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Tag 10

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Der Tag begann mit dem traditionellen Wassersuppenritual. Kaum waren die zwei weg und ich hatte mich hingelegt, um ein Nickerchen zu machen, war der DGLL schon wieder da, um die Temperatur zu messen. In der Zelle, nicht bei mir. Das Thermometer zeigte die üblichen 16,5 Grad. Der Bedienstete kratzte sich am Hinterkopf und drückte auf das Thermometer. »Wir sollten die Tür zumachen, sonst zieht es«, sagte er. Er legte das Thermometer wieder auf den Tisch und schlug den Robot10 zu. Es war noch keine Minute vergangen, und schon zeigte das Thermometer 18 Grad. Entweder hatte er es mit seiner Hand angewärmt oder in der Zelle war es wirklich wärmer geworden, immerhin fror ich nachts schon weniger, der DGLL verließ die Zelle in dem guten Gefühl, seine Pflicht getan und sogar ein wenig Fürsorge gezeigt zu haben.

Das war jetzt schon die dritte mehr oder weniger ruhige Nacht. Die schlaflosen Stunden habe ich dieses Mal mit Erinnerungen an alle Kneipen und Bistros in Simferopol gefüllt, die ich gern aufsuchte oder in denen ich zumindest einmal gewesen war, und ich habe mir all die leckeren Speisen ausgemalt, die es dort gab. Offensichtlich sind hier Bewusstsein und Unterbewusstsein Hand in Hand gegangen und haben mich im Duett mit diesen Bildern gequält. Eigentlich nicht weiter schlimm, diese kleine kulinarische Nostalgie. Aber ich muss aufpassen, sonst falle ich nicht bloß auf diesen Schnickschnack herein, sondern vergreife mich an den Nudeln auf dem Teller. Ich muss diesen Gedanken und Erinnerungen Einhalt gebieten.

Nachts habe ich vom Meer geträumt, ich habe gebadet und bin getaucht, im Wasser gab es Quallen, eine war ganz groß. Dann habe ich als ungelernter Arbeiter Asphalt gehackt, Warnzeichen standen da und ein Pärchen, das mich von der Arbeit abgehalten hat. Das Traumfinale: eine Partisaneneinheit, Hinterhalt, Kampf, und ich liege da mit einer Maschinenpistole. Markant und verwirrend wie immer.

Am Tag brachte mir der umtriebige Diensthabende eine Psychologin. Wir haben durch das Gitter gesprochen, das die zweite Zellentür bildet. Um die anderen vor mir zu schützen und für ebensolche Fälle. Ein richtiges Gespräch kam allerdings nicht zustande, weil ich erklärt habe, dass ich keinen Psychologen brauche. Die Dame hielt mir daraufhin einen kurzen Vortrag, der so wirr war wie meine Träume. Nur gebrochene Menschen entschlössen sich zu einem solchen Schritt, Sie sind doch kein gebrochener Mensch, Sie müssen auch an Ihre Gesundheit denken, nehmen Sie doch Vernunft an, Sie sind doch ein kreativer Mensch, Sie haben andere Mittel und Wege, das übliche Repertoire. Ich musste daran denken, wie andere Häftlinge, die sich wohl für klüger hielten oder dachten, ich hätte ein Leben lang nur auf ihre Ratschläge gewartet, zu mir sagten: Warum hast du eigentlich diesen Widerstand geleistet gegen die Besetzung der Krim? Hättest du doch lieber einen Film gedreht, das wäre viel besser gewesen. Genau, als Hitler einmarschiert ist, hätte man auch ein paar kleine Filme drehen sollen, anstatt Panzer anzuzünden, die hätte man dann in irgendwelchen sibirischen Kinos zeigen können, woanders wäre es ja nicht gegangen. Mit dieser Psychologin habe ich übrigens vor ein paar Monaten schon mal gesprochen oder besser gesagt nicht gesprochen, ich hatte damals schon die Unterhaltung mit ihr verweigert. Sie fragte erstaunt: »Und Sie wollen wirklich keine Tests machen? Wollen Sie denn nichts über Ihre Persönlichkeit erfahren?« Ich habe ihr geantwortet, ich wisse eigentlich alles über mich und käme ganz gut klar. »Sie glücklicher Mensch«, erwiderte sie, die bis zu einer solchen Antwort offenbar noch einen langen Weg vor sich hat.

Ein Ereignis von globaler Tragweite: Ich habe einen Heizlüfter bekommen. Nicht den, den ich letztes Mal hatte, so ein kleines Gerät mit Motor, sondern einen ziemlich großen, einen Ölradiator. Ich habe ihn eingeschaltet, er heizt gut, viel besser als die Heizung. Jetzt wird es in meiner Zelle also endlich warm. Nach der Bettruhe das zweite Zugeständnis binnen zehn Tagen. Liegend und im Warmen halte ich lange durch. Hoffe ich mal. Auf jeden Fall schreibe ich was Nettes ins Gästebuch.

Heute ist so gut wie kein Wind, dafür hat es am Abend angefangen zu regnen. Ich stand an der geöffneten Fensterklappe und habe die frische Luft eingesogen. Nach dem Regen ist die Luft immer besonders sauber und riecht gut. Das ist der erste Regen, den ich hier in Labytnangi sehe, dann ist der Winter wahrscheinlich doch irgendwann zu Ende.

10Zellentür aus Stahl, sie öffnet sich gewöhnlich langsam, schwer und quietschend.

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