Читать книгу Die Ringe des Herrn - Monduras IX. - Страница 20
Diabolisches Eichhörnchen
ОглавлениеSie wartete in ihrem Auto vor seinem Haus. Er, D. Kranz! Der D. Kranz! Eine ganze Weile beobachtete sie ihn schon. Ab und an … Fast jeden Tag … Na gut, jeden Tag. Seinen Vornamen kannte sie immer noch nicht, aber er war alleinlebend, sportlich, großzügig, vermögend, aber es gab einen Knackpunkt. Er ging nicht in die Kirche! Zumindest hatte sie ihn noch nicht in die Kirche gehen sehen. Natürlich konnte es sein, dass er morgens früh, vor der Arbeit ging, doch das war eher unwahrscheinlich. Diese Tatsache sollte Mel aber nicht davon abhalten, weiter auf der Lauer nach ihm zu sein. Zuerst einmal musste sie Informationen sammeln. Dann mussten sie ein Paar werden und für das Danach, hatte sie bereits einen ausgeklügelten Plan. Kurzer Hand: Sie würde ihn zum Gottesdienst mitnehmen. Nicht zu Pater Beige, Gott nein. Für den brauchte man eine Menge Erfahrung, noch mehr Fantasie und einen betonfundamentierten Glauben, sonst ertrug man den stammeligsten Prediger, seit es Zerhacker gab, einfach nicht. Nein, sie würde Kranz mit zu diesem Fernsehprediger nehmen. Wie hieß denn der noch gleich. Ein paar Minuten verstrichen, doch es wollte ihr partout nicht einfallen, obwohl sie sein Bild fest vor ihrem inneren Auge wanken sah. Ihre Mutter konnte sie anrufen, die war total versessen auf dessen Predigten. Doch wenn sie jetzt anrief, würde Mel heute Abend nichts anderes mehr tun können und mit 2000 weiteren Lebensweisheiten zu Bett gehen. Mutter redete für ihr Leben gern und gab man ihr ein Telefon … puh!
Na auf jeden Fall, würde sie mit D zu dem gehen.
Der kann die Leute begeistern, die sind dort immer so aus dem Häuschen. Da wird gesungen und gelacht, geweint, geschrien, manche fallen sogar in Ohnmacht, andere werden geheilt, Wunder geschehen, Sorgen vergehen, im Liegen und im Stehen, schon vieles gesehen, die Glieder verdrehen, sie konnt’s nicht verstehen, es war zum Abdrehen oder manchmal auch nicht. Bevor sie zu sehr abschweifte … Auf jeden Fall war es dort immer toll. Man wusste nie, was kam. Das war wahrscheinlich auch das Erfolgskonzept. D würde es lieben. In ihrem und diesem Glauben war Melly bereits unerschütterlich.
Es war 08:00 Morgens, während Mel ihr Frühstück im Auto zu sich nahm. Die Nacht war ein wenig kühl gewesen und auf dem Fahrersitz zu schlafen, brachte immer ein Zerknautschtheitsgefühl mit leichtem Anflug von Kopf-, Glieder-, Rücken- und Knorpelschmerzen. Nicht gerade die Art, wie man seinen Urlaub normalerweise verbringen wollte. Doch ungewöhnliche Zeiten brachten ungewöhnliche … irgendwas … mit sich. Sie hatte den Spruch wieder vergessen. Den musste sie unbedingt in ‚P&P 5 – Beschattung ohne Wiederkehr‘ nachschlagen. Weiter auf dem trockenen Sandwich herumkauend, griff Mel neben sich auf den Sitz, schob den Kittel beiseite und nahm ein kleines Büchlein in die Hand. Der Einband war über und über mit kleinen, bunten Aufklebern von christlicher Symbolik geschmückt. Dort schrieb sie auf eine neue Seite: Tag 8. Fleißig zurückblätternd ließ sie die vergangenen Tage noch einmal Revue passieren. Niemals die Straße und vor allem nicht das Haus aus den Augen lassend.
Die ersten drei Tage passierte nichts. Rein gar nichts. D schien überhaupt nicht da gewesen zu sein. Das waren schlimme Tage, in denen Mel sich oft gefragt hatte, was sie hier eigentlich zu suchen hatte. Endlose Stunden des Wartens, ohne das auch nur ein Vogel auf seine Veranda gemacht hatte. Tage des Zweifels und der Zwiesprache mit sich selbst. Doch mit Für und Wider, die beiden kamen des Öfteren zu Besuch, hielt sie an ihrem Glauben fest.
Wann hatte sie noch mal ihren Urlaub eingereicht, dachte Mel. Es war bereits im Januar gewesen. Und so kurz vor meinem Urlaub schickst du mir, oh Herr, diesen … Mann, sie verdrehte angelustet die Augen und hauchte das Wort nur so gegen die Windschutzscheibe.
Das konnte doch kein Zufall sein. Gott prüft mich. Ich soll meine Mission erkennen und er will, dass ich endlich glücklich werde.
Ihre Beharrlichkeit sollte sich auszahlen. Alle Zweifel wurden an Tag vier, wie die Hexen im Mittelalter, ausgemerzt. Gegen 8:30 ging er aus dem Haus, fuhr mit dem Bus in die Innenstadt und verschwand nach einem 6,22 minütigem Fußmarsch in einem großen Gebäude mit vielen Türen und Fenstern. Soweit nichts Außergewöhnliches, doch das ZentralKlinikum war nicht nur ein Krankenhaus, es war ein Krankenhauskomplex aus mehreren, unterschiedlich hohen, mit einander verbundenen Bauten im Tetragondesign. Hier gab es alle möglichen Abteilungen, keine Fachrichtung blieb außen vor, eine Hochburg der modernen Medizin und Forschung. Inklusive einer psychiatrischen Einrichtung, des Science-Centers und der kürzlich eröffneten Voodoo-Hütte. Vollgestopft mit den klügsten Köpfen des Landes, die jede Menge kluge Ideen sammelten, um gegen alle möglichen Krankheiten des Planeten und darüber hinaus anzuforschen. Erst kürzlich war hier ein Antiheuschnupfen-Präparat erfolgreich an zwei toten Schimpansen getestet worden. Es würde noch Jahre dauern, bis es zur Marktreife gelangte, doch neue Gelder flossen bereits, um auch lebende Objekte erfolgreich, dauerhaft und mutationsarm zu kurieren. Um den Rest kümmerten sich Knochensäger und Chirurgen. Von alledem hatte unsere Melly selbstverständlich keine Ahnung. Für sie war es ein Krankenhaus. Basta.
Obwohl sie an diesem Tage den Pork in sich gespürte hatte, war sie Kranz nicht ins Gebäude gefolgt. Einfach blindlinks, als Zivilist hinterher zu laufen, kam ihr dumm vor. Sie brauchte einen Plan und den wollte sie sich vor dem Gebäude, auf einer Parkbank überlegen. Leider störten ein paar Spatzen ihren Denkapparat und so vergaß Melly übers Füttern das Denken. Irgendwann wurde es ihr zu bunt, der Hintern tat ihr weh und Mel begann, das Gebäude zu umrunden. Dabei verlor sie sich in der gepflegten Parkanlage, was sich wiederum als göttliche Fügung herausstellte.
Mitten im Stadtkern bildete der Parque Central das Aushängeschild. Ein riesiger, allgemein zugänglicher, grüner Fleck inmitten gigantischer Gebäude und ausgefranster, sich ständig erweiternder Außenbezirke. Anziehungspunkt für Grünliebhaber und die, die es werden wollten. Hier tummelten sich Rockbands in den Musikmuscheln, Künstler malten ihre Bäume, Skylines oder Füße, Kinder tobten, Hunde bellten oder umgekehrt, Kranke spazierten und Enten spielten Schach. Erpel auf C3. Für die Bewohner dieser Stadt war der Park ein beliebtes Ziel, ein kleines Urlaubparadies für ein paar Stunden und ein Bereitsteller der städtisch eingerichteten Freizeitzonen. Genau in so eine Freizeitzone verschlug es Melly. Die kleine, runde, etwa 8m im Durchmesser gestaltete Lichtung, war ein lauschiges Örtchen, umringt von alten Bäumen und dichtem Buschwerk. Sechs Parkbänke umgaben eine ca. 1m hohe Betonplattform von rechteckigen Ausmaßen. Mel tippte auf zeitgenössische Kunst und setzte sich auf die Bank vor einer Mauer. Während sie so dasaß, das schattige Plätzchen genoss und sich überlegte, wie sie weiter vorgehen wollte, wanderte ein untersetzter, ca. 68jähriger Mann mit Spazierstock, anzüglich grinsend an ihr vorüber. In ihrer kindlichen Unbedarftheit lächelte sie ihr schönstes Zahnspangenlächeln, hielt sich jedoch zurück, ihn nach dem Weg zu fragen. Irgendetwas an diesem Kerl kam ihr merkwürdig vor. Ein laues Lüftchen wehte über sie hinweg und plötzlich trug einen lang gezogener Frauenstöhner von hinten über die Mauer in Mellys Nacken. Ihr dämmerte immer noch… gar nichts. Fakt war jedoch: Sie war nicht allein. Dem Stöhnen folgte Geraschel und Getuschel. Zwei Stimmen ertönten, einem Mann und einer Frau zuzuordnen. Melly kombinierte aufs Schärfste. Die beiden flüsterten, kicherten und es raschelte weiter, wie Kleidung. Als das Pärchen kurz darauf hinter der Mauer hervortrat, sahen sie leicht verschwitzt aus, blickten sich kurz verstohlen um und dann auf Mel. Abschätzig schaute der Mann auf sie herab. Offenbar stellte sie keine Gefahr dar, also nahmen sie sich unverhohlen im Vorübergehen in den Arm und verschwanden in Richtung ZentralKlinikum. Da der Mann einen weißen Kittel trug, war dies nicht verwunderlich.
Vermutlich ein Arzt, dachte Mel. Langsam, ganz langsam strich der Wind abermals über die Bäume, stupste Blätter und Wipfel an, die sich leicht wiegten und flatterten. Eine idyllische Ruhe umgab Melly Brommer, sie sog die frische Luft ein und die Neugier schlich sich an wie ein Pionier beim Brückenbau.
Was genau haben die Zwei wohl gemacht? Setzte sich in der jungen Frau fest. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus, erhob sie sich, ging um die Mauer herum in den umzäunten, beabsichtigt uneinsichtigen Bereich und erstarrte. Sie sah, eine im Boden verankerte Holzpritsche, einen Mülleimer randvoll mit fleckigen Papiertüchern und an der Mauer befestigt, ein Automat der Firma Rammelsäckchen.
Vermutlich Kottüten für Leute, die ihre Kaninchen ausführen, dachte Melly. Aber all das war nebensächlich und zudem von ihrem christlich, naiven Verstand nicht erfassbar, denn was sie erstarren ließ, war: Ein Kittel. Die Frau hatte ihren Kittel liegen lassen. Unter der Holzpritsche. Mel überlegte kurz, ob sie ihn einfach liegen lassen sollte. Sicherlich würde die Frau gleich zurückkommen und den vermissten Kittel holen. Andererseits… Mel trat vor, bückte sich und hob das Kleidungsstück auf. Langsam verließ sie das Gehege für tierische Aktivität und trat zurück auf die Lichtung. In ihrem Kopf tobte eine Gedankenschlacht. Wie aufregend. Breiter und breiter machte sich eine aufkeimende Idee, fläzte sich auf die große Couch in ihrem Inneren und wartete ab, bis Melly es auch endlich begriff. Und sie begriff: Sie würde den Kittel noch brauchen! Schnurstraks floh Mel mit dem Schwesternkleidungsstück in der Hand zu einer angrenzenden Lichtung, setzte sich kein Wässerchen trübend hin und untersuchte ihre Beute. Keine großartigen Flecken, kein Blut, keine Innereien, die aus den Taschen hingen. Das einzige, was direkt auffiel, war das Namensschild. Es zeigte ein: Rosi Chessnirazckykolnjaluvopetczy. Mel machte ein saures Gesicht, denn der Name war äußerst schwer lesbar, wenn es denn ein Name und keine Krankheit war. Sie tippte auf einen Namen mit 24fachem Rechtschreibfehler. Das Schildchen bestand aus einem Kunststoffplättchen, welches in einer Metallschiene klemmte, die mit einer Sicherheitsnadel an der Brusttasche befestigt war. Unverzüglich hielt sie wieder inne und begann den alten V6-Gedankenmotor zu starten. Und sie überlegte und überlegte und überlegte. Plötzlich purzelte ihr eine Eichel vor die Füße. Austrudelnd drehte sie sich ein paar Mal im Kreis. Mel überlegte und überlegte, angestrengt, kaum in der Lage sich zu rühren. Ein Eichhörnchen kam vom nahen Baum heran gehüpft, sprang todesmutig vor ihre Füße. Sie überlegte weiter und weiter und das Eichhörnchen nahm die Eichel in die beiden winzigen, widerlich behaarten Hände und fixierte sie mit unverhohlener Missachtung. Starre kleine Knopfaugen unter buschigen Brauen. Mel fürchtete sich vor allem, was Fell und Haare hatte. Sie schaffte es gerade noch herunter zu schauen, verbrauchte aber den Rest ihrer Kraft um ihre Überlegungen am Laufen zu halten und sich zu ängstigen. Bewegungsunfähig, wie sie war, musste sie mit ansehen, wie dieser ekelhafte Nager mit überbissigem, diabolischem Grinsen sein großes Geschäft auf ihrem rechten Turnschuh erledigte und sie überlegte und ängstelte herum … Nun putzt sich das Eichhörnchen in eitler Herrlichkeit. Melly Brommers Schnürsenkel würde später, auch nach über 3 Waschgängen, mit einer kleinen, exakt geraden braunen Linie Zeugnis dieser Begebenheit ablegen können. Als es fertig war, amüsierte sich das Eitelhörnchen königlich über dieses hohle Menschengerüst und verschwand, während Mel ihre Angst in Überlegung umwandeln konnte und dann: ZACK!
Da war die Idee, die so lange auf sich hatte warten lassen. Schwere Geburt, aber immerhin. Sie nahm das Namensplättchen aus der Schiene, knickte es ein paar Mal und steckte die Einzelteile wieder zusammen. Lächelnd wie eine Dreijähre, die im Kindergarten einen Plan zur Übernahme von Spielzeug entwickelt hatte, betrachtete sie ihr Werk. Dann presste sie den Kittel an ihre Brust, schaute zum Himmel auf und sprach:
„Dank dir, Herr.“ Von nun an, würde sie D noch näher sein können, denn die Krankenschwester Ronja Chess war geboren.