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Tag 3

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Der Tag war verkorkst, schon allein wegen der Nacht. Die Gefängniskluft ist zwar dünn, aber offenbar hat sie gefehlt, damit ich halbwegs ruhig schlafen kann. Ich habe gefroren und bin ständig aufgewacht. Nachts bin ich irgendwie nicht auf die Idee gekommen, mich wieder anzuziehen. Stattdessen hatte ich das Bedürfnis, aufs Klo zu gehen. Ich bin zwar eigentlich nicht abrupt aufgesprungen, trotzdem wurde mir schwindlig und schwarz vor Augen, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert, es war auch schnell wieder vorbei, aber das ist kein gutes Zeichen, vor allem weil es so früh auftritt, mit dieser Art special effects hatte ich jetzt eigentlich noch nicht gerechnet.

Am Morgen habe ich mir Wasser heiß gemacht und den Fernseher eingeschaltet. Abgesehen von den Nachrichten kam auch am Vormittag nichts Sehenswertes, und das würde bis zum Abend so bleiben. Diese dämlichen Serien und Shows finde ich schon lange zum Kotzen. Die Nachrichten waren auch nicht wirklich interessant, aber immerhin noch besser als der ganze andere Mist. Dasselbe wie gestern: Putin fährt in einem LKW über eine neue Brücke auf die Krim, wie symbolisch! Die Nachrichten auf dem zweiten Kanal unterscheiden sich nicht von denen auf dem ersten, als hätte man sie einfach übernommen, nur die Szenen wurden hier und da getauscht und anders geschnitten, aber Putin hinterm Steuer ist überall Szene Nummer eins. Ansonsten im Wechsel Lobhudeleien auf Russland und Wut auf den Westen und die Ukraine. In den vier Jahren im Lager habe ich gelernt, aus dieser Flut von Schmutz und Lüge winzige Bröckchen an Wahrheit herauszufiltern, aber das ist eine sehr mühsame Beschäftigung. Zum Glück gibt es noch Zeitungen und Briefe, um wenigstens irgendetwas Substantielles und Reales zu erfahren. Wie lange wird sich dieser Berg aus falschen Informationen wohl noch halten? Ich hatte damit gerechnet, dass er einstürzt und seine Schöpfer unter sich begräbt, aber nein, den Nachrichten nach zu urteilen, wächst er weiter zur schönsten Zufriedenheit. Die einzige nützliche Information kam in der Laufzeile, dass nämlich heute Jurij Schewtschuk Geburtstag hat, der nämliche, den ich neulich zitiert habe. Es finden sich eben doch überall unerklärliche und unsichtbare Verbindungen. Wie dem auch sei – herzlichen Glückwunsch, Jurij! Danke, dass es dich gibt. Aber das war’s auch schon mit den guten Nachrichten.

Nach den morgendlichen Kontrollen und Registrierungen kam wutschnaubend der Diensthabende, genau der, der als erster von meinem Hungerstreik erfahren hatte und an dem Tag recht freundlich und höflich gewesen war. Aber die Freundlichkeit eines Milizionärs währt nicht ewig, vor allem wenn der Anwalt gerade abgereist ist. Er nahm den Fernseher und ein paar andere Sachen mit und klappte die Pritsche hoch. Vor allem aber beschlagnahmte er auch den Wasserkocher! Auf den Fernseher und den anderen Kram lege ich keinen großen Wert, aber der Wasserkocher? Schließlich ist das meine einzige Quelle für warmes Wasser und Wärme! Den Heizlüfter habe ich schon abgeschrieben, aber das heiße Wasser? Der Beamte zischte, ein Wasserkocher stünde mir nicht zu, ich sei ja im Hungerstreik. Wie immer entbehrt das jeder Logik, denn sogar in dem Reglement, das an der Zellentür zu lesen steht, ist der Wasserkocher in der Liste der erlaubten Gegenstände aufgeführt. Aber viele Milizionäre kennen das Reglement entweder gar nicht oder legen es nach eigenem Gutdünken aus. Es war sinnlos, sich mit ihm anzulegen, als Reaktion ließ der Bedienstete seine Augen umherschweifen, um zu prüfen, was er in der ohnehin spärlich ausgestatteten Zelle noch konfiszieren könnte. Was soll’s, ich werde mich später an einen zugänglicheren Beamten wenden, außerdem darf der Schlüsselwart mir auf mein Verlangen hin heißes Wasser machen. Das ist nicht ganz so einfach, ich bitte nicht gern um etwas, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Aber das ist alles unerheblich. Das Herz und der Schwindel machen mir mehr Sorge. Die Pumpe will nicht recht, das spüre ich, und das schon am Anfang des Marathons.

Am Nachmittag wurde ich in den Krankentrakt gebracht. Der leitende Arzt, im Rang eines Oberstleutnants, ist ganz in Ordnung, hat aber seine Grillen. Das ist ja bei Ärzten nicht so selten. Von nun an muss ich mich täglich dieser Untersuchung unterziehen. Puls und Blutdruck liegen noch im Normalbereich, allerdings an der unteren Grenze. Es wurden Proben genommen. Das Blut strömte nur langsam aus dem angepiksten Finger – das Herz hatte tatsächlich Mühe. Im Urin war bereits Azeton nachweisbar, und der Arzt hatte gleich etliche schaurige Storys parat: wie der Organismus langsam das körpereigene Eiweiß abbaut, über irreversible Prozesse, über die individuellen kritischen Schwellenwerte. Nach seinen Abschreckungsversuchen kam er auf die Politik zu sprechen, und eine halbe Stunde später war er wenig überraschend bei der Ukraine gelandet. Ich habe es längst aufgegeben, irgendwelche Argumente anzuführen; wenn mir irgendwann das Wort erteilt wird, beschränke ich mich auf ein konstatierendes: »Wir werden sehen.« Dem lässt sich kaum widersprechen, und auch der Oberstleutnant, der gerade seine fünfte Zigarette aufrauchte, widersprach nicht, obwohl seine eindeutig russophile Position mit einem gewissen Hang zum Orthodox-Imperialen vielleicht sogar interessant gewesen wäre. Aber ganz gewiss nicht für mich – von Psychiatrie habe ich keine Ahnung.

Zum Schluss musste ich noch auf die Waage. 84 Kilo ohne Kleidung. Noch ein Kilo drauf für die letzten drei Tage. Dann habe ich den Hungerstreik also mit 85 Kilo begonnen. Mmh, das ist mein Minimalgewicht, so viel habe ich in meiner mageren Jugend gewogen und manchmal im Gefängnis. Normalerweise wiege ich 90, bei regelmäßigem Training im Fitnessstudio durchaus auch 95. Mein Gewicht ist Substanz, ich hatte nie überflüssige Pfunde und Fett schon gar nicht. Ich habe mich auf den Hungerstreik vorbereitet, indem ich auf alle zusätzlichen Rationen aus dem hiesigen Kiosk verzichtet und mich im letzten Monat nur noch von Balanda ernährt habe, damit mir der Wechsel in den Hungerstreik nicht schwerfällt. Und tatsächlich habe ich gar keine Probleme: Der Magen rebelliert nicht, und ich habe überhaupt kein Hungergefühl. Allerdings treten Schwindel, Schwäche und Ohrensausen auf. Ich spüre, wie das Herz schlägt. Vielleicht hätte ich eine andere Taktik wählen sollen – lieber zunehmen, damit ich etwas zum Zusetzen habe? Ich hatte allerdings keinen Ernährungswissenschaftler, den ich hätte zu Rate ziehen können. Aber jetzt ist es sowieso zu spät: Der Rubikon ist überschritten, unsere Armeen stehen auf der anderen Seite, aber bis nach Rom ist es noch ein ordentliches Stück, ohne Kampf geht’s gewiss nicht ab …

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