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aa) Die Schwere der Tat

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Die Schwere der Tat ergibt sich aus der Höhe der zu erwartenden Strafe oder der Schwere der Maßregel oder den sonstigen Auswirkungen der verhängten Sanktionen auf das Leben des Angeklagten.[19] Entscheidend ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller vom Tatrichter zu verhängenden Sanktionen. Dabei sind auch außerstrafrechtliche Nebenfolgen zu berücksichtigen, z.B. der drohende Verlust von Beamtenrechten, der Approbation als Arzt, Zahnarzt oder Apotheker, der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft, die Ausweisung eines Ausländers.[20]

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In der Rechtsprechung wird überwiegend angenommen, dass bei einer Freiheitsstrafe von etwa einem Jahr mit oder ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist.[21] Beulke vertritt die Auffassung, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen der Schwere der Tat immer bereits dann vorliegt, wenn überhaupt die Verhängung von Freiheitsstrafe zu erwarten ist.[22]

Dem ist zu folgen. Die Verbüßung von Freiheitsstrafe ist immer ein gravierender Einschnitt in das Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen. Eine solche Strafe sollte daher aus rechtsstaatlichen Gründen nur in einem Verfahren verhängt werden, in dem durch die Bestellung eines Verteidigers die Waffengleichheit wenigstens in einem bescheidenen Umfang hergestellt ist. Ohne Belang ist dabei, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Widerruf der Aussetzung ist schließlich theoretisch nie auszuschließen.

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Nach der Änderung des GVG durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz ist das Schöffengericht nunmehr für Vergehen mit einer Straferwartung von mehr als zwei und bis zu vier Jahren zuständig, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 25 Nr. 2 GVG. In Verfahren vor dem Schöffengericht ist daher nunmehr immer ein Verteidiger zu bestellen.[23]

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In der Rspr. wird z.T. vertreten, dass der „Grenzwert“ von einem Jahr auch in Jugendstrafverfahren gilt.[24] Demgegenüber setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass immer ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten ist.[25] Dieser Auffassung ist beizutreten. Die oben dargelegten Überlegungen zur generellen Notwendigkeit der Verteidigung bei zu erwartender Verhängung von Freiheitsstrafe treffen hier im besonderen Maße zu.

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Bei der Prüfung, ob die Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebietet, sind auch schwerwiegende Nachteile für den Angeklagten durch Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und ausgesetzter Strafreste zu berücksichtigen.[26]

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