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d) Verfassungsgerichte via Verfassungsänderung: Belgien, Luxemburg, Andorra
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Bis zu diesem Zeitpunkt schien es, als ob Verfassungsgerichte in Europa Sache von bisher verfassungsinstabilen oder gar gescheiterten Verfassungsstaaten sei. Die 1980er Jahren sehen dennoch die Einführung der konzentrierten Verfassungskontrolle in einer Zahl europäischer Staaten mit konsolidierter Demokratie. Es handelt sich an erster Stelle um Belgien, gefolgt von Luxemburg und Andorra.
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1980, vor dem Hintergrund eines heftigen parlamentarischen Widerstands auf den zaghaften Versuch der belgischen Cour de cassation, die Normenkontrolle in die eigene Hand zu nehmen,[210] und im Rahmen einer tiefgreifenden Dezentralisierung des Staates, wird in Belgien eine Cour d’arbitrage/Arbitragehof als Instrument einer konzentrierten Normenkontrolle eingeführt.[211] Schon sein Name legt die Hauptaufgabe des Gerichts offen, nämlich die Lösung der territorialen Konflikte legislativer Natur.[212] Dies ist auch seine Kernkompetenz in einer ersten Periode. Die föderale Besonderheit dieses Modells der konzentrierten Normenkontrolle spiegelt sich auch in seiner paritätischen Zusammensetzung wider: er ist zu gleichen Teilen aus Gerichtsmitgliedern der beiden Gebiete Flandern und Wallonien und dabei wiederum zu gleichen Teilen aus Juristen und Parlamentariern zusammengesetzt.[213] Doch das Gericht, das in der Absicht geschaffen wurde, über ein auf die föderalen Aspekte der Verfassung spezialisiertes Fachorgan zu verfügen, zeigt sich von Anfang an entschlossen, auch auf dem Gebiet der Grundrechte aktiv zu sein.[214]
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Seine Kompetenz wird ab 1988 schrittweise auf andere Bereiche entsprechend ausgedehnt. So wird in diesem Jahr seine Zuständigkeit auf Verfassungsbestimmungen ohne Bezug zu territorialen Streitigkeiten erstreckt, insbesondere auf den Gleichheitsgrundsatz (Artikel 10) und das Diskriminierungsverbot (Artikel 11). Auf dieser Grundlage und mit Hilfe einer originellen sogenannten Kombinationsmethode, wonach jede Verletzung eines Grundrechts gleichzeitig als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot angesehen wird, dehnt die Cour d’arbitrage ihre Funktion auf die Gewährleistung aller Grundrechte aus. Diese Rechtsprechung wird durch die Verfassungsreform von 2003 formal anerkannt, indem die Zuständigkeit des Gerichtshofs auf Titel II der Verfassung (Grundrechte) erstreckt wird.[215] 2007 endlich wird diese Wandlung des ursprünglichen Modells durch eine entsprechende Namensänderung des Gerichts (Cour constitutionnelle/Grondwettelijk) anerkannt.
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Als weitere Beispiele der Einführung der konzentrierten Normenkontrolle in stabilen Demokratien sollen hier auch die Fälle von Luxemburg (1996) und Andorra (1993) Erwähnung finden. In Luxemburg findet die Einführung eines Verfassungsgerichts anlässlich einer Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit statt.[216] Alle Richterinnen und Richter des luxemburgischen Verfassungsgerichts sind gleichzeitig aktive Richterinnen und Richter in den Höchsten Gerichten des Großherzogtums; das Verfassungsgericht übt eine ausschließlich konkrete oder inzidente Normenkontrolle aus, die darüber hinaus nur die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung feststellt, während dessen Aufhebung dem Gesetzgeber selbst obliegt.[217]
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Das Zustandekommen des Verfassungsgerichts in Andorra erfolgte 1993 im Rahmen der Verabschiedung einer neuen Verfassung für das Fürstentum. In seiner Ausgestaltung ist der Einfluss der spanischen Verfassung von 1978 deutlich sichtbar, so dass es fast wie ein Miniaturmodell des spanischen Verfassungsgerichts anmutet.[218]