Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica Claes - Страница 57

aa) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Оглавление

155

Für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist das Jahr 1998 mit dem Inkrafttreten von Protokoll Nr. 11 zur EMRK von entscheidender Bedeutung. Durch dieses Protokoll wird die Individualbeschwerde zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die die wesentliche Aufgabe des Gerichtshofs ausmacht, durch zwei wichtige Änderungen gestärkt. Einerseits wurde es für die Staaten verbindlich, die Zuständigkeit des EGMR zur Entscheidung über Individualbeschwerden anzuerkennen. Andererseits wurde dessen Architektur durch die Abschaffung der Kommission vereinfacht, so dass die Individualbeschwerden nun direkt vor den Gerichtshof gebracht werden konnten. Das hat dazu geführt, dass der europäische Kontinentalraum, um sich der Sprache der Verfassungsgerichtsbarkeit zu bedienen, über eine Bürgergerichtsbarkeit verfügt, die, in Verbindung mit dem Gebot der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe und abgesehen vom theoretisch deklarativen Charakter seiner Urteile, prinzipiell als Urteilsverfassungsbeschwerde fungiert.[272]

156

Seitdem ist die Verwendung des Begriffs „Verfassungsgerichtshof“ in Bezug auf den EGMR immer häufiger geworden.[273] „Verfassungsrecht“, das wäre die Idee, kann ohne Bezug auf ein politisches Gemeinwesen entstehen. Es reicht, wie es hier der Fall ist, wenn Inhalt und Reichweite der nationalen Grundrechte im Laufe einer Entwicklung, bei der die Rechte der Konvention kontinuierlich an Quantität und Qualität zugenommen haben, durch die Judikate des EGMR weitgehend verbindlich bestimmt werden. In dieser Beziehung ist der Umstand, dass die Konventionsrechte nur einen Minimalstandard darstellen, praktisch belanglos geworden. Die nationalen Verfassungsgerichte sind dementsprechend nicht mehr die letzte Instanz in diesem für sie identitätsstiftenden Bereich. Das gilt alles, ohne die allgemeine Frage des gegebenenfalls bestehenden nationalen Vorrangs völkerrechtlicher Verträge, die EMRK selbstverständlich eingeschlossen, gegenüber Parlamentsgesetzen mit einzubeziehen: So kann das Verwerfungsmonopol des jeweiligen Verfassungsgerichts im Wege einer diffusen contrôle de conventionnalité verlorengehen.[274]

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх