheit hat man.

Bis morgen, mein Liebster.

Ich küsse dich zart …

Deine Clara

P.S. Das Wasser der Hot Pools, in denen wir badeten, scheint übrigens ziemlich aggressiv zu sein. Nicht nur, dass mein Bikini sich rötlich verfärbt hat, nein, er löst sich nun auch noch in Wohlgefallen auf. Es lebe das Chlorwasser! Nein, besser: das Meerwasser! ☺

Fernhalten. Ein Neuseeland-Roman

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