Читать книгу Die Ringe des Herrn - Monduras IX. - Страница 15
Mit etwas Droge ist der Anfang leichter
ОглавлениеEin neuer Tag, a new Beginning, wie sie immer zu sagen pflegte. Frisch geduscht und glatt rasiert machte Emily einen Eindruck wie jeden Tag. Von unten nach oben gesehen: Absätze hoch, Strumpfhose geschmeidig, Rock kurz, Bluse eng, Brüste üppig, Einblick tief, Blazer geschäftsmännisch, Haare streng nach hinten gebunden und ein Gesicht wie in Ton modelliert. Tadellos in jeder Pore. So kannte man sie. Außer an ihren OP-Terminen, nach Feierabend oder sonntags, hielt sie sich stets im Haus Bellfort auf. Feiertage bildeten da keine Ausnahme. Sie war eine Workaholic, mit Leib und Seele Psychotherapeutin. Obwohl ihr manche flüsternde Stimmen aus tiefen Kellern Letzteres Absprach, da sie immer sehr kühl, zugeknöpft und pragmatisch daher kam. Eigentlich war das aber auch kein Wunder. Wer hier arbeitete, musste ein dickes Fell haben oder eine gehörige Macke. Oder Beides.
Nachdem Emily jede Menge lästigen Schreibkram erledigt, ihr 9 a.m. Breakfast, was aus einem trockenen Toast mit 4 Espresso bestand, eingenommen und ein tief greifendes Gespräch mit David geführt hatte, machte sie sich wieder auf den Weg zu Room 7. Im Vorbeigehen winkte ihr Arnold G. mit aufdringlichem Enthusiasmus und grinste pferdeartig in vorgebeugter Haltung herüber. Seine Hose empfing aufsaugend seine Aufregung.
„Sorgen Sie dafür, dass er sauber gemacht wird, bevor er Nachahmer findet!“ wies Emily einen Begleitbullen an, der direkt in den Aufenthaltsraum abbog, um Arnold von der Herde zu separieren. Sie sprach die Betreuer höchstens mit ihren Nummern an, die Namen merkte sie sich nicht. Ehrlich gesagt, war ihr gar nicht bewusst, wer von diesen Analabolikajunkies7 schon länger hier war, oder erst zwei Stunden. Alle sahen so verdammt gleich aus, waren dumm wie Fleischsalat und schienen sich ein Hirn zu teilen. Wo war der eine mit Denkvermögen und eigenem Hirn? Wahrscheinlich gab es keinen…
„Hello!“ entwich es ihr überrascht, als sie Room 7 betrat und ihr der Jasmingeruch, der nicht schnell genug gebremst hatte, in den Rücken sprang. Fast wäre sie in Charitys Armen gelandet, der direkt an der Tür stand. Er lächelte beruhigend, hob ihr die fallen gelassenen Unterlagen vom Boden auf und geleitete sie zu ihrem Stuhl. Zu beidseitigem Erstaunen ließ sie es geschehen.
„Thanks. Außerordentlich zuvorkommend.“
„Kein Problem, Frau Doktor!“ Dabei strich er sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Blickfeld. Wie in der Werbung. Bevor Emily etwas sagen konnte, übernahm er das Ruder.
„Was steht heute an, Frau Doktor? Haben sie meine Versetzung erwirken können?“ Seine gefasste Art verwirrte Frau Doktor, hatte er gestern noch hitzig gewirkt. Emily schlug beiläufig die Akte auf, um nachzusehen. Sie kannte natürlich die Antwort:
„Well, mit allen Konsequenzen: JA!“ Juras kräuselte die Stirn. Etwas strenger, als beabsichtigt, fuhr sie fort: „Ab sofort sind Sie mein Guest. Und nur ich entscheide, ob Sie gehen oder bleiben!“ Doch es war Fakt und je eher Juras, ähm, Mister Charity dies begriff, umso schneller sollte der Heilungsprozess beginnen.
„Gut!“ bestätigte Juras. „Ich bin bereit.“
„Sie sind bereit?“, fragte Emily etwas erstaunt und Juras nickte. Es hatte bereits jetzt eine Veränderung bei ihm stattgefunden. Eine starke Veränderung. Zuerst bricht er an einem Tag Micha die Nase, dann ignoriert er die Tatsache eine Therapie zu benötigen und jetzt war er bereits in der Öffnungsphase. Nach Emilys Meinung ging dies ein wenig zu schnell. In den vielen Jahren ihrer Tätigkeit als Psychotherapeutin waren ihr alle möglichen Menschentypen untergekommen und so erregte seine friedliche Aura ihr Misstrauen. Andererseits war er ein ungewöhnlicher Mann, der sich schnell veränderten Situationen anzupassen vermochte. Sollte sie den nächsten Schritt heute bereits wagen? Eine Pause entstand und Charity schaute sich gelassen im Zimmer um. Er wanderte von hier nach dort und beschaute sich dies und das und jenes.
Nachdem sie wieder einige Notizen gemacht hatte und ihre Brille ab und wieder auf und dann gänzlich abgesetzt hatte, beschloss sie unvoreingenommen an den Fall und somit an Charity heranzugehen. Also, warum sollte sie nicht fortfahren und schauen, was passierte. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm, wieder Platz zu nehmen. Er kam ihrer Bitte nach.
„Wenn Sie nothing dagegen haben, würde ich gerne mit Ihnen etwas ausprobieren. It is a new Technik der Befragung, namens: ZGQ. Zero Gravity Questioning. Seit einiger Zeit äußerst Erfolgreich in den N.U.S.A. getestet. Ich habe dafür einen special Raum ausstatten lassen.“ Der sonst so strenge Blick der Ärztin bröckelte ab und gab einen Augenblick die Sicht auf Stolz und Vorfreude frei. Charity zeigte Neugierde:
„Und was hat es damit auf sich?“
„Ich werde es Ihnen zeigen!“ Sie erhoben sich und verließen den Room 7. In Begleitung des Türstehers fuhren sie mit dem Fahrstuhl ins zweite Untergeschoss. Am Ende eines langen Ganges mit vielen Türen kamen sie in den ZGQRoom.
„Da wären wir!“ Luftpumpe schloss die Tür auf und sie traten ein. Ein Schwall stickig, warmer Luft kam ihnen entgegen. Ähnlich einer Sauna. Zu erkennen war vorerst nichts. Dann ging die indirekte Beleuchtung an. Der 30qm große Raum schien vor ihren Augen zu explodieren, doch es war lediglich das reflektierte Licht in den Spiegeln an den Wänden. Sie erzeugten eine unglaubliche Tiefe. Eine endlose Tiefe. Boden und Decke hingegen waren mit bodenlosem Schwarz angepinselt. Sofort beschlich einen ein Gefühl, als ob man zwischen zwei sternenlosen Welträumen zerquetscht werden würde. Beängstigend und faszinierend zugleich. Die leicht polierte Oberfläche war makellos. Herzstück des Ganzen war das Gebilde in der Mitte des Raumes. Dort schwebte eine schmalflache Liege. Sie traten näher heran. Bei genauerer Betrachtung hing die Liege an 4 dünnen Drahtseilen, welche in der Decke verschwanden.
„Wenn ich Sie bitten dürfte sich bis auf die Underpants auszuziehen?“ Ungläubig schauten 5 Jurasaugenpaare (4 Wände plus Juras) die Ärztin an, die ungerührt fort fuhr „Jetzt legen Sie sich bitte hier down.“ Er tat wie gewünscht. Der bekittelten Stiernacken trat schweigend an ihn heran. Während sich die gepolsterten Schnallen um Hand- und Fußgelenke schlossen, öffnete Frau Doktor eine verborgene Tür und rollte einen Infusionsständer mit einem grünflüssigen Beutel im Krankenhausstil herbei. Ein kleiner Stich und Juras sprach nicht mal mehr seine Bedenken aus. Auf einmal wirkte alles so fluffig weich, er sank auf der Entspannungsliege tiefer ein und fühlte sich federleicht beschwingt. Captain Marshmellows Grinsen drehte sich unter seinen Glupschaugen einmal um den zylindrischen Kopf und Prinzessin Kaugummi säuselte etwas von Zuckerwatte und Schokoraspeln. Noch ein Kurzes:
„… komme dann in ein paar Streuseln wieder.“ und Juras war urplötzlich allein. Die Beleuchtung war stärker gedimmt und er fiel in einen Dämmerzustand, wie nach einer MagicMushroomKur. Es dauerte nicht lange, da begann er tatsächlich das Schweben. Sein ganzer Körper war nicht mehr zu spüren und Juras trieb zwischen den Welträumen in einer Luftkammer umher. Ohne sich nur ein Stückchen zu bewegen drehte er sich plötzlich um die eigene Achse und wieder herum, trudelte langsam, ließ sich treiben, beschleunigte von jetzt auf gleich und hielt an, von gleich auf jetzt. So vergingen Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre, das konnte er nicht sagen, zudem war Zeit hier draußen im All ohnehin relativ und sein Bartwuchs auch. Gemächlich schweifte sein Blick, zog ihn mit sich fort, er reiste durch die Spiegel, traf sein Spiegel-Ich und sie erzählten sich Geschichten von damals, als die Welt nachts noch dunkel war und die Menschen an ihren Schnupfenviren krepierten.
„Wie lange sind Sie mit Ngoa Swamboudo schon zusammen?“ Juras grinste. Da war sie wieder, wie aus dem Nichts in dem er trieb. Prinzessin Kaugummi war wieder da. Ob sie Süßes dabei hat?
„Haben Sie Süßes dabei, Prinzessin?“, fragte er wie in Milch tauchend und schmeckte bereits die Schokolade auf einer seiner Zungen. Die Prinzessin ging leider gar nicht darauf ein. Dann drehte sie an der Zuckerwasserzufuhr seines Armes. Juras blickte auf den Beutel, folgte der sauren Schnur aus transparentem Gummibärdarm und biss ein paar Mal leicht in die Luft hinein. Die verflixte Schnur war viel zu weit weg. Die Pipeline mit dem grünen Saft war versiegt.
„Hey, was soll das, schalten Sie das sofort wieder an!“ brülllallte8 Charity. In seinen Ohren rauschte das Nuss-Nugat-Meer gegen die Wackelpeterfelsen und kitzelte Teile seiner Hirnwindungen.
„Wie long are you bereits mit ihrer Frau zusammen? Wo haben Sie sich kennengelernt?“ Mit einem Mal spürte Juras wieder festen Grund unter den Füssen. Als er aufschaute, teilten sich einige Marzipanwolken und er vernahm die Stimme von überall her. Sie dröhnte göttlich zu ihm herunter. Es war die Prinzessin und er musste antworten. Mit nackten Füssen stapfte er aus dem Lakritzwattenmeer auf eine Traubenzuckerdüne und brüllte in das Loch im Himmel:
„Drei Monate! Sie ist meine Sekretärin!“ Sie kamen als normal gesprochene Worte im Spiegelraum an. Emily war von seiner Ehrlichkeit überrascht. Er stapfte weiter, angestrengt auf der Stelle. Zwischen zwei Dünen bot sich ihm plötzlich ein einmaliger Anblick. Mit genüsslich verzogenen Mündern verspeisten sich ein Cremetörtchen und ein Streuselkuchen mit Zuckerguss, unter lautem Stöhnen und in der 69er Stellung, gegenseitig. Es wirkte irgendwie überhaupt nicht bizarr. Dann kam die nächste Frage und er blickte mit kleinen Augen wieder hinauf.
„Do you have des Öfteren Wahnvorstellungen?“ Wie bereits zuvor, wiederholte er die Worte:
„Wahnvorstellungen? Was für Wahnvorstellungen?“ Lauthals begann er zu lachen. Warf den Kopf nach hinten und lachte, wie er noch nie gelacht hatte. Sein Bauch schmerzte bereits und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Jede Menge Schokoosterhasen kamen aus ihren Bauten und scharten sich um ihn, fassten sich bei den Händen und tanzten und drehten sich, lachten mit ihm und feierten eine kleine Hasenparty. Juras bekam sich gar nicht mehr ein. Im ZGQRoom kam ein stetiges, aber leises Kichern an. Emily merkte, dass es zu viel war. Sie hatten ihn überfordert. Etwas musste geschehen, sonst würde er heute keinen klaren Gedanken mehr oral ausscheiden. Aus dem Geheimschrank holte sie eine Spritze und verabreichte Charity ein Mittel. Einige Minuten später lösten sich Herr Mandelsplitter-Krokant und Fräulein Noisette, die zufällig zur Party erschienen waren, in ihre köstlichen Bestandteile auf. Juras wurde ernster und etwas wacher. Die bunte Welt war wieder der Unendlichkeit des Alls gewichen.
„Mister Charity, can you hear me ein bisschen besser?“, fragte Emily in der Hoffnung, das Mittel hätte schon angeschlagen.
„Ohhhhh jahhh“, kam als Antwort. Lang gezogen, lässig bis lallend. Und vor allem zeitversetzt. Sie hatte ihn bereits vor 2 Minuten gefragt. Egal, die Videoaufzeichnungen konnte man leicht nachbearbeiten. Sie schaute, ob ihr Mikro noch saß, und kam zum Thema:
„Juras Charity! Was hat es mit ihren Ausbrüchen auf sich? Was verschweigen Sie? Was ist ihre Geschichte?“ Eine Minute lang befürchtete sie ihm zu viel zugemutet zu haben. Wieder zu forsch vorgegangen zu sein. Er war eventuell gar nicht der Richtige für diese Art der Therapie und dann begann ihn die Zeit einzuholen und der redete.
„Sie müssen mich gehen lassen, Frau Doktor Kaugummi!“ lallte er heraus. Ein Speichelfaden tropfte vom Kinn auf die nackte Brust. Erst jetzt bemerkte Emily, wie außerordentlich attraktiv er wirkte, wie er so … NEIN. Konzentration. JETZT!
„Warum Juras? Warum muss ich Sie gehen lassen? Erzählen Sie es mir!“ Behutsam nahm sie seine gefesselte Hand. Sie fühlte sich kalt an.
„Weil ich noch etwas zu erledigen habe!“ sprach er mit Focus aufs Ungenau.
„Erzählen Sie es mir. Bitte!“ sagte sie sanft aber nachdrücklich.
Plötzlich richtete sich ihr Guest auf, verkrampfte mit jedem anziehend wirkenden Muskelstrang und starrte sie mit blutrotunterlaufenen Augen an. Mit aufeinandergebissenen Zähnen presste er die Worte mit üppig Speichel heraus, wie sie es nur einem Wahnsinnigen zutrauen würde:
„Wenn jemand davon erfährt, was ich erfahren habe, werden Sie mich töten!“ Er fiel zurück auf die Liege und atmete schwer. Schweiß stand auf seiner Stirn, nein, überall. Er strahlte eine Hitze aus wie heiße Champignoncreme. Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching war verwirrt. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Dieser Mann hatte wahrhaftig Problems und sie einen in vielerlei Hinsicht very very interesting Case. Beschwichtigend sagte sie mit fester Stimme:
„I’m nicht nur ihre Freundin, Juras. Ich unterliege although noch der ärztlichen Schweigepflicht. Ihre Words verlassen diesen Raum nicht. Wenn Sie bereit sind, können wir über everything reden!“ Es war wichtig einem Guest in einer solchen Verfassung einen Angelpunkt, einen Ankerplatz, einen Strohhalm zu bieten. Schweigen. Sie schlug die Beine übereinander und rutschte auf dem Stuhl zurecht. Hatte sie ihn verloren? War er wieder in seiner Traumwelt versunken?
Auf einmal brach Juras dem Schweigen den Unterkiefer. Es kostete ihn Überwindung, das war spürbar. Sie würden nun anfangen die tonnenschwere Last auf seinem Brustkorb abzutragen, um den wahren, unbekümmerten Juras frei zu legen, schippen und schaufeln. Ab heute würde an der Oberfläche gekratzt.
„Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Nun ja, es ist so …“ stotterte er, wieder etwas klarer. „… mein Vater!“
Aha, der Vater also. Klassischer VaterSohnConflict, Familybusiness, enttäuschte Erwartungen, schwere Kindheit usw. usw. Daraus resultierend: Schwere Psychosen, keine Aussprache zwischen den Generationen … Die Ärztin hatte Charity im Sack. Trotzdem fragte sie weiter:
„Was ist mit ihrem Vater?“
„Er ist tot!“ Soweit es ihm möglich war, drehte er den Kopf weg. Verstört. „Er hätte es mir sagen sollen!“
„Er hätte Ihnen was sagen sollen?“
„Er hätte mir sagen sollen, was er da auf seinem Dachboden verwahrte. All die Jahre. Er hätte mich darauf vorbereiten sollen, falls man das überhaupt kann.“ Schwer atmend begann der Mann langsamer und noch deutlicher zu sprechen, kam dann ins Stocken und Emily befürchtete, er habe seine Redseligkeit wieder gegen die zungenlähmende Ignoranz getauscht. Sie drehte die Helligkeit im Raum einen Tick höher, gab ihm ein Entspannungsmittel und just in dem Augenblick begann sich die Liege zu drehen. Motoren surrten, Metall ächzte, Kunstlederpolster knarzten, Drahtseile spannten, zogen, entspannten, längten und kürzten sich. Kopfüber blieb sie nach einem 2 Terrabyte-Zufallsgenerator-Algorythmus stehen. Kopfüber. Juras wurde übel. Falls die Liege ihm vorher bereits ein Gravitationslosigkeitsgefühl vermittelt hatte, war es ihm im Schokoladenpuddingland nicht aufgefallen. Blut schoss in seinen Kopf. Er wurde rot. Emily schien das nicht zu stören, fragte noch etwas, unterbrach, während ihr Guest sich erbrach. Klatschend und platschend spülten sich die Bröckchen und Brocken des breiigen Frühstücks mit reichlich angesäuerter Flüssigkeit aus Nase und Mund auf den schwarzen Boden. Emily war vorsichtshalber beim ersten Husten bereits mit ihrem Stuhl zurückgerollt.
„That happens den meisten beim ersten Mal. Ist nicht so tragicaly!“ beruhigte sie Juras. Mit puterrot hervorquellenden Eyes und unangenehmem Mundgeruch, wirkte er nun nicht mehr ganz so sexy wie vorher. Während der Helfershelfer im Kittel mit einem Wischer den besten Job seines Lebens erledigte, veränderte sich Charitys Position abermals. Nach einigem Surren hing er senkrecht vor der Ärztin. Zum Glück Kopf oben. Schweiß und Speichel tropfte ihm auf die nackte Brust seines Naturanzuges. Nach einem Schluck Wasser, wenn es Wasser war, sollte er weiter erzählen. Eine neue Droge benebelte ihn und er sprach:
„Muss das wirklich sein, Prinzessin?“ Prinzessin Kaugummi rollte, auf einem großen Donut sitzend, heran. Sie schürzte die bunten, mit liebesperlenbesetzten Lippen und sprach mit ihm wie mit einer Jungmandel.
„Du hast dich freiwillig gemeldet, mein Mandelschnütchen. Aber damit Mama dir helfen kann, musst du von deinem Auaweh in dir drin erzählen. Du weißt doch was sonst passiert, oder?“ Dann kniff sie ihm ins Wängchen. Juras blickte auf den riesigen Nussknacker im weißen Kittel. In der Hand hielt er etwas. Das, was gerade noch ein Wischer gewesen war, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als die obligatorische Pike, die den Nussknackern den soldatischen Touch gab. Mit mächtigem Unterkiefer klapperte er, bedrohlich grinsend, auf und zu und auf und zu. Es war ein furchtbares Geräusch. Juras schloss die Augen und wünschte sich, keine übergroße Mandel mehr zu sein, die ein Geheimnis zu wahren hatte. Also erzählte er:
„Wo war ich stehen geblieben, Hoheit?“
Emily wurde unter Drogeneinfluss schon als vieles tituliert. Eine Prinzessin war sie bis dato noch nie gewesen. Ein angenehmes Feeling:
„Du bist von deinem Vater nicht vorbereitet worden?“
„Richtig. Als mein Vater beerdigt wurde, bin ich in sein Haus am Rande der Stadt gefahren und musste seinen Nachlass durchsehen. Mutter war bereits vor 6 Jahren gestorben, seither lebte er allein. Es dauerte mehrere Tage, alles zu sichten und zu sortieren und …“ Mit starrem Blick ins Leere durchlebte er es noch einmal.
„Ich fand diese alte Kiste. Nicht größer als eine Zigarrenkiste. Ich glaube sogar, es war eine Zigarrenkiste, so genau kann ich das gar nicht mehr sagen. Auf jeden Fall öffnete ich die Kiste und darin lag ein Gegenstand. Ein Gegenstand von bräunlicher Färbung, länglich, röhrenartig, vorne gerade abgeschnitten und hinten abgerundet. Vorne war er offen und man konnte die dünne papierene Wandung erkennen, und womit er gefüllt war. Ich roch daran und sah die kleinen Krümel, die man von vorne so gut erkennen konnte und die hinten, aufgrund der Abrundung nicht herausfallen konnten …“ Emily rollte die Augen, Juras blubberte weiter, „… wenn man natürlich den hinteren Teil abgeschnitten hätte, wäre es möglich gewesen, dass dort auch die Krümel herausfallen könnten …“ Jetzt wurde es zu bunt und Emily schritt ein:
„Kommen Sie zur Sache! Was war mit der Zigarre?“ forderte sie ihn auf. Juras verstand:
„Nichts, die habe ich aber auch darin gefunden. Auf jeden Fall war dort noch ein Gegenstand, in alte Leinen gewickelt. Magisch zog er mich an. Ich war wie in Trance, legte das kleine Bündel auf den staubigen Holzboden des muffigen Speichers. Langsam faltete ich mit spitzen Fingern die übereinandergeschlagenen Ecken auseinander. Erstaunt sah ich ihn schimmern. Kleine Gravuren verzierten ihn und als ich zupackte geschah es!“ Juras wurde beim Erzählen immer leiser doch erregter.
„Was geschah, Juras. Fahren Sie fort!“ sagte die Prinzessin etwas zu ungeduldig.
„Mit einem Male, wusste ich, wem dieser Gegenstand ursprünglich gehört hatte. Es war einst, so unglaublich es scheint, ein Gegenstand von Jesus Christus. Dem Sohn Gottes, dem Erlöser, dem…“
Sie unterbrach ihn, bevor er wieder hängen blieb:
„Ich kenne Jesus.“
„Persönlich?“
„Natürlich nicht“, lenkte sie ein, „aber ich habe von ihm gehört.“
„Ach so …“ meinte er verstehend. Kurze Pause. Dann redete er weiter.
„Ihr dürft keiner Menschenseele von dem hier erzählen, versprecht ihr mir das, Prinzessin? Ich denke, es ist gefährliches Wissen.“
Sein Herz pochte. Sein Magen rebellierte und grummelte in d-Moll. Verstohlen warf er einen finsteren, misstrauischen Blick auf den Nussknacker. Emily verstand, schaute auf Kittelhans mit den fleischigen Ohren und zuckte. Schon waren sie allein. Bedächtig beugte sie sich zu Charitys Ohr vor. Er wurde in die Jasminwolke mit eingehüllt.
„Hier in meinem Palast bin ich sicher. Sind WIR sicher. Niemand wird uns hier behelligen!“
Pause.
„Aber nun sagen Sie mir, woher wissen Sie, dass dieser Gegenstand einmal Jesus gehört haben soll? Lag eine Notiz ihres Vater mit in der Kiste oder wie kommen Sie darauf?“
Er schüttelte den Kopf und flüsterte dann:
„Er hat es mir gezeigt. Als ich ihn berührte, hatte ich eine Vision. Eine Vision der Vergangenheit seines Besitzers!“ Dann folgte das hohe kreischend verschwörerische Kichern wie von einer betrunkenen Fledermaus.