Читать книгу Die hypnotisierte Gesellschaft - Miryam Muhm - Страница 21
Evidenzbasierte Medizin (EbM) – nur vorgetäuscht ?
ОглавлениеDas beruhigende Bild, dass unsere Medizin auf evidenzbasierten klinischen Studien fußt, gibt uns eine trügerische Sicherheit – ähnlich wie die schönen suggestiven Bilder, mit denen üblicherweise eine Hypnose eingeleitet wird.
Seit Jahrzehnten wird uns das Konzept der evidenzbasierten Medizin mantramäßig von allen Seiten verkündet – also »der gewissenhafte, ausdrückliche und angemessene Gebrauch der gegenwärtig besten vorhandenen Daten aus der Gesundheitsforschung, um bei Behandlung und Versorgung von konkreten Patienten Entscheidungen zu treffen. EbM beinhaltet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen Evidenz aus klinischer Forschung und der Präferenz des Patienten.«133
Seit Langem ist jedoch bekannt, dass es die evidenzbasierte Medizin kaum noch gibt, da die Resultate vieler Studien über Medikamente und medizinische Apparate zugunsten ihrer Sponsoren, das heißt der Pharmaindustrie, manipuliert werden.134 Auch hier handelt es sich durchaus nicht nur um Einzelfälle.
In einer Analyse, die 2019 im BMJ erschien, betonen Medizinprofessoren, Ärzte und Fachexperten aus den USA, der Schweiz, Kanada, Australien, Schweden, Großbritannien, Norwegen und Deutschland, dass es höchste Zeit sei, sich von den Pharmafirmen zu distanzieren und zu einer unabhängigen Forschung zurückzukehren, um wieder echte evidenzbasierte Studien zu erstellen, auf deren Resultate man vertrauen könne.135 Schon vor Jahren hatte die Universität Oxford gemeinsam mit dem BMJ einen ähnlichen Appell veröffentlicht.136
Da die aktuelle Lage jedoch nach wie vor mehr als beschämend ist (immerhin geht es letztlich um unser aller Gesundheit), lohnt sich ein genauerer Blick in die oben genannte Analyse: »Es hat sich wiederholt gezeigt, dass die veröffentlichten Ergebnisse von Studien, die von der Industrie gesponsert wurden, dazu tendieren, die Produkte der Sponsoren zu bevorzugen, was zu einer ›Sponsoring-Verzerrung‹ der Evidenzbasis führt, die den Nutzen über- und den Schaden unterbewertet […]
Der kommerzielle Einfluss wirkt sich auch auf die klinische Praxis aus, sei es durch Pharmareferenten, Leitlinien oder direkte Zahlungen. Die Industrie argumentiert, dass sie wertvolle Informationen liefert, die den Patienten helfen; eine systematische Überprüfung ergab jedoch, dass Informationen von Arzneimittelherstellern im Allgemeinen die Verschreibung von mehr Medikamenten bewirkt, und zwar zu höheren Kosten und mit geringerer Qualität. Im Jahr 2019 stellte eine Studie über Marketing-Zuwendungen von Opioidherstellern an 67 000 US-Ärzte einen Zusammenhang fest zwischen dem Ausmaß des Marketings, einer erhöhten Verschreibung von Opioiden und höheren Sterberaten.«137 (Hervorhebungen durch die Autorin)