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Rückblende (1969 – 1982)

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Am 8. April 1969 wurde ich in Hannovers Stadtteil Linden-Süd, einem Stadtteil mit hohem Gastarbeiteranteil, wie man damals sagte, nach einer schwierigen Steißgeburt geboren. Im Nachhinein betrachtet war das wohl schon ein kleiner Wink des Schicksals. Selbst am Tag meiner Geburt musste ich schon von der Norm abweichen. Wer kommt denn schon verkehrt herum auf die Welt? Laut Statistik nur drei Prozent aller Geburten. Aber das war noch nicht alles. Meine Hüftgelenke mussten aufgrund einer Fehlstellung sehr früh operativ umgestellt werden. Nach dieser OP lag ich ein knappes halbes Jahr im Gipsbett, bevor ich dann im Kindergarten und in der Vorschule oft zur Krankengymnastik musste und lange Zeit mit einer vorsintflutlichen Metallschiene zur Stabilisierung der Hüfte herumlief. Das war kein Geschenk für so einen labilen und sensiblen kleinen Jungen, der ich damals war. Kinder können grausam sein, wenn andere Kinder anders sind. Mein Selbstvertrauen litt sehr unter dieser Geschichte.

Als ich 1976 eingeschult wurde, war ich meine Schiene los, musste aber noch weiter zur Krankengymnastik. Ich war ein guter Schüler, hatte jedoch Konzentrationsprobleme und spielte oft den Klassenclown. Zu Beginn der 4. Klasse musste ich auch des Öfteren die Klasse wechseln, da ich ständig den Unterricht störte. Auch verabredete ich mich immer wieder zu Prügeleien nach Schulschluss, die mal so und mal so ausgingen.

Meine Eltern, zu denen ich heute ein sehr gutes Verhältnis habe, waren ziemlich jung, als sie mich bekamen, meine Mutter 21 Jahre, mein Vater 23. Für die Zeit damals aber ganz normal. Meine Mutter arbeitete als Friseurin und Vorarbeiterin in einer Reinigungsfirma, mein alter Herr als Dachdecker. Er spielte recht erfolgreich Fußball im Verein, und wir verbrachten die Wochenenden während meiner Kindheit oft auf dem Fußballplatz oder im Vereinsheim. Alkohol floss dabei immer in rauen Mengen, sowohl im Verein als auch bei Partys zu Hause oder bei der Verwandtschaft. Es waren halt die wilden Siebziger. Im Nachhinein betrachtet war das alles nicht so prickelnd für meine Sozialisation. Auch meine Affinität zum Glücksspiel, später dann zu den Sportwetten, wurde hier geweckt. Denn während meine Eltern Siege feierten oder Niederlagen ertränkten, stand ich am Flipper oder durfte auch mal einen „Heiermann“ in den Geldautomaten stecken, um dann beim ersten Mal gleich eine Serie zu gewinnen.

Meine Eltern stritten sich früher häufig zu Hause, besonders, wenn sie was getrunken hatten. Teilweise so schlimm, dass Sachen flogen und auch mal Handgreiflichkeiten im Spiel waren. Für so einen harmoniebedürftigen Jungen, der ich damals war, war das ziemlich schlimm. Meiner Meinung nach waren meine Eltern damals zu jung, um ein Kind zu bekommen und zu wissen, welche Verantwortung damit einhergeht. Für mich war das übrigens immer ein Grund, keine Kinder in die Welt zu setzen. Ich habe viele Jahre große Probleme damit gehabt, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. Wie sollte ich es dann schaffen, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen?

Nach der Orientierungsstufe erhielt ich eine Empfehlung fürs Gymnasium, wo sich meine Leistungen im Mittelmaß einpendelten. Ich fing an, im Schwimmverein, in dem mein Cousin Wasserball spielte, zu schwimmen. Die Krankengymnasten meinten, es wäre gut für meine Hüftgelenke, und so schwamm ich ein Jahr lang 2-mal die Woche. Irgendwann wurde es mir zu langweilig, immer nur Bahnen zu ziehen. Idealerweise war ein Freund meines Vaters gerade dabei, eine Jugendwasserballmannschaft aufzubauen, und ich wurde ein Teil dieser Mannschaft.

Eine große Liebe meiner Kindheit, die später durch das Wirken Martin Kinds und die immer stärker werdende Eventisierung des Fußballs sehr abkühlte, war Hannover 96. Schon sehr früh nahmen mich meine Eltern damals mit ins Niedersachsenstadion. Mit 11 Jahren stand ich dann bereits allein in der Fankurve, wo ein Mitglied der „Roten Wölfe“ auf mich aufmerksam wurde. Sie trafen sich vor den Spielen immer in einer Kneipe am Schwarzen Bären in Linden, und sie bräuchten noch so eine Art Maskottchen für ihre Truppe. Einerseits erfüllte mich das mit Stolz, andererseits hatte ein Maskottchen für mich immer was Süßes, Niedliches, und das wollte ich nun überhaupt nicht sein. Egal, ich hatte meinen Platz gefunden.

Den Höhepunkt meiner damals noch jungen Fanlaufbahn stellte ein Spiel gegen Schalke 04 im April 1982 dar. Ich hatte damals natürlich eine Kutte, so wie jeder vernünftige Fan, der was auf sich hielt. 96 spielte damals in der 2. Liga und das Stadion war brechend voll. Die Roten verloren 0:1 durch ein Tor von Abramczyk. An dem Tag kletterte ich vor dem Spiel über den Zaun auf das Spielfeld, rannte unter großem Gejohle der 52.000 Zuschauer zum Anstoßkreis, legte meine Kutte auf den Punkt und fing an zum Fußballgott zu beten. Ein beliebtes Ritual in den Bundesligastadien damals. Zu der Zeit wurde bei Flitzern noch nicht so ein Aufriss gemacht wie heute. Ich wurde lediglich vom Platz gebeten, sollte wieder über den Zaun zurück auf meinen angestammten Platz. Das war eine große Sache für mich und ließ mich beinah vor Stolz platzen.

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