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Tag 4

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Das wichtigste Ereignis des Tages: Ich bekam Bettruhe verordnet. Ich darf mich also jetzt auch tagsüber auf die Pritsche legen. Ich wusste, dass das irgendwann kommen würde, hatte aber nicht so zeitig damit gerechnet. Beim Hungerstreik ist das eine große Unterstützung: Man kann sich aufwärmen und ausruhen, spart Energie und Wärme und muss nicht die ganze Zeit auf der kleinen Bank sitzen und sich an den lauwarmen Heizkörper pressen oder sich mit dem Abschreiten der Zelle warmhalten.

Aber das geschah erst gegen Mittag. Am Morgen, als ich meine Matratze in den Flur trug und die Doppelpritsche hochklappte, merkte ich, wie schwach ich war. Ich merkte, dass mir das von Tag zu Tag schwerer fallen würde. Wie hatte ich nur früher 100 Kilo schwere Hanteln gestemmt? Und jetzt ist plötzlich alles anders: Ich muss die Matratze nicht mehr in den Flur tragen und auch die Pritsche nicht mehr anheben – ich kann schlafen oder rumliegen, so viel ich Lust habe. Allerdings werde ich versuchen, nicht unnötig viel Gebrauch davon zu machen, sonst kann ich nachts nicht mehr schlafen und wache zerschlagen auf, um dann tagsüber wieder zu schlafen, und dann ist der ganze Rhythmus kaputt. Ein paar Stündchen habe ich tagsüber dann doch gelegen und bin auch eingeschlafen. Ich habe von meinem Vater geträumt, er stand neben seinem roten Moskwitsch, und ich saß in meinem vorletzten Peugeot. Die Bremsen waren kaputt, und ich konnte nicht neben ihm einparken, mein Vater schaute gar nicht zu mir, stattdessen stand er an einem Kiosk und unterhielt sich. All das passierte in meinem Dorf, an der Kreuzung der Straße, die von der Garage, in der mein Vater arbeitete, zum Kindergarten führte, in dem meine Mutter beschäftigt war. Irgendwann hatte ich das Steuer wieder unter Kontrolle und parkte weiter oben ein, neben anderen Autos, nicht an dieser gefährlichen Einmündung. So war der Traum. Kurz, aber klar wie die Wirklichkeit. Wenn man mit Toten spricht, ist das ja angeblich kein gutes Zeichen, aber wir haben uns nicht unterhalten, er hat mich nicht einmal angeschaut.

Die gesundheitlichen Probleme werden nicht mehr lange auf sich warten lassen, aber heute fühle ich mich besser – langsam gewöhnt sich der Organismus an den Nahrungsentzug. Der Schwindel hat etwas nachgelassen, allerdings laufen die Zehennägel bisweilen blau an. Vielleicht kommt das von der Kälte, vielleicht ist es auch das Herz, das es nicht schafft. Ich musste wieder zum Arzt. Der hat den Blutdruck gemessen und sich gewundert, dass ich so kalte Hände habe. Bei mir in der Zelle hätte er auch kalte Hände, habe ich ihm erklärt, im Sprechzimmer sind 22 Grad, er sitzt im T-Shirt da. Heute hat er mir von seiner Heimat in Tadschikistan erzählt. Er ist zwar Russe, stammt aber von dort. Es ging um den Bürgerkrieg, der dort schon seit zehn Jahren tobt und von dem ich nichts wusste.

[…]

Draußen schneit es wieder. Schnee im Mai ist für mich, der ich aus dem Süden komme, ein absurder Anblick, um diese Zeit ist es bei uns schon richtig heiß, und die Erdbeeren sind reif. Dann war der Otrjadnik da, der Chef von meiner Abteilung, Hauptmann, ein netter Typ. Am ersten Abend hatte er mir die beiden Briefe von meiner Familie gebracht. Heute habe ich ihm den Antwortbrief an meine Mutter übergeben, dann musste ich ein Papier unterschreiben, in dem ich erkläre, dass ich im Fall der medizinischen Indikation zwangsernährt werde. Wir haben zusammen im Strafgesetzbuch der Russischen Föderation gelesen, die entsprechenden Paragrafen diskutiert, und er hat meine Version bestätigt: Tropf – ja, Einführung von Nahrung in den Mund – nein. Ich wollte ihm noch sagen, dass es, wenn alle Milizionäre so wären wie er, wahrscheinlich weniger Verbrecher gäbe. Leider bin ich nicht mehr dazu gekommen. Das nächste Mal dann.

Haft

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