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1. Das Wesen der Pflichtverteidigung

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Das Institut der Pflichtverteidigung dient nach der Rspr. des BVerfG der Durchführung eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens, zu welchem auch die Gewährleistung einer effektiven, sachgerechten Verteidigung gehört. Es soll dem Angeklagten – zumindest in bestimmten schweren oder komplizierten Sachen – den Beistand eines Verteidigers sichern und ihn dadurch befähigen, seine Verfahrensrechte sachgemäß wahrzunehmen und hierdurch auf den Lauf und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen zu können. Die Pflichtverteidigung hat also die Aufgabe, die Subjektstellung des Angeklagten zu stärken.[1]

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Die Pflichtverteidigung unterscheidet sich zunächst hinsichtlich der Begründung des Mandatsverhältnisses vom Mandat des Wahlverteidigers. Der Wahlverteidiger schließt mit seinem Mandanten einen privatrechtlichen Dienstvertrag. Der Pflichtverteidiger wird Verteidiger aufgrund eines hoheitlichen Bestellungsaktes. Die Bestellung zum Verteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sie erfolgt im öffentlichen Interesse daran, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen die Verteidigung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens notwendig ist, rechtskundigen Beistand erhält.[2] Der gerichtlich bestellte Verteidiger muss die Verteidigung übernehmen, § 49 BRAO. Nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Beiordnung beantragen, § 49 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO. Er hat die Verteidigung in sachgerechter Weise zu führen; und zwar in eigener Person. Er muss daher selbst ununterbrochen an der Hauptverhandlung teilnehmen und darf keine Untervollmacht erteilen. Allerdings kann für den Pflichtverteidiger dessen gem. § 53 BRAO bestellter Vertreter auftreten. Im Übrigen hat der Pflichtverteidiger dieselben Aufgaben wie der Wahlverteidiger.[3]

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Zwar dient die Pflichtverteidigung auch der Sicherung eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Pflichtverteidiger seine Verteidigungsaktivitäten an tatsächlichen oder aus Sicht der Strafjustiz vermeintlichen öffentlichen Interessen auszurichten hat oder ausrichten darf. Er ist vor allem kein Garant für ein schnelles und konfliktfreies Verfahren, von der Politik und der Rechtsprechung auch gern beschönigend als „effektiv“ oder – weniger verschleiernd – als „reibungslos“[4] deklariert. Die Pflichtverteidigung dient nicht als „Trojanisches Pferd“ der Durchsetzung des Interesses der Strafjustiz an einem „kurzen Prozess“. Das einzige öffentliche Interesse, welches der zum Pflichtverteidiger bestellte Anwalt zu berücksichtigen hat, ist dasjenige, dass der Angeklagte in Fällen der notwendigen Verteidigung den erforderlichen professionellen Beistand eines Strafverteidigers erhält. Wie der Verteidiger die Verteidigung führt, entscheidet er eigenverantwortlich, möglichst im Einklang mit dem Angeklagten und allein ausgerichtet an dessen wohlverstandenem Interesse. Denn da der Pflichtverteidiger ebenso wie der Wahlverteidiger Beistand des Angeklagten ist, hat er ausschließlich diesem streng parteilich zu dienen, ohne auf sonstige Interessen die geringste Rücksicht zu nehmen.

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Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist unabhängig davon, ob sich der Angeklagte einen Verteidiger leisten kann. Immer dann, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt und der Angeschuldigte keinen Wahlverteidiger beauftragt hat, ist ihm zwingend ein Verteidiger beizuordnen. Hieraus folgt, dass ein Pflichtverteidiger immer ein notwendiger Verteidiger, nicht jedoch jeder notwendige Verteidiger ein Pflichtverteidiger ist.[5]

Teil 1 Das Mandat des StrafverteidigersII. Die Pflichtverteidigung › 2. Der Zustand der Pflichtverteidigung

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