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Die Folgen unserer alltäglichen Hypnose

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Wie erschreckend – oder rettend – ist die Erkenntnis, dass wir seit Anbeginn unseres Lebens Worten allzu oft machtlos gegenüberstehen und Sprache unsere Wahrnehmung der Realität und unser Urteilsvermögen tiefgreifend manipulieren kann?

Die Eingabe »Hypnose« in Google (Deutschland) liefert über 20 Millionen Treffer, und auf YouTube erhält man unter »hypnosis« (engl.) über drei Millionen Videos über Regressionshypnose und Selbsthypnose und wie man mit Letzterer stressfreier lebt, weniger raucht und soziale Ängste abbaut, um nur einige Themen zu nennen. Natürlich gibt es auch fürs Smartphone schon eine Fülle von Hypnose-Apps, u. a. zum Abnehmen, gegen Schlaflosigkeit und – wen wundert’s? – für besseren Sex.96

In vielen dieser YouTube-Videos spielen das Wort und die Stimme, aber auch hypnotisierende Bilder eine besondere Rolle (z. B. rotierende Spiralen, Strudel oder Wirbel).97 Optische Muster dieser Art werden auch gerne in der Werbung eingesetzt; selbst bekannte Firmen wie Verizon oder Oatly98 bedienen sich unverblümt solcher Hypnosebilder, die den Betrachter förmlich einsaugen99 – ebenso wie Apple.100 Offenbar schämt man sich nicht, für Werbezwecke offen hypnotisierende Bilder einzusetzen, also gewissermaßen zu demonstrieren, dass Werbung de facto Hypnose ist.

In dem oben erwähnten Apple-Werbespot wird nicht nur auf hypnotisch rotierende Kreise zurückgegriffen, sondern gleich zu Anfang mehrmals das englische Wort »magic« benutzt. Zunächst versetzt Apple den Zuschauer also mit Worten in eine Art magischen Erwartungszustand, um ihn danach desto leichter in den Bann bzw. den Sog hypnotisierender Bewegungen zu ziehen, mit denen das Produkt beworben wird.

Werbung hat schon immer auf die Suggestivkraft von Worten und Bildern gesetzt und sich gleichzeitig die Tatsache zunutze gemacht, dass jeder von uns im Laufe des Tages dafür mehrmals erhöht empfänglich ist, das heißt besonders anfällig für persuasive und manipulative Beeinflussungen (z. B. weil wir müde, nervös, depressiv, angeschlagen, gestresst etc. sind). Forscher haben nämlich festgestellt, dass wir tagsüber, obwohl wach, mehrere unbewusste Trancezustände erleben – Momente, in denen unser »Ich« die Kontrollinstanzen der höher entwickelten Gehirnregionen pausieren lässt.101 In diesen Momenten ist unsere neurologische Software Hackern besonders ausgeliefert, und wir räumen der Allmacht der Gesten, Worte und Bilder die Möglichkeit ein, ungefiltert bzw. »unbeaufsichtigt« in unsere primitiveren Gehirnregionen einzudringen und somit unser bewusstes Ich gewissermaßen auf kleinster Flamme zu halten.

Eine besonders perfide Form psychomanipulativer Gewalt ist das sogenannte »Gaslighting«. Hierbei wird das Opfer von einer ihm vertrauten Person emotional desorientiert und in Selbstzweifel getrieben, also in einen Zustand der Verwirrung versetzt (hypnotische Technik) – zum Beispiel durch systematisches Anzweifeln seiner Erinnerungen. »Erstmals kam der Begriff 1938 in einem Theaterstück des britischen Dramatikers Patrick Hamilton vor. Der Film ›Gaslight‹ [dt. Titel: »Das Haus der Lady Alquist«] griff das Thema dann 1944 noch mal auf. Ingrid Bergman spielt darin eine Frau namens Paula, die von ihrem Mann in den Wahnsinn getrieben wird, damit er an ihr Erbe kommt. Heimlich manipuliert er die Gaszufuhr an ihrem Haus, gibt aber vor, das Flackern des Lichtes selbst nicht zu sehen. Paula glaubt, verrückt zu werden.«102

Derartige Manipulationen mittels Worten und Gesten können unsere Psyche demnach nachhaltig beeinflussen, und Menschen, die solche Techniken erlernt haben oder instinktiv beherrschen, gibt es leider zuhauf.

Der Alltag liefert uns hier weitere interessante Beispiele. Wer in Politik, Werbung oder Journalismus tätig ist, weiß, sich Hypnosetechniken wie Suggestion und Verführung professionell zu bedienen, ob in Form von taktischer Rhetorik oder anderweitig.

Dazu vorab einige besonders eklatante Beispiele:

Für das Brexit-Referendum hatte Nigel Farage einen der weltweit berühmtesten Hypnotiseure engagiert, Paul McKenna. Er wurde der wichtigste Berater für die Videokampagne, die Großbritanniens Ausstieg aus der EU einleitete. Laut Arron Banks, einem der Hauptgeldgeber der Brexit-Initiative, waren diese Videos, die auf den sozialen Medien gepostet wurden, der Schlüssel zum erfolgreichen EU-Ausstieg.103

Selbst Amnesty International engagierte im Januar 2018 einen berühmten Hypnotiseur für einen beeindruckenden Kurzfilm zum Thema »Asylsuchende«. Dieser versetzte jüngere und ältere Menschen in Trance, um sie emotional die Geschichte einer jungen syrischen Frau nachempfinden zu lassen, die er ihnen mit bildstarken Worten schilderte (… das grausame Kriegsgeschehen in Syrien, das Boot im eiskalten Meer, die gefährliche Landung an der griechischen Küste, die mühsame Beschaffung der Papiere für Holland).104 Der Kurzfilm, der die Reaktionen der hypnotisierten Menschen zeigt, ist emotional sehr packend – und hat somit sein Ziel bestens erreicht, nämlich die Zuschauer für die Situation der syrischen Asylsuchenden zu sensibilisieren.

Regierungen überall auf der Welt (er)kennen ebenfalls die Vorteile von Suggestionen und bedienen sich der Verhaltenswissenschaften, um ihre Bürger unauffällig und ohne großen Aufwand zu bestimmten Handlungen zu bewegen.

Diese Form der Manipulation, auch als Nudging bekannt, wird besonders in den angelsächsischen Ländern eingesetzt. Der New Scientist schreibt dazu: »Ein Nudge nutzt das Wissen über das menschliche Verhalten, um Menschen zu ermutigen, bestimmte Dinge zu tun. Nudges funktionieren ohne explizite Regeln oder strenge Strafen – es sind eher subtile Ansätze zur Förderung bestimmter Handlungen. […] die britische Regierung hat sogar eine ›Nudge Unit‹ eingerichtet.«105 (Hervorhebung durch die Autorin)

Wie gut die Manipulation durch Worte funktioniert, zeigt einer der Erfolge dieser Nudge Unit: Durch eine einfache Wortänderung auf der Organspende-Webseite der britischen Regierung wurde erreicht, dass sich pro Jahr fast 100 000 Menschen mehr in die Organspenderliste eintrugen.106 Auch wenn es sich hier um eine »Manipulation für einen guten Zweck« handelt – wie viele Regierungen diese Form der Persuasion ihrer Bürger verstanden wissen wollen –, stellt sich doch die Frage: Warum muss es einen Manipulator geben, der unser Gehirn in eine bestimmte Richtung steuert?

»Das ethische Problem der Manipulation liegt nicht darin, dass sie Menschen dazu bringt, etwas zu tun, sondern darin, wie sie funktioniert. Bei der Manipulation gibt es einen Manipulator – einen Agenten, der die Überzeugungen und Handlungen einer anderen Person hinterrücks kontrollieren will. Die Opfer von Manipulation werden in ihrer Autonomie verletzt. In gewisser Weise ist Manipulation schlimmer als Zwang. Wenn die Regierung Steuern erhebt, Vorschriften macht und Gesetze erlässt, die mit Strafen belegt sind, kann man sich wenigstens seine eigene Meinung bilden. Die Optionen ändern sich zwar, aber wie man darauf reagiert, bleibt einem selbst überlassen. Bei Manipulation hat man die Kontrolle über die eigenen Überzeugungen, die eigenen Handlungen oder beides verloren. Das ist der Grund, warum die Befürworter von Nudging nicht einfach sagen können: ›Nudging ist libertär und niemand wird gezwungen.‹ Wenn Nudges manipulativ sind, ist das schlicht nicht gut«107 – so zu lesen in einem akademischen Blog der London School of Economics. (Hervorhebungen durch die Autorin)

Denn auch beim Nudging geht es, wie bei jeder Form der Manipulation, um Worte und deren hypnotische Verführungskraft.

Im Guten wie im Bösen.

Die hypnotisierte Gesellschaft

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