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Oxytocin, Hypnose und das Spiel mit den Neuronen

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Über die Sprache der Politik und der Massenmedien und deren Wirkung ist schon viel geschrieben worden. Wie suggestiv – und somit hypnotisch – bestimmte Begriffe und Sätze wirken, müssten wir eigentlich inzwischen alle wissen. Aber dem ist nicht so: Irgendwie scheinen wir der persuasiven Wirkung von Sprache, Rhetorik und Worten mehr oder weniger ausgeliefert zu sein.

Worte beeinflussen unser Verhalten von Kindheit an. Womöglich ist das von der genetischen Evolution so eingerichtet, denn wie sonst wäre die beruhigende Wirkung der Worte einer Mutter auf ihr schreiendes Baby zu erklären? Sie funktionieren, weil es die Worte der Person sind, der dieses schutzbedürftige Wesen voll vertraut. Es hört die mütterliche Stimme – und schläft selig ein.

Mit acht Monaten, wenn ein Kind vermag, Fremde als solche zu erkennen, beginnt es zu weinen und zu schreien, sobald es mit unbekannten Menschen in Kontakt kommt.88 Zumeist genügen dann aber ein paar Worte der Mutter oder eines anderen vertrauten Familienmitglieds, um das Kind zu beruhigen, sodass es fremden Menschen mit der Zeit nicht mehr mit Furcht und Angst begegnet. An diese guten, also nicht irreführenden Seiten von Worten und Stimmen sind wir seit Anfang unseres Lebens gewohnt.

Wie bereits erwähnt, hat jene einlullende Kraft der Worte sehr viel mit Vertrauen zu tun – und Vertrauen wiederum hängt mit dem Liebeshormon Oxytocin zusammen: »Bislang war wenig darüber bekannt, welche physiologischen Mechanismen hinter der Ausbildung von menschlichem Vertrauen stecken. Drei Schweizer Wissenschaftler konnten [2005] jedoch zeigen, dass Oxytocin wesentlich zur Vertrauensbildung beiträgt. In einer Studie verabreichten sie das Hormon nasal einer Reihe freiwilliger Probanden. Verglichen mit den Studienteilnehmern, denen auf nasalem Weg nur ein Plazebo verabreicht worden war, zeigten die Teilnehmer der Verumgruppe [die das Hormon tatsächlich bekamen] deutlich mehr Vertrauen.«89

Dieses hormonbedingte Vertrauen ist wiederum eng mit Hypnose verbunden, wie eine 2011 durchgeführte Studie der University of South Wales in Sidney (Australien) aufzeigte. Hier wurden Männer, die nicht besonders leicht zu hypnotisieren waren, in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine bekam ein Placebo, die andere nasal das Hormon Oxytocin (das unsere Vertrauensseligkeit erhöht). Danach wurde versucht, die Probanden zu hypnotisieren. Jene, denen Oxytocin in die Nase gesprüht worden war (und die somit mehr Vertrauen zu den Menschen in ihrer Umgebung entwickelt hatten), ließen sich signifikant leichter hypnotisieren.90

Man könnte also somit die These aufstellen, dass Vertrauen (verbunden mit Oxytocin) die unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Hypnose ist oder die Hypnotisierbarkeit erleichtert. Damit ließe sich auch die Reaktion eines Kleinkindes auf die Stimme und die Worte der Mutter erklären, denn die Mutter-Kind-Bindung ist besonders durch Oxytocin gekennzeichnet: Bei jeder Hautberührung schießt dieses »Kuschelhormon« in die Höhe.91

Vertrauen ist uns somit in die Wiege gelegt, wobei aus genetischen Gründen einige Menschen von vornherein mehr Vertrauen in ihre Mitmenschen haben, andere weniger und manche überhaupt nicht. Aber warum ist das so? Vertrauen scheint in Korrelation mit denjenigen Genen zu stehen, die für die Bildung der Oxytocin-Rezeptoren verantwortlich sind – und damit auch die Hypnotisierbarkeit von Individuen bestimmen. In einer weiteren australischen Studie wurde nämlich festgestellt, dass Menschen mit der GG-Variante des für die Oxytocin-Rezeptoren zuständigen Gens weniger hypnotisierbar waren als die Träger eines A-Allels. Dies deutet einmal mehr darauf hin, dass die unterschiedliche Suggestibilität oder Hypnotisierbarkeit von Menschen genetisch bedingt ist und mit dem Oxytocin-Rezeptor-Gen zu tun hat, das für unsere Vertrauensfähigkeit verantwortlich ist.92

Die wissenschaftlichen Studien zeigen somit, dass die menschliche Hypnotisierbarkeit eine genetische Basis besitzt, die eindeutig mit Oxytocin und Vertrauen zu tun hat.

Wie sehr Worte aber auch irreführend sein können und wie stark sie unseren bewussten Willen außer Kraft zu setzen vermögen, erfährt man erst später, wenn man beispielsweise als Kind von Freunden hintergangen oder Opfer von Mobbing wird. Tiefgreifende Enttäuschungen widerfahren insbesondere Jugendlichen in der Schulzeit, wenn sie ihren ersten Liebeskummer erleiden.

So können zärtliche Worte selbst die strengsten Kontrollinstanzen der Großhirnrinde umgehen und rasch ihr Ziel erreichen. Wie oft dies passiert, davon zeugen die Liebesenttäuschungen vieler Mädchen und Jungen, aber auch die erwachsener Frauen und Männer, die Opfer von sogenannten Love-Scammern geworden sind – Betrügern, die andere Menschen mit vorgegaukelten Liebeserklärungen hypnotisch umgarnen, um ihnen Unsummen an Geld abzuluchsen oder sie zu erpressen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Susanne Klatten (eine Dame, vor deren Courage man übrigens den Hut ziehen muss).93

Liegt dieser Manipulierbarkeit der Gefühle vielleicht ein biologisches Diktat zugrunde? Nehmen wir an, eine junge Frau lernt einen attraktiven Mann kennen, dem sie aber nicht so recht vertraut, weil ihre Großhirnrinde sie bereits auf einige eher zweifelhafte Eigenschaften aufmerksam gemacht hat. Eines Tages, als sich ihr Gehirn gerade nicht in Habachtstellung, sondern eher in einem entspannten und hormonbedingt besonders rezeptiven Zustand befindet (weil die junge Frau kurz vor dem Eisprung steht94), lauscht sie seinen mit tiefer, schmeichelnder Stimme gesprochenen Liebesschwüren. In diesem Moment glaubt sie seinen Worten trotz besseren Wissens und lässt sich von ihnen einlullen. Nehmen wir weiter an, dass sie Wochen später schwanger ist. Dies würde zeigen, dass sich die Evolution und eines ihrer Grundprinzipien, die »Erhaltung der Spezies«, erneut erfolgreich durchgesetzt haben – wie seit jeher.

Ein banales Beispiel, das uns aber eines erneut vor Augen führt: Das menschliche Gehirn ist vermutlich von den Genen her darauf programmiert, sich »hypnotisierenden« Worten hinzugeben, um einem weiteren Diktat der Biologie (Fortpflanzung Überleben) zu folgen. Nicht umsonst ist Hypnose, wie oben dargelegt, eng mit dem Hormon Oxytocin verbunden – jenem Hormon, das nicht nur für das Empfinden von Vertrauen, sondern insbesondere für die Liebe von fundamentaler Bedeutung ist.95

All dies wirft die eine oder andere Frage auf, deren Beantwortung für uns Menschen von Bedeutung ist: Ist unsere Hypnotisierbarkeit womöglich genetisch bedingt, damit wir (aus welchen evolutiven Gründen auch immer) manipuliert werden können? Und sind unsere Lebenswahrnehmungen als eine Art Dauerhypnose anzusehen? Mit anderen Worten: Leben wir ein Leben in Trug und Lug?

Die hypnotisierte Gesellschaft

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