Читать книгу Die Ringe des Herrn - Monduras IX. - Страница 17
Der Typ mit dem Hirn
ОглавлениеIhr Bericht fiel verheerend aus. Die seelischen Wounds von Juras Charity, ihrem Neuzugang, waren weitaus tiefer, breiter und länger, als ein Cut zum Ausweiden einer mittelschweren Lachsforelle. Dass dieser unglaublich attraktive Mann mit dieser inneren Zerrissenheit so lange hatte leben können, war selbst für Emily a Riddle. Sie hatten 9 Stunden im ZGQRoom verbracht. Am Ende waren beide erschöpft, nicht zuletzt, da die neuen Pumps noch nicht eingetragen waren. Charity schlief kopfüber ein, wurde notdürftig mit einem Lappen gereinigt und ins Bett gebracht. Nun saß Frau Doktor Schabbach von Graupen-Aiching, die jeden anderen Termin an diesem Tage abgesagt hatte, allein in ihrem Office und tippte mit langen Fingernägeln auf dem Keyboard ihres Rechners herum. Ab und an hielt sie inne, starrte auf den Lichtkegel ihrer Schreibtischlampe und rekonstruierte die Geschichte, die sie gehört hatte. Sie wusste, dass sie die Aufzeichnungen nochmals durchgehen musste, denn so detailreich, wie er diese Story von GJ geschildert hatte, würde sie sie nicht wiedergeben können. Und da kam ihr direkt der nächste Gedanke: Never before hatte sie sich in einem Guest so getäuscht, wie in diesem Juras Charity. Nothing von wegen Father-Son-Problematik, Familytragedy oder dergleichen. Der Mann hatte Angst. Angst vor der Erkenntnis, die er sich selbst ausgedacht hatte. So etwas war nicht gerade selten, Fearguests hatte sie zu genüge, aber nie mit solch schlüssiger, detailreicher Story. Wäre sie nicht Spitzenpsychologin mit Triplom in Angstbekämpfung, Psychoanalyse und Innenproblematik, wäre sie versucht ihm zu glauben. Doch derlei Fantasien gab es höchstens in Büchern, da war sie sich sicher. Spitzfingrig knöpfte sie sich die Bluse ein Stück auf. Der Knopf direkt über den Brüsten hatte heute wieder Schwerstarbeit geleistet und es war nicht selten, dass einer von ihnen den Job quittierte und sich als Ersatzknopf bei einem Businesshemdhersteller bewarb. Die enormen Brüste atmeten bei der plötzlichen Frischluftzufuhr augenblicklich durch. Dann öffnete sie die zusammengebunden Haare, lehnte sich in ihrem Sessel aus Kobe-Rind zurück, legte den Kopf in den Nacken und ließ sie baumeln. Nicht selten schlief Frau Doktor in dieser Position ein, doch dieses Mal nicht. Ihre Gedanken wanderten ziellos durch die Gänge. Das Haus Belfort war zu dieser späten Stunde ziemlich verlassen. Im Schummerlicht der Nachtbeleuchtung schwebte Emily den Gang hinunter, vorbei an den Zellen 45-40 rechts und links. Ruhe regierte, lediglich leises Schnarchen drang hinter der ein oder anderen verschlossenen Tür hervor. Der Korridor endete in der Mitte des Gebäudes, im Aufenthaltsraum. Hier hatte jemand auf dem Spielteppich die Bauklötze nicht weggeräumt und in einem Bilderbuch war auch herumgemalt worden. Frische Bissspuren zierten die Tischplatte der Kindersitzecke. Solche Marotten kamen immer wieder, in Wellen, unter den Guests auf und verschwanden so plötzlich, wie sie kamen. In these cases würde sie Nachsicht walten lassen. Emilys Geist wand sich nach links, durchstreifte den nächsten Ausläufer des großen Baus und war versucht bei Zelle 23 einen Blick zu riskieren, als er plötzlich da stand. Sie öffnete die Augen. Er stand einfach so da. In der offenen Tür ihres Office, klopfte zaghaft, doch laut genug an den Türrahmen und fragte:
„Frau Doktor? Alles in Ordnung. Sie noch hier?“
Und nun wusste sie, dass es schier unmöglich gewesen war ihn zu finden, denn er hatte night shift. Der Eine. Der eine Typ ihres Personals mit dem Gehirn.
Es war ein unglaublicher Sex gewesen. Geschlafen hatten sie wenig. Morgens um 4, als Emily abstieg und ihre Fassung wiedererlangte, drängte sie den verschwitzten Rocco aus ihrem Büro, mit den Worten:
„Hast du nicht einen Job zu erledigen? Zwei Rundgänge hast du schon verpasst!“ Ihre zerzauste Frisur strafte ihre Strenge Lügen. Rocco blieb irritiert und nackt auf dem Gang zurück. Zuerst wollte er noch einmal an die verschlossene Tür klopfen, trollte sich aber, nachdem er die Hose übergestreift hatte. Inständig hoffte er, dass diese Begegnung nicht die Letzte mit Frau Doktor bleiben würde. Diese Frau war der absolute Wahnsinn gewesen. So gebieterisch und wild. Mit ein paar Handgriffen räumte Emily ihren Kram zurück auf den Schreibtisch, rückte Couch und Teppiche zurecht und überließ die Flecken und Schlieren dem Putzdienst. Die an den Couchfüßen verknoteten Nylons musste sie schweren Herzens mit der Schere abschneiden und die zerrissene Kleidung stopfte sie in eine eigens dafür angeschaffte Tasche. Nach einer entspannenden Dusche und einem eleganten Sprung in die allzeit bereiten Wechselsachen, war sie nach knappen 2 Stunden wieder einsatzbereit und vor allem vollends befriedigt. Ab und an brauchte sie halt einen Mann, selbst wenn dieser den Bildungsgrad einer Trockenpflaume auf Heizung hat. Viel Auswahl bot sich ohnehin nicht, wenn man ihre Arbeitszeiten betrachtete. Da blieb keine Zeit für irgendwelche langwierigen und schwafeligen Dates. Zudem widerte sie der Gedanke an, eine wirkliche, anstrengende Beziehung mit Kompromissen und dem ganzen Schnickschnack zu führen. Das beeinträchtigte lediglich die Konzentration, darunter litt the work und das Gefühl von aufregender Neuheit nutzte sich täglich mehr und mehr ab. Wie billige Unterwäsche. Bis hin zum Überdruss. Dann würde es wieder Geheule und Gezeter geben und er müsste sich zusammen reißen, seine Sachen packen und endlich verschwinden. Dieses müh- und armselige Unterfangen hatte sie schon zu oft mitgemacht und konnte sie sich getrost sparen.
Emily stand da, träumte ein Loch in die Luft und merkte nicht, wie ihre Gedanken auf letzte Nacht zurückkamen. Sie musste zugeben: Rocco war really better als seine hirnberaubten Klötze von Collegues. Er war nicht nur stoßkräftig und roh, sondern auch fantasievoll, mit Gefühl was er wie zu tun hatte. Ein wahres Wunder, wenn man bedachte, wie gut er bestückt war. Big war da noch untertrieben. Bei dem Anblick wurde jeder marternde Indianer blass vor Neid. Das waren ja schon zwei Argumente, die ihn aus der Masse hoben. Emilys Lendenbereich durchfuhr ein leichtes Prickeln. Eventuell würde sie nochmals auf Rocco zurückkommen. Eventuell.
Der Terminplan war today, wie always, ziemlich voll. Charity würde sie heute einmal außen vor lassen, er sollte sich ausruhen und morgen ging es dann weiter. Emily hoffte, er würde, nun da er sich bereits geöffnet hatte, ohne Medikamentierung more details seiner Wahnvorstellungen ausplaudern. Es blieb spannend. Doch heute stand als erstes Sally auf dem Programm. 9:00.
Also noch genug Zeit for breakfast, dachte sie und stapfte heute einmal in den Gemeinschaftsraum, um sich am Angestelltenbuffet zu bedienen. Das wurde im Haus Bellfort kostenlos serviert, gehörte einfach dazu. Die Ärztin war zwar eine strenge, doch nicht knauserige Person, was den Verdienst und die Nebenleistungen anging. Nicht, dass die Pfleger, die hier arbeiteten auch einen miesen Job am Hafen, im Schlachtbetrieb oder in einem der vielen Großlager am Rande der Stadt an Land hätten ziehen können. Doch hier war es um einiges angenehmer. Trockene Räume, wenn sich nicht wieder ein Guest eingenässt hatte. Saubere Anziehsachen, wenn sie nicht von einem eingenässt wurden. Und angenehme Arbeitszeiten, wenn sie sich nicht vor lauter Überstunden selbst einnässten. Irgendwie lief es immer auf das Gleiche hinaus. Natürlich noch die Chance, von Frau Doktor zum vertraulichen Gespräch gebeten zu werden, was den einen oder anderen anspornte, eine Schicht mehr zu übernehmen.
Nach dem Frühstück, mit Schrank und Co., stakste Emily beschwingten Schrittes zu Room 5, wo sie von Sally bereits erwartet wurde.
„Soll ich Ihnen die Haare schneiden?“, tönte Sally, die quer auf einem breiten, schweren Ledersessel saß und die Beine über eine Lehne baumeln ließ. Augenbrauenstrichnachobendrückend beäugte Emily sie.
„Ich dachte …“, begann die Ärztin, während sie der Maschine einen Espressoforte entlockte. Sally übernahm den Satz:
„… ich würde nur Vampiren die Haare schneiden? Sie sehen heute ungeheuer blass aus, Frau Doktor! Schieben Sie doch mal den Schal ein wenig beiseite!“ Dabei bleckte sie ihre Zähne, dass man die spitzgefeilten Eckbeißer sehen konnte. Es war ihre Art des Lächelns. Zu Sallys Erstaunen lüftete Frau Doktor tatsächlich den dekorativen Schal und zeigte Hauptschlagader. Keine Bissspuren, wie Sally mit geübtem Blick feststellte.
„Dann nicht!“ rotzte Sally eingeschnappt und schwang den Kopf von rechts nach links und schwieg. Der Espressoforte war heiß, wurde angenippt und Frau Doktor vergegenwärtigte sich die Akte über das Mädchen, während sie sich langsam hinsetzte. Sally war, laut ihrer eigenen Bezeichnung, Vampiröse. Einst hatte sie Frisöse gelernt, verweigerte dann aber von jetzt auf gleich die Arbeit und verlangte Nachtschichten im Salon machen zu dürfen. Allein. „Für die Nachtwandler!“ wie sie sagte. Ihr Chef, Dirk, warf ihr eine grobe Undichtigkeit im Kopfbereich vor und schickte sie dauerhaft nach Hause. Am nächsten Nachmittag, kurz vor Feierabend, stürmte das Mädchen wutentbrannt den Salon und griff Dirk an. Schwarz gekleidet war sie vorher bereits, doch nun hatte sie spitz gefeilte Eckzähne, ein noch blasseres, weißlich graues Aussehen und den Wahnsinn von 4000 Willy Robjens9-Fans in den Augen und dem Großteil des Gesichts. Mit mehreren Bissspuren an Hals und Wade, wurde der Mann ins Krankenhaus und Sally nach Bellfort eingewiesen. Anfangs nicht ansprechbar, später unausstehlich und bis heute noch gesellschaftsunfähig. Im Laufe ihrer Entwicklung konnte sie einige Fortschritte im Blitzpuzzeln, 28 Teile+, vorweisen und beißen wie ein Rottweiler auf Speed. Die Therapie lief eher schleppend.
„How do you feel, Sally? Wie ist es jetzt, da du weißt, dass ich heute auch kein Vampir bin? Würdest du mir vielleicht doch die Haare schneiden wollen, oder geht es nicht?“, brach Frau Doktor die Stille und schlug die Beine übereinander. Ihre Gegenüberin wickelte beständig eine Haarsträhne um den Zeigefinger und starrte mädchenhaft ins Leere:
„Ich fühle mich …“, begann sie. Es fiel ihr immer noch schwer, über sich selbst zu sprechen. Ernsthaft zu sprechen. „… so nutzlos. Hier gibt es keine Nachtwandler, denen ich die Haare schneiden kann. Zudem sind die Kinderscheren im Aufenthaltsraum vielmehr Epiliergerätschaften. Fragen Sie Arnold.“ Mit wildem Ausdruck fixierte sie einen imaginären Punkt auf Emilys Stirnpuder.
Wenn die Ärztin geschockt war, ließ sie es sich nicht anmerken. Es war nicht das erste Mal, dass Sally auf die Idee gekommen war, andere Patienten zu fristümmeln10. Diese sahen danach durchaus verheerend aus und heulten einige Tage, auch die ganz großen Jungs, bis sie vor lauter Drogen vergaßen, was geschehen war. Doch Arnold nicht, er nahm es gelassen, dämlich grinsend hin und nutzte seine körpereigenen Drogen.
„Lassen Sie uns über something else reden!“