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4. Die Gesetzesänderungen im Dezember 2015 und ihre Auswirkungen
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Eine im Eilverfahren beschlossene Novelle des Gesetzes über das Verfassungsgericht[174] bildete den zweiten Aspekt der Verfassungskrise:[175] Die Novelle wurde von der Sejm am 22. Dezember 2015 beschlossen, vom Senat zwei Tage später bestätigt und vom Präsidenten der Republik nach den Weihnachtsfeiertagen unterzeichnet, sodass die Gesetzesänderung am 28. Dezember 2015 veröffentlicht werden und in Kraft treten konnte. Ein wesentlicher Aspekt der Novelle lag in Änderungen des Verfahrensrechts des Verfassungsgerichts: So müssen bei Plenarentscheidungen 13 von 15 Richtern anwesend sein,[176] Entscheidungen über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen benötigen einen Konsens von zwei Dritteln der anwesenden Richter[177] und die Fälle müssen in der Reihenfolge ihres Einlangens beim Verfassungsgericht entschieden werden.[178]
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Damit trat die Verfassungskrise in ihre nächste Phase: Das Verfassungsgericht tagte im Januar 2016 im Plenum mit zwölf Richtern und zog weder die drei vereidigten, noch die drei vom alten Parlament gewählten Richter hinzu. Weil es aber damit das Präsenzquorum von 13 Richtern nicht erreichen konnte, beschloss es auf der Basis der verfassungsrechtlichen Rahmenregelungen und des alten Verfahrensrechts die Verfassungsmäßigkeit der Novelle vom 22. Dezember 2015 zu überprüfen.[179] In einer Entscheidung vom 9. März 2016 befand das Verfassungsgericht die Gesetzesnovelle vom 22. Dezember in allen wesentlichen Punkten für verfassungswidrig.[180]
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Nahezu zeitgleich mit diesem Urteil wurde das Gutachten der Venedig-Kommission zu den Gesetzesänderungen veröffentlicht;[181] es kommt praktisch in allen Punkten zu demselben Ergebnis wie das Verfassungsgericht. Interessant ist, dass dieses Gutachten aufgrund eines Ersuchens der polnischen Regierung vom 23. Dezember 2015 erstattet wurde;[182] dies offensichtlich in der Absicht, im Konflikt mit der Europäischen Kommission eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit des eigenen Vorgehens zu erhalten.
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Die Funktionsperiode des Präsidenten des Verfassungsgerichts Andrzej Rzepliński endete am 19. Dezember 2016. Durch ein wenig zuvor beschlossenes und an diesem Tag publiziertes Gesetz wurde dem Staatspräsidenten die Kompetenz zur Bestellung eines interimistischen Präsidenten zugewiesen.[183] Dieses – in dieser Form neu geschaffene – Amt wurde von der im Dezember 2015 zur Verfassungsrichterin ernannten Julia Przyłębska an den beiden Tagen des 20. und 21. Dezember 2016 ausgeübt. Ebenfalls in vorgenanntem Gesetz wurde das der Vollversammlung des Verfassungsgerichts zukommende Vorschlagsrecht für die Stelle des Präsidenten des Verfassungsgerichts[184] in prozeduraler Hinsicht abgeändert.[185] Eine der Übergangsbestimmungen erklärte insbesondere die im – ebenfalls am 19. Dezember 2016 publizierten – neuen Gesetz über das Verfassungsgericht enthaltenen Präsenz- und Konsensquoren im Verfahren über die Ausübung des Vorschlagsrechts für nicht anwendbar.[186] Letztlich erhielt die interimistische Präsidentin Przyłębska 5 Stimmen der – grundsätzlich aus 15 Richtern bestehenden – Vollversammlung, wobei ein Richter (auf Grund der rasch einberufenen Sitzung) noch urlaubsbedingt abwesend war und sich acht Richter ihrer Stimme enthielten. Eine Stimme entfiel auf den Verfassungsrichter Mariusz Muszyński. Am 21. Dezember 2016 ernannte der Staatspräsident Julia Przyłębska zur neuen Präsidentin des Verfassungsgerichts. Diese auch in rechtlicher Perspektive fragwürdige Vorgehensweise führte zur endgültigen Beseitigung der Qualität eines unabhängigen Verfassungsgerichts. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeiten an diesem Beitrag ist nicht absehbar, wie wieder eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen geschaffen werden kann.