Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica Claes - Страница 54
cc) Tschechien
Оглавление147
Aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive erscheint die heutige Tschechische Republik zusammen mit der ehemaligen Tschechoslowakei als ein Musterfall der Treue zur Idee der konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit. Sie war nicht nur, wie erwähnt, das erste Beispiel der konzentrierten Normenkontrolle (1920–1938). Andere – allerdings gescheiterte – Versuche ihrer Wiedereinführung folgten bis zur jetzigen Verfassung: So, und das betrifft immer noch die Tschechoslowakei, in den wenigen Jahren der noch rechtsstaatlichen Republik der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945–1948), 1965 unter dem sozialistischen Einparteien-Regime,[264] 1968 während des „Prager Frühlings“[265] und noch nach der Wende vor dem Untergang der Tschechoslowakei als Staat, diesmal mit einem Verfassungsgericht mit paritätischer territorialer Zusammensetzung.
148
Seit dem Jahr 1993 und ungeachtet einiger Besonderheiten verfügt Tschechien heute über ein Verfassungsgericht in bester europäischer Tradition.[266] Nach ersichtlich nordamerikanischem Muster werden alle 15 Richter alle neun Jahre vom Präsidenten der Republik und mit Zustimmung des Senats ernannt, von denen der Präsident der Republik den Präsidenten und die beiden Vizepräsidenten des Gerichts frei ernennt. Diese zeitliche Strukturierung des Gerichts hat dazu geführt, dass die Perioden der Entwicklung des Gerichts nach dem jeweiligen Präsidenten der Republik, der für die jeweilige Zusammensetzung des Gerichts verantwortlich war, bezeichnet werden: So wird innerhalb des hier untersuchten Zeitraums von einem „Havel-Gericht“ (1993–2002) und einem „Klaus-Gericht“ (2003–2012) – jedes mit seiner eigenen Dynamik – gesprochen. Funktional liegt der Schwerpunkt der tschechischen Verfassungsgerichtsbarkeit in der abstrakten und konkreten Normenkontrolle,[267] hinzu kommt eine Gerichtsurteile allerdings ausschließende Verfassungsbeschwerde.
149
Obwohl gelegentlich vorhanden, erreicht die Judikatur des tschechischen Verfassungsgerichts bei weitem nicht den Aktivismus der beiden vorher dargestellten nationalen Fälle. Erwähnenswert ist hierzu jedoch die Rechtssache Melcák.[268] In diesem Fall zögerte der Gerichtshof nicht, die Verfassungswidrigkeit einer Verfassungsänderung festzustellen, die eine unmittelbar wirkende Verkürzung der laufenden Legislaturperiode verfügte. Das Verfassungsgericht argumentierte, dass eine einmalige Verkürzung der Legislaturperiode den grundlegenden Anforderungen des Rechtsstaates zuwiderlaufe,[269] und nicht einmal im Wege der Verfassungsänderung erfolgen könnte.