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Priorisierung

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Es herrscht kein internationaler Konsens darüber, was die wichtigsten Probleme auf der Welt sind, aber es gibt zumindest studienbasierte Auflistungen zu einigen der größten Probleme sowie evidenzgesteuerte Konzepte, mit denen sehr effektive Maßnahmen zur Lösung von Problemen von weniger effektiven unterschieden werden können. Organisationen wie das britische Centre for Effective Altruism (CEA) schlagen dabei ein Drei-Faktoren-Modell zur Entscheidungshilfe vor, mit dem man rational begründet entscheiden kann, welchen Problemen in der Welt man sich bevorzugt widmen soll. Der effektive Altruismus ist sowohl eine Philosophie als auch eine soziale Bewegung, die darauf abzielt, die beschränkten Ressourcen Zeit und Geld optimal einzusetzen, um das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern.1 Es ist also die Leitidee, dass man seine zeitlichen und finanziellen Kapazitäten nicht willkürlich in irgendwelche sozialen Projekte steckt, sondern in jene, die am meisten positive Veränderung in der Welt bringen können. Abbildung 9 illustriert dieses Drei-Faktoren-Modell. Es bezieht die Ebenen der Bedeutung des Problems (= Wichtigkeit/Ausmaß), das Maß des (Nicht-)Bewusstseins über das Problem (= Grad der Vernachlässigung) sowie die Möglichkeit der eigenen Einflussnahme auf das Problem (= Steuerbarkeit/Lösbarkeit) in die Betrachtung mit ein.

Die mit der weltweiten industriellen »Nutztierhaltung« einhergehenden Probleme erreichen, wie nachfolgend dargestellt wird, große Ausmaße. Sie sind zwar in wissenschaftlichen Publikationen gut belegt, jedoch der Allgemeinbevölkerung noch nicht ausreichend bewusst. Daher wird die pflanzenbasierte Ernährungsweise als effektiver Lösungsansatz noch immer stark vernachlässigt. Im Gegensatz zu vielen anderen Problemen, die wir durch unsere alltäglichen Konsumentscheidungen nicht maßgeblich beeinflussen können, haben wir in Bezug auf unsere Ernährung allerdings mit jeder Mahlzeit die Möglichkeit, ein Teil einer positiven Veränderung zu werden. Somit erfüllt die Auseinandersetzung mit ernährungsbezogenen Problemen alle drei Faktoren des Modells. Wie Abbildung 9 außerdem zeigt, ist die weltweite »Nutztierhaltung« ein enormer Einflussfaktor hinsichtlich der Emission von Treibhausgasen, der Regenwaldabholzung, des Flächenverbrauchs, der Nahrungsressourcenverschwendung, des Verlusts der Biodiversität, der Überfischung der Meere, des Risikos für das Auftreten von Antibiotikaresistenzen sowie der Entstehung und Verbreitung neuartiger Zoonosen.

Abb. 9: Entscheidungshilfe für effektiven Altruismus und Auswirkungen der weltweiten »Nutztierhaltung«2

Drei-Faktoren-Modell zur Schwerpunktsbereichsetzung für effektiven Altruismus


Die weltweite »Nutztierhaltung« verursacht bzw. verbraucht:

Klimawandel: 12–18 % aller Treibhausgasemissionen3,4

Regenwaldabholzung: 70–80 % der Amazonas-Regenwald-Abholzungen5

Flächenverbrauch: 30–33 % der weltweiten Landfläche6,7 70–80 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche8,9

Lebensmittelverbrauch: 36–46 % der weltweiten Ernte10,11

Artensterben: ≈ 30 % des menschenverschuldeten Artensterbens12

Überfischung: ≈ 33 % der Fischpopulationen sind überfischt13

Antibiotikagabe: 70–80 % aller eingesetzten Antibiotika14

Zoonosenrisiko: 60–75 % aller humanpathogenen Erreger15,16

Die weltweit größte Ernährungsfachgesellschaft – die Academy of Nutrition and Dietetics – schreibt zu den ökologischen Auswirkungen von pflanzenbasierten Ernährungsformen wie der vegetarischen und veganen Ernährung:

»Pflanzenbasierte Ernährungsformen sind umweltfreundlicher als Ernährungsweisen mit einem großen Anteil an tierischen Produkten, weil sie weniger Ressourcen verbrauchen und somit weniger Umweltschäden verursachen.«17

Abb. 10: Top-10-Gefahren für die Weltgesundheit im Jahr 201918

World Health Organization

1.Luftverschmutzung und Klimawandel
2.Nicht-übertragbare Krankheiten
3.Globale Influenzapandemie
4.Fragile und vulnerable Umgebungen
5.Antibiotikaresistenzen
6.Ebola und andere Hochrisiko-Pathogene
7.Schwache medizinische Grundversorgung
8.Impfverweigerung
9.Dengue-Fieber
10. HIV

rot = von der »Nutztierhaltung« negativ beeinflusst

Wenn man einen Blick auf die »Ten threats to global health in 2019« (Zehn Gefahren für die Weltgesundheit in 2019) der World Health Organization (WHO) in Abbildung 10 wirft, wird ebenfalls deutlich, dass die weltweite industrielle »Nutztierhaltung« (inklusive Wildtiermärkten sowie der Tierhaltung für Tierversuche) auf mindestens drei der Top-10-Gefahren einen bedeutenden Einfluss ausübt.19 Auch wenn sich der Veganismus im Kern als eine tierethische Bewegung versteht und der komplette Verzicht auf tierische Produkte primär aus ethischen Motiven zu begründen ist, stellt andererseits der überbordende Hunger der wachsenden Weltbevölkerung auf tierische Produkte eine enorme Gefahr für die Weltgesundheit dar. Demnach haben viele Bestrebungen des Veganismus auch positive ökologische und gesundheitliche »Nebeneffekte«.

Auf Platz 1 der WHO-Liste stehen Luftverschmutzung und Klimawandel. Laut der Food and Agriculture Organisation of the United Nations (FAO) und weiteren Hochrechnungen von Wissenschaftler*innen sind die weltweiten Treibhausgasemissionen aus der »Nutztierhaltung« mit 12 bis 18 % sogar ähnlich hoch oder höher als die Treibhausgasemissionen aus dem gesamten weltweiten Transportsektor.20,21 Somit hat der globale Fleischhunger einen entscheidenden Einfluss auf den Klimawandel. Die Bestrebungen von vegan lebenden Menschen zur Reduzierung des Konsums tierischer Lebensmittel haben somit nicht nur tierethische, sondern auch ökologische Relevanz.

Platz 5 belegen die Gefahren, die von Antibiotikaresistenzen ausgehen. Jährlich sterben etwa 1,6 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Keimen. Wie die WHO selbst in ihrer Veröffentlichung betont, ist einer der relevantesten Gründe für das Auftreten von Antibiotikaresistenzen neben der überhöhten bzw. unsachgemäßen Einnahme von Antibiotika beim Menschen die willkürliche und übermäßige Gabe von Antibiotika in der »Nutztierhaltung«.22 Weltweit werden ganze 70 bis 80 % der Antibiotika nicht in der Humanmedizin, sondern in der Tierhaltung angewendet.23 Somit riskieren wir, einen der bedeutendsten medizinischen Meilensteine des letzten Jahrhunderts aufgrund des unstillbaren Verlangens nach möglichst viel billigem Fleisch einzubüßen.

Auf Platz 6 der WHO-Liste landet schließlich die weltweite Gesundheitsgefahr durch Ebola und andere humanpathogene Zoonosen. Zoonosen bezeichnen Infektionskrankheiten, die von Bakterien, Parasiten, Pilzen, Prionen oder Viren verursacht und wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können.24 Ebolaviren sind die Auslöser der Ebolafieber-Epidemien, die zwischen 2014 bis 2016 in Westafrika auftraten und in Einzelfällen zu Ebolafieber-Erkrankungen in den USA, Spanien, Italien und Großbritannien führten.25 Laut der WHO überträgt sich das Virus auf den Menschen durch den Kontakt mit infizierten Wildtieren.26 Eine gängige Art solcher Kontakte stellt dabei in Afrika der Verzehr von Wildtieren (»Buschfleisch«) dar.27 Ein mit dem Ebolavirus verwandtes Virus wurde darüber hinaus in den 1960ern über Affen nach Deutschland eingeschleppt, die als Versuchstiere aus Uganda eingeflogen wurden.28 Die ersten COVID-19-Fälle sind zwar nach aktuellem Kenntnisstand auf einen Wildtiermarkt in Wuhan in China zurückzuführen,29 aber zahlreiche weitere Zoonosen wie Geflügelgrippe oder Rinderwahn entstammen der industriellen »Nutztierhaltung«.30 Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass etwa 60 bis 75 % aller humanpathogenen Erreger aus der »Nutztierhaltung« stammen.31,32 So hieß es in einem Editorial des American Journal of Public Health im Jahr 2007 bezüglich des Zoonosenrisikos: »Diejenigen, die Tierprodukte konsumieren, schaden damit nicht nur den Tieren und gefährden sich selbst, sondern sie bedrohen damit auch das Wohlergehen anderer Menschen, die heute oder in der Zukunft auf unserem Planeten leben.«33 All diese Szenarien wären in einer Welt ohne (industrielle) »Nutztierhaltung« zwar nicht gänzlich verschwunden, aber das Risiko wäre bedeutend geringer.34

Somit lässt sich sagen, dass die Bestrebungen der veganen Bewegung durchaus als Multi-Problemlöser (in Kombinationen mit anderen wichtigen Interventionen) fungieren und Tierrechte, Umweltschutz und die Weltgesundheit bedeutend positiv beeinflussen können. Außerdem bedeutet eine vegane Ernährung nicht, dass man nicht auch noch zusätzlich andere Dinge tun kann, um zu versuchen, die Welt ein weiteres Stück zu verbessern.

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