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Einheitstag

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Abgekämpft kam Melly zu Hause an, schmiss den kleinen Rucksack beiseite und ließ sich nachdenklich auf ihren Küchenstuhl nieder. In Gedanken versunken stierte sie ins Leere, während ihre Microstrahlen-Speise karussellig ihre Runden drehte. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben, denn das Abenteuer war weniger informativ denn abenteuerlich gewesen. Wenn man von einem Halt am Hotdogstand an der Ecke und diversen Kleingeldspenden an Musiker, Bettler, Obdachlose, Spendensammler und dem IchbraucheunbedingtnochfünfMünzendamitichmireineFahrkartenachHausezumeinerkrankenbettlägrigenUrururgroßmutterkaufenkann-Typen absah. Der Mann schien ein großzügiger Mensch zu sein.

Zu gerne hätte sie noch mehr herausgefunden, doch mit seinem Namen kam sie schon ein Stückchen voran. Das würde die weiteren Ermittlungen erleichtern. Er würde ihr nicht durch die Lappen gehen, das war klar. Obwohl sie diesen Ausdruck mehr als anzüglich fand. Aber Privatschnüffler hatten eben eine solche Schnauze am Leib, dachte Mel, grinste in sich und die Kochecke hinein. Ihrer Mutter würde das nicht gefallen. Doch zum Glück hockte sie weit weg, etwa 30 Minuten mit dem Bus, in ihrer Kleinstadt und tränkte das Knochenmark mit Gottesfürchtigkeit. Seit Jahren. Mel wurde wieder ganz zu Pork und ihr analytischer Verstand durchlebte und -suchte den Tag nach Spuren und Informationen, die ihr weiterhelfen sollten.

„Beeilung. Lauf!“ schrie ihr Penhall unvermittelt ins Ohr, während sich bereits die Türen des Busses schlossen. Jetzt ging es auf volles Risiko. Pork war klar, dass sich in dem Bus, außer in einer Schwulensauna, die Distanz zwischen ihm und der Zielperson auf ein Minimum reduzierte. Zu diesem Zeitpunkt hieß es: Handeln und eventuell auffliegen oder aufgeben und eine Woche Arbeit fortwerfen.

Pork legte einen Kurzspurt hin, hämmerte gegen die Metallkarosserie des schweren Personenbeförderungsmittels und die Tür öffnete sich ein letztes Mal. Auf die Frage des Fahrers nach der Zielhaltestelle meldete sich Melly Brommer wieder zu Verstand und Pork war verschwunden. Unter den Augen eines betrunkenen Seemanns, der in der ersten Sitzbank vor sich hin singlallte, stotterte sie:

„Ich wieß nicht … keine ahnung … bis …“

„Endstation: Das macht dann 5,30!“ sagte der Busfahrer genervt. Bei Mel platzte der Knoten:

„Was ist, wenn ich nur eine Kurzstrecke …?“ Die Türen schlossen sich hinter ihr und der Fahrer fuhr ruckelnd los:

„Heut ist Einheitstag. Da kostet die Kurzstecke statt 1,20 auch 5,30! Und jetzt gehen sie bitte nach hinten durch!“ Darauf erwiderte Mel nichts mehr, zahlte brav, nahm den Fahrschein und verzog sich in die hinterste Ecke.

Während sie vorüberschritt, schaute das Zielobjekt die ganze Zeit aus dem Fenster und schien sie nicht zu bemerken. Darüber war sie ausgesprochen froh. Jetzt galt es abzuwarten, unauffällig dreinzublicken und aufzupassen, wie ein Frosch auf der Autobahn. Nach ein paar Haltestellen und den dazugehörigen Stopps, stand der Mann auf und verließ den Bus. Ebenso knapp wie sie rein gekommen war, sprang sie durch die sich schließenden Türen und fand sich in einer äußerst noblen Gegend der Stadt wieder. Saubere Straßen, viele Alleen und eine Menge teurer Autos vor noch teureren Garagen mit angeschlossenen Herrenhäusern. Sie ließ die Entfernung zwischen ihnen noch ein Moment größer werden und folgte ihm dann die Straße herunter zu einer freistehenden Villa. Das Eckgrundstück war mit hohen Hecken, massiven Mauerabschnitten und schmiedeeisernen Gittern umsäumt. Es machte einen imposanten Ein- und auch Zweidruck.

Schickes Haus, dachte die junge Frau beeindruckt und beobachtete ihn durch ein Stück Hecke. Er stapfte die Einfahrt hinauf, nahm lässig die Stufen zur Eingangstür und klingelte.

Also ist das gar nicht dein Haus, es sei denn, du hast den Schlüssel vergessen, kombinierte Mel in Privatermittlermanier. Die Tür öffnete und schloss sich. Jetzt galt es wieder zu warten. Hoffentlich nicht zu lange. Mit einem Blick auf die Armbanduhr klatschte ein 18:30 auf die Netzhaut, kam auf der Sehrinde an und sumpfte fünf Sekunden später wieder weg. Eine halbe Stunde später kam sich MelPork oder PorkMel oder wie auch immer, nicht nur gelangweilt, sondern lächerlich vor, wie sie auf der gegenüber liegenden Straßenseite auf der Einfassung einer betonierten Umzäunung herum lungerte. Ihr Hintern wurde langsam kalt, sie überlegte kurz, ob sie ein weiteres Mal um die Villa streifen sollte, ließ es aber bleiben. Der dichte Bewuchs und die Zäune gewährten kaum Einsicht auf das Grundstück. Zudem wäre es zu auffällig gewesen. Zweimalig war bereits eine private Sicherheitsfirma mit ihrem Kleinwagen hier vorbei gekommen und hatte sie argusbeäugt. Bei einem Streifzug würde man sie, im besten Fall, des Platzes verweisen oder sogar anzeigen, in einen dunklen Keller sperren, mit Wassertropfen und Schlafentzug foltern, bis sie ihre Auftraggeber von der Gilde der Unsichtbaren, oder so was, verriet. Zumindest bildete sich das ihre Porkfantasie ein. Bei den Gedanken bekreuzigte sie sich zweimal und blieb lieber sitzen. Und siehe da: Alsbald öffnete sich das schwere Eisengitter mit den Verzierungen und Ornamenten, Wappen, Tieren und allem Schnickschnack und Zapp. Er trat auf den Gehweg, würdigte sie keines Blickes, denn sie versteckte sich hinter einem Baum. Dann richtete er sich aus und lief die Straße wieder hoch. Diesmal ohne vollrecycelbare Einkaufstragetasche im Leinendesign.

Vielleicht hat er für denjenigen eingekauft, der in diesem Haus wohnt, meldete sich der Pork in ihr wieder zu Wort, als sie die Verfolgung aufnahm.

„Natürlich, du Trottel, oder glaubst du der hat das Zeug dort im Garten vergraben?“, stänkerte Penhall. Das ihr Partner aber auch immer so ein Stinkstiefel war. Wie sich abzeichnete, ging es wieder mit dem Bus zurück zum Busbahnhof und dann zu Fuß nach Osten. Pork wusste es, Melly lief einfach hinterher. Nach etwa 6 Gehminuten blieb der Mann unvermittelt stehen. Er schaute sich um. Melly ging in die Hocke und machte ihre Ballerinas zu. Soweit man daran etwas zum zu machen fand. Dann lief er weiter, half einer alten Dame mit Pudel über die Straße und bog in eine Einfahrt, um dort sein eigenes Haus aufzuschließen und einzutreten.

„Aha und Oho!“ tönte es zwischen Mels Zahnspangen hervor. „Hier wohnst du also! Gelobt sei der Herr.“ Es war ein schönes Haus. Nicht ganz so protzig, wie das von eben, aber auch nicht ganz billig. Gute Mittelklasse in einer von Bäumen bevölkerten Allee. Der Rasen war gepflegt, es war ordentlich von Hecken umgeben und sah, obwohl schon etwas älter, gut in Schuss aus.

Sie vermutete, dass er gar nicht so weit von ihrem Zuhause weg wohnte, dabei hatte sie bereits am Ende des Parkplatzes vor dem Supermarkt die Orientierung verloren. 19:21. Ihr Magen knurrte und rief sich in Erinnerung. Außer dem Eis hatte sie seit Stunden nichts gegessen. Sie musste heim, bevor er das Bellen anfing. Doch eine, vielleicht die Wichtigste, Information musste sie sich noch beschaffen. Kurz dachte Melly daran die Shampoomarke für das wunderbar fluffige Haar herauszufinden, schlich dann jedoch lediglich zum Klingelschild. Ihr Herz raste. Ohne Deckung direkt vor einer Tür. Ein schneller Blick genügte und sie war verschwunden. Als sich auf dem Weg zum Busbahnhof die Anspannung legte und es immer dunkler wurde, fröstelte Melly. Ihr Magen knurrte nun noch lauter. Für heute war es gut.

Überraschenderweise fand sie mit Penhalls Hilfe tatsächlich den Weg zum Supermarkt wieder. Er hatte noch offen und sie holte eine extragroße Portion MicrostrahlenMulch mit Seebüschelsauce. Nicht gerade ihre Leibspeise, doch für heute würde es reichen.

Mit der Gabel stocherte sie in ihrer vegetarischen Futterschale herum und überlegte.

D. Kranz. Ich habe keine Spielsachen auf dem Rasen gesehen. Und das Klingelschild zeigte auch nur: D. Kranz. Sicher wohnte er dort allein. Kein: Hi, hier wohnen die Kranz… oder Kränze! Hihihi, schon wieder ein äußerst genialer Witz. Bereits der zweite an diesem Tage. Sie musste sich den Bauch halten vor Lachen. Fast wäre ihr die Silberschale mit dem Essensersatz heruntergefallen, hätte sie sie nicht fix auf dem Wohnzimmertisch positioniert. Selbstverständlich nur auf der abwaschbaren Plastikdecke.

Später, nach dem Zähneputzen, lag sie in ihrem weiten, grob karierten Schlafanzug, Marke Alte Herren, unter ihrer Bettdecke und zählte mögliche Namen für Herrn Kranz auf. Dabei stellte sie sich sein Gesicht vor, mit den zarten, fast weiblichen Zügen, lang gezogen mit hervorstehenden Wangenknochen und diesen durchdringenden, wässerigen Augen.

„Darius, Damaskus, Dathäus, Demaklatos, Dirius, Daedus, David, Datrius, Dedalus, Detlev, Detlef, Domian, Dominic, Daniel, Donnie, Dorman, Dostur, Dankwart, Drupa, Dragan, Dragon, Drolf, Dinzel, Diego, Dolf, Dumbert …“

Wie sie so murmelte und murmelte, murmelte sie sich in eine Art von Vornamensextase, bei der immer verrücktere Namen und Wortschöpfungen aus ihr hervorquollen. Ohne es zu wollen, wälzte sie ihren Kopf auf dem Kissen hin und her, bewegte plötzlich ihren Körper in Schlangenlinien und begann ihr Bett auf neuartige Weise zu zerwühlen. Dabei bekam sie ein ganz merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Und es breitete sich wellenförmig aus. Als ob ihr Bauchnabel die Eintauchstelle eines Kiesels in einen ruhigen Bergsee wäre. Woge für Woge tastete sich das Gefühl in Regionen vor, die bis dato lediglich der Ausscheidung überflüssigen Materials gedient hatten. Melly wälzte sich mit geschlossenen Augen und genoss die Wellen. Sie waren fremd und gleichzeitig beglückend, wie sie es noch nie … obwohl, nein, das stimmte nicht … sie hatte es schon einmal erlebt. Ein einziges Mal war ihr diese Empfindung daher gekommen, und zwar, als sie heimlich auf Bauer Flockharts dürre Kuh gesprungen war. Vielleicht 12 oder 14 war sie gewesen. Im regelrechten Flegelalter. Zumindest für eine katholische Schülerin. Der Kuhritt war einer Wette mit einer Mitschülerin gewesen. Und wie sie sich auf der schaukelnden Kuh festgeklammerte und in Positur gebracht hatte, überkam sie genau dieses Gefühl, welches sie jetzt wieder überkam. Damals wusste sie bereits, dass es ein unschickliches, überaus unchristliches und satanisches Gefühl war, doch sie konnte sich einfach nicht wehren. Der Dunkle hatte Besitz von ihr ergriffen. Zum Glück waren die anderen Mädchen vor lauter Angst, der Bauer könnte sie erwischen, von der Weide geflohen. Melly hatte derweilen ganz andere Sorgen. Die Kuh musste gestoppt werden, also überlegte Mel, sich lendentechnisch windend, was zu tun sei. Abspringen war zu gefährlich. Also tätschelte sie die Kuh am Hals und redete ihr gut zu. Gefühlsstöße durchfuhren sie und Mel war auf einmal wie verwachsen, festgeklebt, angesaugt, auf dem Rücken dieses alten Weibchens. Gemächlichen Schrittes wackelte das Fleckentier über die schier endlose Weide und Mel spürte jeden Wirbel. Und es wirbelte und wirbelte und Mel wurde ganz heiß und kalt, Schauer liefen ihr über den Rücken. Jetzt, während sie sich so in ihrem Bett wandt, war es genau so. „Dieter, Dietmar, Dirk, Dilmos, Dortaf …“ Die junge Frau straffte ihre Muskeln, ihr ganzer Körper war gespannt, einmal zur einen, einmal zur anderen Seite. Wieder zurück in der Vergangenheit umschloss sie den Hals ihrer Kuh, flüsterte sich und ihr Vernunft ein, sie solle endlich stehen bleiben, da dieses dämonische… oh… aber ihr Unterbewusstsein genoss insgeheim jenen antigöttischen Augenblick, zog ihn in die endlose Länge, wie diesen sogenannten Kaugummi, worüber alle immer redeten.

„Diktus, Dino, Dikerch, Dylan …“ Inzwischen hatte sie sich unter die Decke gegraben, der Sauerstoff wurde knapp und knapper. Schweißnasse Haarsträhnen hingen ihr in den Mund, verfingen sich in der Zahnspange, wickelten sich um den Hals, rieben durchs Gesicht. Silberne Sternchen tanzten vor ihren geschlossenen Augenliedern und sie spukte die Zahnspangen, schwer atmend von sich … „Dzyllan, Dyro, Drnghwerzhgweu“… zwischen ihren Beinen tobte eine Schlacht. Die Decke hatte bereits den Rücken der alten Kuh von damals nachgebildet und begrub Melly tonnenschwer unter sich. Alles Winden half ihr nicht, verstärkte nur den unendlichen Druck. Sie krampfte sich in einem verzweifelten Versuch um den Hals der grauen Dame und mit einem abschließenden Ruck, entlud sich die Anspannung in einem Feuerwerk von „Dahhhhhhhhhs“, einem wirbelsäulenbrechenden Aufbäumen und schmerzenden, verkrampften Fingern, die sich in Bettlaken, Matratze und Holzgestell hielten, bohrten, kratzten. Dann fiel sie zurück auf ihre Schlafstätte, pellte sich aus ihrer Decke und holte japsend Luft. Der frische Schlafanzug war nun alles andere als frisch und Melly, die noch vor wenigen Sekunden von Sinnen war, sprang auf und beseitigte eiligst, in völliger Dunkelheit, alle Beweise dieser unmenschlichen Verhaltensweise. Melly fühlte sich schuldig und schmutzig. Damals wie heute war ihr schmerzlich bewusst, dass solche körperlichen Begehrlichkeiten von Gott und Jesus als widerwärtige Sünde betrachtet wurden. Eine gute Christin hätte sich niemals zu derlei Spielen an sich selbst hinreißen lassen. Sich dem Teufel so zu öffnen, dass er sie benutzen konnte, für seine perversen Aktionen.

Morgen würde sie in aller Herrgottsfrühe, noch vor der Arbeit, in die Kirche gehen und beichten. Komme was wolle. Sie wusch sich und den Schlafanzug, putzte sich nochmals für 22 Minuten die Zähne, wusch sich erneut und putzte nochmals die Zähne. Der Antigott war durch den Mund in sie eingedrungen. So schmeckte es auf jeden Fall. Tief in der Nacht, aber gründlichst gereinigt, fiel ihr das Einschlafen schwer, da ihre Gedanken immer wieder zu dem Ereignis und zu ihm herüber schweiften. Stocksteif lag sie unter ihrer Bettdecke, schob alle sündigen Überlegungen fort und schwor sich, damit aufzuhören, was immer es auch war. Irgendwann schlief sie ein.

Die Ringe des Herrn

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