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Ederhof (1993/94)

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Weihnachten 1993 verbrachte ich also zu Hause. Mein Bauch war immer noch nicht ganz zugewachsen; ich konnte die immer kleiner werdende Wunde jetzt selber spülen und verbinden. Es sah sehr wild aus. Einen Schönheitspreis würde ich damit nicht mehr gewinnen. Ich mußte außerdem Unmengen an Medikamenten in mich reinstopfen: Cortison und Immunsuppressiva gegen die Abstoßung der neuen Leber, dazu noch diverse andere Mittelchen.

Im Januar war es dann so weit. Meine Eltern fuhren mich nach Lienz in Osttirol zur 6-wöchigen Reha. Der Ederhof wurde 1992 von Ina und Rudolf Pichlmayr gegründet und war früher ein Bergbauernhof. Das Team des Ederhofs kümmerte sich sehr herzlich um jeden einzelnen Patienten. Wir unternahmen viel zusammen und man wurde auf das Leben mit dem neuen Organ vorbereitet. Die 3 Monate im Krankenhaus hatten bei mir Spuren hinterlassen. Ich war in einer depressiven Grundstimmung, weil ich mir nicht vorstellen konnte, je wieder Fuß zu fassen in der Gesellschaft. 4 Jahre Einzelkampf in der Drogenszene waren nicht spurlos an mir vorübergegangen. Die meisten meiner Mitpatienten waren vor ihrer Transplantation schon längere Zeit krank gewesen, sie waren vorbereitet auf ihre Transplantation, sie hatten sie regelrecht herbeigesehnt, um endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Ich jedoch habe meine Gesundheit durch meinen extremen Drogenkonsum weggeworfen und einen hohen Preis dafür bezahlt. Andererseits bin ich mir heute sicher, dass ich es ohne die Lebertransplantation nicht geschafft hätte, von den harten Drogen loszukommen. Ich wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie so oft damals, wieder rückfällig geworden, was ich ja selbst mit der neuen Leber nochmal wurde, aber dazu später mehr.


In der ersten Woche im Ederhof war erst mal Ankommen angesagt. Ich war schon immer ziemlich introvertiert und zurückhaltend, hatte Probleme, auf andere Menschen zuzugehen, sicher auch bedingt durch meine Vita. Zum Glück kannte ich zwei Frauen, die zur gleichen Zeit wie ich in der MHH transplantiert wurden. Wir unternahmen also einiges zusammen und es entwickelte sich etwas mehr als Freundschaft zwischen mir und einer der beiden.

Nachdem mein Liebesleben in den letzten 4 Jahren komplett auf Eis lag, meine ganze Liebe galt während derer ja den Drogen, war ich ziemlich unbedarft im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Das sollte auch noch ein paar Jahre so weitergehen, denn ich war ein emotionaler Krüppel, der die letzten Jahre nur an sich gedacht hatte. Die Beziehungen, die ich, als ich 16 Jahre alt war, hatte, scheiterten ziemlich schnell aufgrund meines Drogenkonsums oder den Umständen, die damit einhergingen.


Es war Januar, in den Lienzer Bergen lag Schnee und die Sonne strahlte von einem azurblauen Himmel. Die Höhenluft sorgte dafür, dass sich auch mein Appetit wieder einstellte, und wir nahmen das ein oder andere Sonnenbad, gut eingepackt in dicken Klamotten. Die 6 Wochen näherten sich dem Ende, meine Eltern sind nach der 5. Woche wieder nach Lienz gekommen und wollten noch eine Woche urlauben, bevor sie mich wieder mit nach Hause nahmen. Diesen Urlaub hatten sie sich auch verdient, nachdem sie soviel mit mir mitmachen mussten. Mein Leben hing während der Transplantation ja das ein oder andere Mal am seidenen Faden.

Es näherte sich das Ende meines Reha-Aufenthalts, ich hatte mein Gewicht von 50 auf 56 Kilo geschraubt und hatte eine Freundin, die zwar am Bodensee wohnte, aber egal – immerhin ein Anfang. Wir verabschiedeten uns und planten natürlich ein Treffen; sie wollte mich in Hannover besuchen.


So schön das alles war, jetzt stand ich vor der nächsten großen Herausforderung. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich mit der Transplantation auch meine Sucht erledigt hätte, aber mir wurde klar, dass es jetzt erst richtig schwer werden würde. Ich wohnte wieder bei meinen Eltern in der alten Umgebung, wo sämtliche Drogenkumpels noch unterwegs waren. Das musste sich schnellstens ändern. Ich war 24 Jahre alt, wollte so schnell wie möglich eine eigene Wohnung und musste mich langsam auch mal beruflich orientieren. Alle meine Freunde aus Abiturzeiten hatten natürlich schon was erreicht, was mich im Vergleich zu ihnen minderwertig erschienen ließ.

Meine „Freundin“ vom Bodensee besuchte mich in Hannover und es war mir mega-peinlich. Ich hatte nur ein Minizimmer in der 3-Zimmer-Wohnung meiner Eltern, das man durchs Wohnzimmer erreichte. Vorher hatten wir 2 Wohnungen auf einer Etage in einem Mehrfamilienhaus, eine 2- und eben die 3-Zimmer Wohnung, die zusammenhingen dank eines Mauerdurchbruchs. Zu meinem 17. Geburtstag wurde der Durchbruch wieder geschlossen und ich hatte meine erste eigene Wohnung, zwar neben der Wohnung meiner Eltern, aber egal – es war meine Wohnung! Als meine Sucht später immer schlimmer wurde und ich kaum noch zu Hause auftauchte, mussten meine Eltern die Wohnung aufgeben, und sie wurde anderweitig vermietet.

Als wäre mir das Minizimmer nicht schon peinlich genug gewesen, hatten meine Eltern an dem Abend Besuch und feierten feuchtfröhlich. Augen zu und durch. Mein Besuch und ich hörten beinah alles aus dem Nebenzimmer und es war total peinlich. An Fummeln oder Sex war natürlich auch nicht zu denken, wenn nur zwei Meter entfernt und nur getrennt von einer dünnen Wand die eigenen Eltern mit Gästen Party machen. Egal. Irgendwie überstand ich dieses peinliche Szenario und mein Besuch verschwand am nächsten Tag wieder Richtung Bodensee. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass das unser letztes Zusammentreffen war. Es wurde Zeit für Arbeit und eine eigene Wohnung.

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