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Gut im Schätzen

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Seit einiger Zeit zog es Melly Brommer täglich nach der Arbeit zum Supermarkt. Nicht, dass er ihr Kühlschrank oder die Abstellkammer nötig gehabt hätten, nein, die waren restlos überfüllt. Mittags konnte sie in der Kantine von Synothex warm essen und abends gab es meist kalte Küche. Um ihren knochigen Körper zu ernähren brauchte es ohnehin nicht viel, ergo verbrauchte sie spatzische Mengen. Manchmal überkam es sie und sie machte etwas völlig Verrücktes. Nämlich Microstrahlen-Popcorn. Heimlich, bei ausgeschaltetem Licht. Mama sagte immer, es sei kein richtiges Essen und zudem sündiger Luxus. Aber selbst davon hatte sie noch genug im Kleiderschrank hinter den Handtüchern ihres zwei Zimmer-Appartements in der Innenstadt.

Ein weiterer Grund den Supermarkt zu besuchen wäre da noch der Monatsanfang, an dem sie, fast zwanghaft, immer einkaufen ging. Monatsanfang war, heute auf den Tag genau, zwei Wochen her. So stand Melly aus einem ganz anderen Grund an der Bushaltestelle und schaute nervös auf die bunte Armbanduhr, die sie seit ihren Kindertagen nicht abgelegt hatte. Es war 16:30 und der Nachhausebus, der gleichzeitig der Supermarktbus war, denn der Supermarktbus hielt in der Nähe ihres Zuhauses, da der Supermarkt ganz in der Nähe ihrs Zuhauses war, hätte bereits vor 25 Sekunden da sein sollen. Wo blieb er nur, dachte Melly und trat von einem Bein aufs andere. Dabei rutschte die schwere Hornbrille ein wenig den Nasenrücken hinab und veränderte den Einstrahlwinkel der intensiven, auf strahlend blauem Himmel prangende, Sonne. Mit zugekniffenen Augen spähte sie die stark befahrene Straße entlang, verwies die Brille mit ihrem Zeigefinger wieder auf ihren angestammten Platz. Ungeduldig reckte sie sich auf den Zehenspitzen nach oben, beugte hierbei die leicht schief gewachsene Wirbelsäule vor, als könnte sie noch weiter zwischen die hochaufragende Bürogebäudeschlucht blicken. Ihr kleiner, eng angelegter Rucksack, verstärkte noch den Eindruck eines Glöcknerbuckels mit Zwillingsvisage.

„Der Bus ist zu spät!“ sagte der adrette, junge Mann im Anzug, der wie durch Magie neben ihr erschienen war. Mel zuckte merklich zusammen. Schon wieder hatte er sie angesprochen. Dieser harmlos wirkende Kerl im feinen Zwirn. Gott bewahre mich vor seinen gierigen Klauen, dachte die junge Frau, als sie steif überlegte, was nun zu tun sei. Phold, wie sein Namenschild verriet, war ihr bereits vor Wochen aufgefallen. Plötzlich tauchte er an ihrer Nachhausebusbushaltestelle auf, genau um die Zeit, wann sie den Nachhausebus immer nach Hause nahm. Bereits diese Tatsache war Melly Brommer äußerst merkwürdig vorgekommen. Irgendwann jedoch, sie hatte sich gerade daran gewöhnt, wurde sie von ihm auch noch im Vorübergehen gegrüßt. Hinterhältig grinsend, wie Mel fand. Mehr als eigenartig, hatte sie gedacht. Denn sie wurde nie von Fremden gegrüßt. NIE. War quasi unsichtbar. Seitdem schrillten bei ihr täglich die Alarmglocken, wenn sie ihn sah, und machte einen entsprechenden Bogen um den gut aussehenden Jüngling, mit braungelocktem Haar. Vor solchen Typen musst du dich in Acht nehmen, mein Kind, hatte ihre Mutter ihr eingebläut, als sie vom Land in die Stadt zog. Es sind die netten, harmlos Wirkenden, die dir das größte Leid bescheren. Ihre widerlichen Klauen strecken sie nach dir aus und verführen dich und ziehen dich hinab in die Hölle und legen dich in des Antigottes Schoss. Habe ich alles schon gesehen. Gott ist mein Zeuge, hatte ihre Mutter geschworen und sich zigfach bekreuzigt. Und jetzt, wo sie die ganze Zeit nur ihren Bus zum Supermarkt im Kopf hatte, hatte Phold es wieder getan. Nun galt es die prekäre Situation schadlos zu überstehen und angemessen zu reagieren, um dem Antigott und seinem Helfershelfer und seinen gierigen Klauen ein Schnippchen zu schlagen.

Spiele deine Trümpfe aus, Mel, dann wird er das Interesse verlieren, dachte sie und drehte leicht den Kopf zu ihm hin. Langsam, zeitlupig, zog sie ihre dünne Oberlippe übertrieben hoch und gab den Blick auf die silbrige, feste Zahnspange und üppig freigelegtes Zahnfleisch frei. In der Hoffnung noch Reste vom Mittagshühnchen am Zahnzaun hängen zu haben, streckte die Buckelige den Kopf noch weiter vor, um ihr schönstes Pferdegebiss zu machen. Dabei schüttelte sie ruckartig zuckend den Kopf hin und her, und meinte höflich:

„HÄ?“ Die Idiotin zu spielen hatte noch jeden in die Flucht geschlagen. Zuerst passierte nichts. Der junge Mann wusste kaum wie ihm geschah und starrte Mel auf den irren Gesichtsausdruck. Wie sie so dastand, mit ihren 1,72m und 55kg, hätte man sie auch direkt ins Filmset von ScareCrowZombieTerror Teil 4 stellen können.

„Entschuldigen Sie!“ stammelte er, sichtlich verwirrt und trat einen Schritt zurück. Die erste Idiotenwelle zeigte Wirkung. Mel hielt weiter drauf:

„HÄ?“ Das war zu viel. Phold ergriff, um Fassung ringend, die Flucht und stellte sich weiter hinten zu den anderen Wartenden bzw. versteckte sich hinter ihnen. Einige Sekunden hielt Mel die Fassade aufrecht, richtete sich dann wieder auf und strich ihr langes, dunkelblaues Sommerkleid glatt. Die kleinen weißen Punkte standen wieder in Reih und Glied. Auch die weißen Rüschensöckchen und schwarzen Lackballerinas hatten nichts abbekommen. Puh. Das war knapp. Wieder einen Schergen des Antigottes erfolgreich abgewehrt. Das musste sie später unbedingt Pater Beige erzählen, dachte sie noch und dann kam auch schon der Bus, vor ihren Augen, zum Stehen. Freudig klatschte sie zwei Mal in die Hände, hüpfte gnomisch in die Luft und glotzte plötzlich den Busfahrenden in die starren, hinter Glas eingefrorenen Mienen. Schlagartig hörte sie auf, stieg ein und leitete ihre kindliche Freude durch ein breites Zahnspangenlächeln ab. Etwa 14 Minuten. Denn genau so lange dauerte ihre Nachhausebusbusfahrt nach Hause.

Nachdem sie ausgestiegen war und der Ausstieg sich hinter ihr in den Einstieg für wartende Fahrgäste verwandelte hatte, wandte sie sich nach links, um der Straße, beschwingten Schrittes, für ein paar hundert Meter zu folgen. An einer Ampel inbrunste sie laut vor sich hin:

„Oh, liebe Ampel. Du bist heute scheinbar mein Freund!“ Denn sie sprang genau in dem Moment auf Grün, als Melly die Straße überqueren wollte. „Ja so was! Da hat doch einer dran gedreht“, lächelte sie schelmisch, schaute nach oben und wackelte mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung des blauen Himmels. Dieser tat, als sei nichts geschehen und schob ein paar Schäfchenwolken von hier nach da. Gott hat immer ein Auge auf dich, mein Kind, sagte Mama bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Wie Mel jetzt zum abertausensten Male feststellte, hatte sie recht behalten. Mama hatte immer recht. Frohen Mutes, Phold und den Nachhausebus hinter sich lassen, erreichte sie einige Minuten später ihr Ziel. Auf dem überdimensionierten Parkplatz für geschätzte 7000 Autos, Melly war gut im Schätzen, beschloss sie, den Supermarkt zu betreten, um sich ein Eis zu kaufen. Wenn man sich nun fragt, ob dies der Grund sei, warum Melly Brommer heute in den Supermarkt und nicht nach Hause gegangen war, so kann ich getrost an dieser Stelle verraten: NEIN!

Auf jeden Fall ging das Fräulein mit der Hornbrille, dem Buckel, der merkwürdigen Frisur und Kleidung in den Laden hinein. Innen sah sie sich genauestens um, schlich detektivisch, wie einer der Helden aus ihren P&P-Lieblingskriminalromanen, durch die Regalreihen. Bei den Süßigkeiten stockte sie kurz. Hier trieb sich ein dicklicher Mann, auf der Suche nach einem Diätschokoriegel, herum. Mit einem Blick in den Hygieneartikelgang erwischte sie eine ältere Frau beim Bindenklau und in der Tiefkühlabteilung trieb sich eine Gänsehaut herum, die sich sogleich an sie klammerte. Selbst in der Alkoholabteilung drehte sie eine Runde, auch wenn ihr die teuflischen Säfte wahrlich Angst machten. Wie sagte Mama immer? Das Blut des Antigottes. Beim Anblick der Flaschen überkam Mel ein mulmiges Gefühl und die Erinnerung ihrer ersten und einzigen Erfahrung mit Alkohol. Das würde sich nie nie nie nie nie nie niewiederwiederholenwürdeessichnicht, schwor sie bei allem was ihr heilig war. Und ihr war viel heilig.

Es war etwa mit 19. Mel war zu ihrer ersten Feier eingeladen. Naja, nicht richtig eingeladen, es war ein Klassentreffen der katholischen Schule, zu der sie ging. Hier wurde getanzt, gelacht, geplaudert, gegessen und vor allem getrunken. Auf einem Tisch in exzellenter Lage stand in kelchförmiger Schale eine wirklich leckere Fruchtbowle in tiefrot. Mel schmeckte die Bowle ausgezeichnet. Nach kurzer Zeit wurde ihr übel bis schlecht und die Welt um sie herum hatte sich in einen wackelpeterigen Sündenpfuhl verwandelt, in dem alle entweder verschwommen aussahen, oder mit den Mündern aneinanderklebten, oder beides. Irgendwann hatte ihre Freundin Liz ihr viel zu spät gebeichtet, sie habe gesehen, wie jemand Alkohol in die Bowle gekippt hätte. Mel war natürlich eine ganze Woche sauer auf Liz gewesen. In dieser Zeit hatte sich ihre Freundin einer Gruppe Motorrad Rockern als Gespielin angeboten und wurde nie wieder gesehen. Manchmal plagten Mel noch Schuldgefühle deswegen, doch Mama meinte, Liz wäre immer ein leichtes Mädchen gewesen und der Antigott habe sie nun endgültig geholt. Deshalb hasste Mel das Zeug und huschte nur umso schneller an ihm vorbei.

Das war der letzte Gang. Der Laden war sauber. Ein wenig enttäuscht schlenderte sie Richtung Ausgang. An der Kasse fiel ihr Blick auf das Zeitschriftenregal, wo sie mit geweiteten Augen vor dem neuen P&P stehenblieb. Augenblicklich griff sie sich einen der Romane und las den Einband.

Penhall & Pork, wieder unterwegs um dem Bösen Einhalt zu gebieten.

Klang vielversprechend. Nicht lange überlegend, nahm sie das Büchlein, eine Ausgabe von „U.F.O.s GESICHTET“ und ein buntes Eis in Form eines konischen Analschraubendildos, was sie zweifelsohne nicht wusste, und zahlte. Wieder auf dem Parkplatz angelangt, schloss sie ihren Wagen auf und setzte sich mit heruntergekurbelten Fenstern in den kochenden Innenraum. Die Sonne brannte wie brennende Sonne ohne Wolken brennt. Genüsslich das Eis schleckend und den Parkplatz immer im Blick, schlug sie den Roman auf. Heute war ihr großer Tag, das hatte sie bereits im grüngrauen Morgenurin gehabt.

Die Ringe des Herrn

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