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KAPITEL 2 Medizinfakultäten – Absage an die Ethik?

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Die Bilder von der Realität, die wir im Laufe unseres Lebens wortreich vermittelt bekommen, stimmen allzu oft mit der Wahrheit nicht überein, sind aber trotzdem so fest in unserem Gehirn verankert, dass wir ihrer verführerischen Kraft verfallen – wie in einer Hypnose. So vertrauen wir nach wie vor auf das moderne Hochschulsystem, obwohl die Pharmabranche immer mehr Medizinfakultäten reichlich mit Geldern ausstattet.108 Unter dem Deckmantel einer Partnership, also einer Kooperation, wird der Wissenschaft an den Universitäten de facto die Agenda vorgegeben. Dies ist insbesondere in den USA seit vielen Jahren gang und gäbe, wie die Washington Post bereits 2012 in einem ausführlichen Artikel darlegte: »Die Milliarden, die die Pharmafirmen in solche Experimente investieren, helfen die weltweite Suche nach Heilmitteln zu finanzieren. Aber ihr Ziel ist nicht nur die öffentliche Gesundheit. Dieses Geld ist auch Teil eines hochriskanten Profitstrebens, und in den letzten zehn Jahren hat die Einflussnahme der Unternehmen die Arzneimittelforschung [an den Universitäten] der Nation wiederholt vom rechten Weg abgebracht, manchmal mit potenziell tödlichen Folgen [für die Patienten]. Über ein Jahrzehnt hinweg gab es Kontroversen über Blockbuster-Medikamente wie Vioxx, Avandia und Celebrex unter dem Vorwurf, dass die Unternehmen ihre Forschung so hingebogen hatten, dass die gefährlichen Nebenwirkungen verschleiert wurden109 (Hervorhebung durch die Autorin)

Wie sehr die »Reinheit der Wissenschaft« darunter leidet, insbesondere die Medizin und die Pharmazie, wird anhand der Ergebnisse journalistischer Recherchearbeit ersichtlich, die diesen Namen verdient. 2012 nahm die Washington Post 73 Studien über Medikamente unter die Lupe, die zwischen August 2011 und August 2012 im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht worden waren, einer der weltweit meistgelesenen Fachzeitschriften. Von diesen 73 Studien waren 60 von der Pharmaindustrie finanziert worden, also 80 Prozent (!). 50 Studien hatten Koautoren verfasst, die Angestellte von Pharmaunternehmen waren. Bei 37 der Studien, also bei mehr als der Hälfte, hatte der Hauptverfasser, üblicherweise ein Medizinprofessor, zuvor eine Vergütung von einem Pharmaunternehmen bekommen – sei es als Berater, als Sprecher bei einer Konferenz oder als reine Zuwendung.110 Marcia Angell, Ärztin und ehemalige Chefredakteurin des NEMJ, hat der Washington Post die Sachlage auf sehr anschauliche Weise erklärt: »Früher haben die Pharmafirmen ihr neues Medikament an ein akademisches Zentrum übergeben, um es testen zu lassen, und dann haben sie sich zurückgelehnt und gewartet […] jetzt sind sie in jeden Schritt involviert und behandeln akademische Forscher eher wie angestellte Mitarbeiter.«111 (Hervorhebung durch die Autorin)

Und wie steht es in Europa? Sicherlich nicht viel besser … eigentlich sogar noch schlechter, denn in den USA wurden in der Zwischenzeit immerhin einige Regeln aufgestellt, um Interessenkonflikte aufgrund von Geldzuwendungen seitens der Pharmafirmen zu verringern.112 Es wird also zumindest versucht, der Korruption einen Riegel vorzuschieben.

Ganz anders läuft es z. B. in Deutschland, wo laut einem Bericht der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) und des Netzwerks Universities Allied for Essential Medicines (UAEM) sehr wenig getan wird, um mögliche Interessenkollisionen an den Medizinfakultäten zu verhindern. In ihren Schlussfolgerungen zeichnen die Autoren ein trauriges Bild: »Unsere Ergebnisse deuten auf eine geringe Handlungsintensität der medizinischen Fakultäten zum Schutz der Studenten vor unzulässigem kommerziellem Einfluss hin. Keiner der teilnehmenden Dekane hatte Kenntnis von einem Lehrplan oder von Unterricht zum Thema Interessenkonflikte an der jeweiligen Universität, und nur zwei Medizinfakultäten verfügten über entsprechende Richtlinien.«113 (Hervorhebung durch die Autorin)

Die hypnotisierte Gesellschaft

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