Читать книгу Erwärmung und Wohlstand oder Abkühlung und Verfall - Norbert Buchner - Страница 31
Umsturz in Cayönü als Folge eines Einbruchs von Kälte und Trockenheit
ОглавлениеCayönü in Südostanatolien ist eine bedeutende archäologische Fundstätte in Obermesopotamien am Rand des Taurus-Gebirges, etwa 40 km von Diyarbakir in der Türkei entfernt. Der Ort ist in einer Klimagunstphase mit hoher Feuchtigkeit zwischen 10 800 und 10 500 v.h. (vgl.Abb. 9) als Dauersiedlung von Jägern und Sammlern gegründet worden und die Siedlung durchlief während ihres langen Bestehens von fast vier Jahrtausenden mehrere Kultur- und Bebauungsstufen.
Abb. 11 Temperatur auf der Erde (10 000 – 8 000 v.h.) (rekonstruiert aus Eisbohrkern GISP2-Grönland)
Um 10 000 v.h., in der Periode, in welcher in Hallan Cemi erstmals Schweine gehalten wurden, tritt in Cayöny plötzlich das erste kultivierte Getreide auf. Der Getreideanbau ist hier also in einer Phase eines Klimarückfalls in Abkühlung und Trockenheit aufgenommen worden (vgl. Abb. 9, 10 und 11)! Ganz offensichtlich zeigt sich hier eine Parallele zum frühen Abu Hureyra am mittleren Euphrat, wo man in einer Periode von Kälte und Unfruchtbarkeit als Überlebensstrategie Zuflucht beim Anbau von Getreide gesucht hat. Die Jäger und Sammler von Cayönü, Hallan Cemi und von Göbekli Tepe haben aber sehr gegensätzlich auf die Herausforderungen eines schwieriger gewordenen Klimas reagiert: in Göbekli Tepe haben die Menschen kapituliert und ihr Heiligtum aufgegeben; in Hallan Cemi hingegen haben sie Zuflucht bei der Tierzucht und in Cayönü beim Ackerbau gesucht und gefunden!
In einer jüngeren Siedlungsschicht um 9500 v.h. befand sich neben Wohn- und Vorratsgebäuden im Nordteil der Siedlung ein zentraler etwa hundert Quadratmeter großer fensterloser Bau, teilweise in den Berg eingelassen, offensichtlich ein Tempel, mit einem riesigem Vorplatz, der von Monolithen bis zu 2 Meter Höhe gesäumt war. Der Platz wurde abgeschlossen von drei großen herrschaftlichen Häusern mit gleicher Fassade und Ausrichtung und gleichem Abstand. Sie standen auf einem erhöhten Podest auf massiven Fundamenten und besaßen sorgfältig gemauerte Wände, eine Veranda und steinerne Treppen. In diesen drei Häusern konzentrierte sich der gesellschaftliche Reichtum des Ortes: Blöcke aus Bergkristall, Steinskulpturen, Muscheln aus dem Mittelmeer und aus dem Roten Meer sowie importierte Waffen. Der westliche Teil der Siedlung hingegen war von einer eher ärmlichen Bebauung geprägt. Dort wurden nur die wenigen Werkzeuge gefunden, die zum täglichen Arbeiten und Leben notwendig waren. Es zeigt sich also eine sehr ungleiche Verteilung von Besitz und Macht in Cayönü. Auch sämtliche Rohstoffe, die zur Herstellung der Werkzeuge notwendig waren – Feuerstein und Obsidian – fanden sich ausschließlich in den vornehmen Häusern beim Tempel. Was man hier aber nicht fand, das waren Spuren einer produktiven Tätigkeit! Genau entgegengesetzt war die Situation in den Vierteln im Westen: hier lagen Berge von Abfall aus der Bearbeitung von Feuerstein und Obsidian. Es gab also offensichtlich eine kleine Gruppe von Menschen, die besaß ohne zu arbeiten und eine große Gruppe, die arbeitete ohne merklich zu besitzen.
Ein Gemeinschaftsgebäude der Siedlung war in dieser Entwicklungsphase der Gesellschaften in Ostanatolien nichts Ungewöhnliches. Das teilweise in den Berg eingelassene Gebäude diente aber vermutlich auch der Aufrechterhaltung der Macht in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft! Hier ist viel Opferblut geflossen, das noch in Krusten von den Ausgräbern an Dolchen und Opfersteinen gefunden wurde. Nach hinten schlossen sich Kammern an, in welchen die Schädel von über 70 Menschen und Skelettteile von mehr als 400 verschiedenen Individuen lagen.
Nach 9500 v.h. war die Temperatur in ein tiefes Minimum gefallen (Abb. 11) und, just als sie zur Wiedererholung angesetzt hatte, brach um 9430 v.h. der chilenische Vulkan Chaiten aus. Das bedeutete ein noch tieferes Minimum der Temperatur und es brachte wohl auch große wirtschaftliche Nöte mit sich! In Cayönü führte es zu einem Umsturz und zu einem Umbruch zu einem völlig anderen Klassensystem. Die herrschaftlichen Häuser an der Nordseite des großen Platzes brannten so schnell nieder, dass die Besitzer ihre Schätze nicht mehr retten konnten. Das Ritualgebäude wurde abgerissen, die Steinsäulen um den freien Platz niedergelegt und die größeren zerschlagen. Es muss sich ein gewaltiger Zorn der Einwohner entladen haben! Offensichtlich wurden hier die Wirren der Französischen Revolution schon vorweggenommen! Der Platz selbst – über lange Zeit hinweg gepflegt – wurde zur Müllhalde!
Nach einer kurzen chaotischen Übergangszeit entstand nur wenige Schritte von den Ruinen der Herrschaftshäuser entfernt das neue Cayönü. Die Häuser waren nun größer und es wurde in allen Häusern produziert: es scheint nun eine mehr egalitäre Gesellschaft entstanden zu sein!
Zum Umsturz in Cayönü konnte der Grabungsleiter, Mehmet Özdogan, eine Invasion fremder Völker, Krieg und Seuchen als Ursache ausschließen. Der einzige Grund dieser Veränderung kann nur ein sozialer Umbruch gewesen sein. Ganz offensichtlich waren große wirtschaftliche Nöte infolge eines starken Klimaeinbruchs in einer schon von schlechtem Wetter geprägten langen Zeit der Auslöser. Lit. 8.3