Читать книгу Die hypnotisierte Gesellschaft - Miryam Muhm - Страница 20
Ködern von Ärzten und Studenten
ОглавлениеDas Motto eines befreundeten Arztes – Weniger Ästhetik und mehr Ethik – wäre an den Medizinfakultäten von fundamentaler Bedeutung. Denn gerade dort werden Lehrende wie Lernende von Pharmafirmen mit teuren Essen in Sternerestaurants, exklusiven Massagen, Einladungen zu Kongressen in Luxushotels etc. umgarnt (Beispiele vor Corona-Zeiten).125
Und diese Lockmittel lassen sich die Firmen einiges kosten: Als der Pharmagigant Amgen 24 australische Onkologen 2015 zu einem Kongress in den USA einlud, machte er für Flüge, Hotel und Verpflegung 270 000 Dollar locker.126
Wie aktiv einige Pharmafirmen auf diesem Gebiet sind, wird auch aus einer australischen Analyse deutlich, die im BMJ veröffentlicht wurde. In den vier Jahren zwischen 2011 und 2015 richtete die Pharmaindustrie allein für die Mitarbeiter des australischen Gesundheitswesens über 116 000 Veranstaltungen aus, das heißt durchschnittlich 608 pro Woche. 82 Prozent dieser Events waren Ärzten und Fachärzten vorbehalten, und ca. 40 Prozent richteten sich auch an medizinische Auszubildende: »Die meisten fanden im klinischen Umfeld statt, was auf eine starke kommerzielle Präsenz im klinischen Alltag schließen ließ. Fast immer wurden Essen und Getränke angeboten, von denen bekannt ist, dass sie das Verschreibungsverhalten beeinflussen« – so die Analyse im BMJ.127
Ärzte sind zwar subjektiv der Überzeugung, dass Zuwendungen der Pharmabranche keinerlei Einfluss auf ihre Entscheidungen im Hinblick auf Patiententherapie, Verschreibungsverhalten, Formulierung von Leitlinien oder die wissenschaftliche Begutachtung neuer Medikamente und deren Wirkung haben – aber dem ist mitnichten so, wie zahlreiche Studien beweisen.128 Eine im Ärzteblatt veröffentlichte kam zu folgendem Schluss: »Will man die Gefährdung der Validität und Glaubwürdigkeit von Leitlinien durch Interessenkonflikte reduzieren, müssen Interessenkonflikte nicht nur offengelegt, sondern auch nachvollziehbar und glaubwürdig hinsichtlich ihrer Bedeutung bewertet werden.«129
Ergänzend dazu weiß das Bayerische Ärzteblatt darüber zu berichten, wie sehr auch die Verschreibungspraxis beeinflusst werden kann: »So ist Ärzten in der Regel zwar bewusst, dass der Pharmavertreter sie beeinflussen will, sie meinen aber, dass dessen Versuche an ihnen abprallen. Für ein gewisses Problembewusstsein spricht jedoch, dass sie bei ihren Kollegen weniger optimistisch sind und deren Urteilsfähigkeit für gefährdet halten.«130 (Hervorhebung durch die Autorin)
Wie vernebelt, beinahe hypnotisiert muss man sein, zu denken, dass der Pharmavertreter auf die Kollegen Einfluss nimmt, man selbst aber davor gefeit sei!
Wären derartige Praktiken wie oben beschrieben für die Pharmafirmen nicht profitabel, würden sie wohl kaum so hohe Summen investieren (z. B. in ärztliche Fortbildung) und sich dabei immer spendabler zeigen. Bereits 2018 konstatierte das Handelsblatt: »So gingen laut FSA [Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie] 2017 etwa 605 Millionen Euro an Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser. Im Jahr davor waren es dagegen noch knapp 562 Millionen Euro. Allein über 105 Millionen Euro wurden dabei für Fortbildungen und Vorträge geleistet, ein Bereich, in dem die Beeinflussung der Männer und Frauen in Weiß durch die Pharmaindustrie besonders oft vorkommt.«131 Auch eine US-Studie von 2016 stellte fest, dass Zuwendungen der Pharmabranche – insbesondere Fortbildungskurse und Restauranteinladungen – das Verschreibungsverhalten der Ärzte durchaus verändern.132
Wie lange will man uns Patienten noch blenden und in einem quasi-hypnotischen Zustand halten, in dem wir vertrauensvoll alles glauben, was uns erzählt wird?